Von Julia-Elisabeth Häussler

Es ist allgemein bekannt, dass es die großen Momente im Leben sind, die uns etwas fühlen lassen. Hochzeiten, Geburten, Schulanfänge, Abschlussfeiern. Ich kannte all das, ich hatte es im Fernsehen gesehen, in Bilderrahmen auf Schreibtischen, habe Freunden und Fremden zu diesen Ereignissen gratuliert und bei Angst ihre Hand gehalten. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich letzteres nie getan, aber es hätte durchaus sein können. Die tiefgreifendste und offensichtlichste Erkenntnis, welche ich dadurch gewinne konnte war, dass selbst an solchen Tagen, welche sich auf mystische Weise für immer in unsere Erinnerung einbrennen sollen, uns das alltägliche Leben nie verlässt. Ich habe mich auf Hochzeiten von Freunden nur nach Essen gesehnt, mich bei Taufen gelangweilt und habe mich während Familienfesten darum bekümmert, die Konversationen mit geraden Rücken zu verfolgen. Ich war es gewohnt, dass Beziehungen nicht mit einem lauten Knall endeten, sondern mit einem ernsten Gespräch, dass ich immer kommen spürte, aber trotzdem nie vorhersah. Ich wusste, dass danach das Ausräumen der Wohnung folgte, welches immer von unangenehmem Schweigen oder von böser Höflichkeit geprägt war. Ich wusste, dass es diese Momente waren, welche großen Ereignissen die Fiktion nahmen und sie in das unerträglich, fortlaufende Konstrukt, was wir Alltag nennen einfügten. Es gab keine Filmmomente, keinen großen Schmerz, es war alles nur Teil des alltäglichen Lebens. Wie das Seminar zur Verbesserung von Präsentationstechniken, an welchen ich mich letzte Woche gezwungen sah teilzunehmen. Meine Verlobte Sarah hatte mich verabschiedete, nicht groß, nur eine kleine Umarmung und ein Kuss auf die Stirn. Nichts Besonderes, aber ich stand ja danach auch nicht mit meinem Koffer irgendwo in der Fremde, im Regen, nicht wissend was zu tun. Vielmehr fuhr ich weg, kam an, nahm teil und verabschiedete mich wieder, fuhr nach Hause. Nichts Außergewöhnliches, nichts, wo ich nicht gewusst hätte, was die von mir erwartete Reaktion zu jedem Zeitpunkt war. Als ich heimkam, wusste ich das nicht mehr. Da war ein Brief und ein Ring und sonst nichts. Alles andere war noch da, sie hatte nicht einmal ihre Kleidung mitgenommen. Im Kühlschrank standen noch Pizzareste, sie mussten von ihr sein, ich hasste Pilze. Die Wohnung schien unerträglich leer. Es war eine Leere, die ich nicht kannte, da war nur ich und ich kannte mich nicht. Es war als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht wissen, was ich tun sollte. Sollte ich schreien, mich betrinken, ausgehen, jemanden anrufen? Ich wusste es nicht, ich fühlte nur wie sich in meine Augen Tränen ansammelten, sonst fühlte ich nichts. Es schien keinen Raum mehr zu geben, und keine Zeit. Es gab nichts. Dies war das erste Mal, dass ich merkte: Ich lebe.