Von Juliane Soain

Alice hat einen anstrengenden Arbeitstag gehabt. Ihr Schädel brummt. Heute gab es richtig viele Beschwerden. Alice arbeitet bei einem Mobilfunkanbieter. Gefühlt jeder, in diesem Land, hat heute einen Ausfall des Mobilfunknetzes gemeldet. Wie gewöhnlich hat sie die Leute vertröstet und die Störung weitergeleitet. Als sie um die Ecke schaut, schweift ihr Blick über die Arbeitsplätze. Es scheint keiner mehr da zu sein. Alice mag ihr Büro. Es ist angenehm ruhig zum Arbeiten, leider nur sehr ungünstig gelegen und so kommt es, dass sich nicht einmal die Putzleute dorthin verlaufen. Alice zieht die Tür hinter sich zu und verlässt das Gebäude. 

Der Himmel sieht so düster aus. Bestimmt regnet es gleich. Ich sollte mich beeilen.

Alice läuft etwas schneller zum Auto und setzt sich hinein. Routinemäßig schnallt sie sich an und steckt den Schlüssel ins Zündschloss. Normalerweise kommt um diese Uhrzeit ihre Lieblingssendung im Radio, doch im Moment hört sie nur Rauschen. Alice haut gegen das Radio, in der Hoffnung, dass doch Musik kommt. Sie gibt nach einigen Versuchen auf und steckt eine Kassette mit ihren Lieblingsliedern ins Radio. 

Alice versucht, das Auto zu starten. Der Anlasser dreht seine Runden. „Ach komm schon, du alte Klapperkiste. Lass mich nicht im Stich!“

Nach einigen Sekunden und weiterem Geschimpfe springt das Auto endlich an. Alice fährt vom Parkplatz runter. Nach einer Weile wundert sie sich über die ungewöhnlich leeren Straßen.

„Eigentlich müsste doch hier bereits Stau sein. Wo sind die ganzen Leute hin?“ Alice denkt kurz nach, bis sie sich an etwas erinnert.

„Hat mein Mann nicht erzählt, dass heute irgendein superwichtiges Spiel stattfindet? Das Spiel des Jahrhunderts oder so hat er es genannt.“ Alice findet die Erklärung einleuchtend.

Die Fahrt nach Hause kommt Alice gespenstisch vor. Nirgendwo sind Menschen zu sehen. Es sind keine Autos unterwegs.

„Das muss wirklich ein sensationelles Spiel sein.“ Sie konnte sich noch nie besonders für Sport begeistern und versteht auch nicht, wie Andere dafür sogar Urlaub nehmen können.

Aus den Lautsprechern tönt gerade ihr Lieblingslied.

„I love the sun. 

I love the beach. 

I love the wind…“, singt Alice lautstark mit.

An der nächsten Kreuzung rechts.

„Lalala.“

Die Ampeln zeigen rot. Alice lauscht dem Lied und wartet entspannt auf das grüne Leuchtsignal.

Hm, es kommt doch eh keiner. Warum warte ich her eigentlich? Alice fährt immer nach Vorschrift. Niemand kommt. Das Herz von Alice schlägt schneller. Ob ich vielleicht einfach fahren sollte? Was aber wenn genau jetzt ein Polizist an der Ecke steht und mich dabei erwischt? Bevor sie ihre Gedanken zu Ende sortieren kann, schaltet die Ampel auf Grün.

„Ah, da der Supermarkt.“. Alice setzt den Blinker und steuert das Auto auf den Parkplatz. Auch hier ist keine Menschenseele zu sehen. 

Sie schiebt den Einkaufskorb in die Kaufhalle. Eine unheimliche Stille erwartet sie.

„Hallo, ist hier jemand?“, als niemand antwortet, geht Alice etwas schneller. Hastig packt sie die Sachen, die sie benötigt in den Einkaufswagen und schiebt ihn zur Kasse. Hier sieht es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen ist. Überall liegen Sachen herum. Einkaufskörbe stehen im Weg. Alice packt schnell ihre Sachen in einen Beutel. Da sie eine ehrliche Haut ist, legt sie einen Schein auf die Kasse und verlässt den Einkaufsladen. Auf dem Weg zum Auto schaut sie sich ständig um. Nervös holt sie den Schlüssel aus der Tasche. Ihre Hand zittert und sie hat Mühe, das Schlüsselloch zu treffen. Klirr! Der Schlüssel fällt ihr aus der Hand. Ihr Herz klopft wie verrückt. Alice hebt den Schlüssel auf und diesmal schafft sie es, das Schloss zu erwischen. Sie wirft die Tüte ins Auto, setzt sich hinters Steuer und verschließt die Türen.

