Von Marco Plate

Lieber Leo,

ich bin eigentlich keine Person der pathetischen Worte. Ich will Dich und auch mich nicht mit überschwänglicher Lyrik langweilen. Jedoch muss ich Dir jetzt das vielleicht erste und letzte Mal meine wirklichen Gefühle beschreiben. 

Meine Duldsamkeit ist nun vorbei. Ich habe immer zu Dir gestanden, wenn Du verreist warst. Nicht nur während der Fahrten in ferne Länder ohne mich. Auch bei Deinen Reisen in Dich selbst hinein, wo nur Du allein lebtest und zähltest. Nicht nur in diesen Momenten habe ich Dich in Ruhe gelassen. Immer hattest Du Deine Chance, in Dein tiefstes Inneres zu gehen und mir danach Deine Zuneigung auszudrücken, wie es eigentlich nur von Frauen akzeptiert wird. Zumindest wenn Du die Frauen durch mich ein wenig besser kennengelernt haben solltest, müsste Dir mittlerweile klar sein, wovon ich spreche. 

Doch Du ließest so viele Situationen in der Vergangenheit verstreichen, mir Deine Liebe für die Zukunft zu bestätigen. Du warst doch nie wirklich schüchtern und hättest mir somit Deine Zuneigung, wenn sie denn von ähnlicher Intensität wäre wie die meine, nicht unbedingt auf klassische Art signalisieren müssen. Du findest Deine Einfälle doch sonst immer so originell, warum nicht mal etwas Innovatives für unsere Zusammengehörigkeit tun? Du bräuchtest Dich ja nicht gleich in Unkosten zu stürzen, aber ein Zeichen hättest Du trotzdem schon so oft setzen können. 

Vor allem in Momenten, als ich Dich besonders vermisst habe, weil Du wieder längere Zeit fort warst. Da hätte ich mir eine Basis für unsere Zukunft von Dir gewünscht. Etwas, das mir gezeigt hätte, dass ich auf den Fortbestand unserer Liebe vertrauen kann. Solch eine Bindung wie die unsere genügt mir nach all den Jahren nicht mehr. 

Unser Streiten um Nichtigkeiten, das unsere Beziehung oft fast bis zum Erliegen brachte, musste letztlich stets einer noch engeren Wertschätzung zwischen uns weichen. Doch so kann es nicht mehr weitergehen mit uns und so will ich auch den Weg nicht mehr weitergehen mit Dir! Wovor hast Du solche Angst? Irre ich mich und Deine Gefühle gleichen nicht den meinen? Worauf warten all die Jahre? Auf etwas von mir? Nein, darauf kannst Du nicht zählen, mein Freund! Das musst Du schon allein hinkriegen. Du kannst doch sowieso angeblich immer alles besser. Bis auf die Male, bei denen Du wieder einmal meine Hilfe brauchtest. Aber wo bleibt Deine Unterstützung?

Unsere Beziehung hat auch harte Entwicklungen durchgestanden. Solche, in denen wir uns gegenseitig unsere Freiräume auf Zeit versprochen hatten und diese auch zu nutzen wussten. Ähnlich der Phase, bevor wir uns füreinander entschieden haben. Als ich es ertragen musste, Dich mit anderen Frauen zu sehen. Ich hatte immer befürchtet, Dich wieder zu verlieren, wenn ich Dich einmal ganz für mich bekommen würde, weil nichts für die Ewigkeit schien. Du konntest meine heimlichen Bedenken auch nie ausräumen, dass ich Dir nicht vollkommen genügen könnte. Deshalb wollte ich nur für Dich da sein, wenn Du mich wirklich brauchtest. Zugleich hatte ich jedoch auch Angst davor, dass Du nur dann für mich da sein würdest, wenn ich Dich bräuchte. 

Wie Du sie ansahst, all die anderen Frauen. Dieser flüchtige, aber durchdringende Blick, nur für ein kurzes Abenteuer. Meinen längeren Blicken konntest Du später standhalten, nur wo sind die Zeichen deinerseits für Beständigkeit? 

Zugegeben, pflegte ich stets Bedenken vor einer langfristigen Bindung, aus Furcht, unsere Liebe könnte dadurch an Originalität verlieren, ja gar gänzlich verloren gehen. Nicht nur durch die Standardisierung mit Klischees, denen eine Ehe ständig gesellschaftlich ausgesetzt wird, sondern auch durch den Verlust des freiheitlichen Gefühls. Vielleicht habe ich auch mehr das Gefühl geliebt als Du, auf den besonderen Moment zu warten. Eigentlich möchte ich diese Sehnsucht auch nicht missen. Doch irgendwann ist die Zuversicht in mir gewachsen, Deine Geborgenheit nur für mich alleine beanspruchen zu können. Aber Du wartest immer noch. Worauf eigentlich? Wenn Du Angst hast, mir ins Gesicht zu sagen, dass Du mich nicht voll und ganz willst und ohne Wenn und Aber akzeptierst, dann schreibe es! 

Ich wage jedenfalls den endgültigen Schritt, vielleicht den Anfang vom Ende, indem ich Dir diesen Brief mit brennender Leidenschaft widme. Ich bin nicht länger bereit zu warten. Du brauchst Dich für nichts zu entschuldigen. An gleicher Stelle, an der ich diesen Brief für Dich niedergelegt habe, halte ich Ausschau nach einer Nachricht von Dir. Erst danach werde ich endgültig meine Entscheidung für die Zukunft treffen.

Klara

Nachdem Leo die Unterschrift seiner Freundin gelesen hatte, faltete er den Brief wieder zusammen und steckte ihn in den mit seinem Namen versehenen Umschlag zurück. Er schwor sich, diese Nachricht für immer aufbewahren zu wollen. 

Er ging zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und nahm etwas heraus, das schon lange für Klara bestimmt gewesen war. Endlich hatte er die Bestätigung von ihr, dass sie sich das Gleiche wünschte wie er. Jetzt konnte er sicher sein, das Richtige zu tun. 

Doch dies so eine lange Zeit nicht erkannt zu haben und sich dafür nicht zu entschuldigen? Das kam für Leo gar nicht in Frage. Sie erwartete einen originellen Antrag und sie sollte ihn bekommen. 

Er schrieb „I’m sorry!“ auf den, aus einem Notizblock herausgerissenen Zettel und legte erleichternden Herzens den Ring, der eigentlich schon längst die zarten Finger von Klara hätte schmücken sollen, darauf ab. Hoffentlich warf dieser nur einen vorübergehenden Schatten auf das Papier unter ihm und nicht auf das Fundament, für das seine Ausstrahlungskraft zukünftig ihren Glanz entfalten sollte.

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