Alice atmet tief durch.

Zu Ihrem Glück springt das Auto gleich an. Mit quietschenden Reifen fährt Alice vom Parkplatz.

Was zur Hölle ist hier los? Wo sind all die Menschen hin? Ich muss schnell nach Hause und schauen, ob alles gut ist.

Alice ignoriert all die Geschwindigkeitsbegrenzungen und fährt so schnell durch die Stadt, wie sie noch nie zuvor gefahren ist.

Vor dem Haus tritt sie kräftig auf die Bremse und kommt zum Glück noch rechtzeitig zum Stehen. Fast wäre sie in die Veranda gefahren. Alice springt aus dem Auto und läuft zur Tür. 

„Verdammt, abgeschlossen, und der blöde Schlüssel steckt noch im Auto.“ Alice holt ihn und schließt die Tür auf.

„Hallo ist jemand zu Hause? Lisa, Lars, Maik? Irgendjemand?“ Als keine Antwort kommt, bekommt Alice ein mulmiges Gefühl. Normalerweise ist immer jemand zu Hause. Das Licht ist noch an. Auch liegen noch Sachen herum. Alles ist unordentlich, als ob sie plötzlich aufbrechen mussten.

Alice schaut nach und nach in jedes Zimmer und ruft jedes Mal die Namen ihrer Familienmitglieder. Langsam steht Alice die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Als sie im Schlafzimmer ankommt, sieht sie einen Zettel mit einem Ring auf dem Bett liegen. Als Alice ihn erblickt, fangen ihre Augen an zu tränen.

„Warum? Warum tut ihr mir das an?“ Alice bricht weinend vor dem Bett zusammen.

 

Eine kratzige Stimme ruft mich. 

„Jaaaames“, höre ich aus der Ferne. Jemand rüttelt an meiner Schulter.

„James, wir müssen los. Unser Landetrupp wird wieder eingesammelt. Rendezvous beim Landeplatz in 30 Minuten.“

„Ok Hank, ich komme gleich.“

James erblickt den Zettel auf dem Bett. Fast hätte er ihn übersehen, da sich eine dicke Staubschicht über ihn gelegt hat. Er nimmt den Ring und wartet einen Moment, bis sein Übersetzer sich auf die Sprache eingestellt hat.

 

 Es tut mir leid!

 

Er dreht den Zettel um. Das Geschriebene ist krakelig. Man sieht, dass der Text in Eile geschrieben wurde.

 

Meine liebe Alice,

 

Einige Männer in Schutzanzügen 

stehen vor der Tür.

Ich kann dich nicht erreichen.

Sie nehmen uns drei, in 5 Minuten mit.

Wir sollen nur Handgepäck mitnehmen.

Sie sagen, dass wir in den Westen gehen.

Da ist es sicher.

Wenn du dies liest, komm bitte nach.

 

Ich lege meinen Ring auf den Brief, damit

du Ihn auch findest!

 

Dein Lars

 

Erneut wird James von Hank gerufen: „Verflucht noch mal, komm endlich. Wir müssen noch ein Stück laufen. Du sollst nicht immer träumen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob es Träume sind.“

Sein Kamerad schüttelt mit dem Kopf. „Du bist ein Spinner. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass du mir einst das Leben gerettet hast. Lass uns abhauen. Egal was hier mal war. Hier ist nichts mehr. Der gesamte Planet ist tot.“

Die Beiden setzen sich in Bewegung. James bleibt noch mal in der Tür stehen. Sein Blick schweift durchs Zimmer und bleibt bei dem Skelett vorm Bett hängen.

James geht zurück und schiebt den Ring auf ihren Knochen, der mal ihr Ringfinger war.

Alice, du hast es wohl nicht mehr in den Westen geschafft.