Von Miklos Muhi

»Beruhigen Sie sich und vergessen Sie es. Es geht nicht.«

Oberkommissar Heckler war alles anderes als ruhig und hatte auch nicht die Absicht, in einen solchen Zustand zu verfallen.

»Wir wissen, was da läuft, nur gefunden haben wir noch nichts. Wir brauchen mehr Zeit.«

»Welchen Teil von es geht nicht haben Sie nicht verstanden?«

»Aber …«

»Kein Gericht dieser Welt interessiert sich dafür, was Sie wissen. Richter wollen Beweise. Wir können übrigens von Glück reden, dass der Einspruch gegen diesen Durchsuchungsbeschluss abgewiesen wurde.«

»Frau Staatsanwältin, ich …«

»Interessiert mich nicht. Sie haben laut Beschluss bis morgen früh Zeit. Finden Sie bis dahin nichts, entschuldigen wir uns beim Herren Fereirra und geben ihm alles zurück. Haben Sie das verstanden?«

»Jawohl, Frau Staatsanwältin«, murmelte Heckler zerknirscht.

 

Er war müde. Vor zwei Tagen stürmte er zusammen mit seinem Team die Wohn- und Geschäftsräume des Herren Fereirra, seines Zeichens Händler von Südfrüchten. Das Drogendezernat sah das jedoch anderes. Der kolumbianische Pass allein hätte als Verdachtsmoment nicht ausgereicht, allerdings waren einige seine Geschäftspartner mit dem teuren kolumbianischen Mehl erwischt worden.

 

Es gab zahlreiche Hinweise, die alle Richtung Fereirra und seiner Armee hoch bezahlter Anwälte mit ausgezeichneten Beziehungen zeigten. Heckler vermutete, dass der Durchsuchungsbeschluss nur deswegen Bestand hatte, weil der Kopf jener Geierbande, ein gewisser Dr. Schiffmann, gerade verreist war.

 

Alles wurde zum Kommissariat gebracht, wo jeder mit Augen im Kopf sich daran machte, das Zeug aufzuarbeiten. Sämtliche verfügbare Übersetzer für Spanisch schoben Sichtdienst.

 

Man konzentrierte sich auf die Geschäftsunterlagen. Hinweise auf Geldwäsche zu finden war der einfachste Weg, um in solchen Fällen weiterzukommen. Um das Geflecht aus Firmen und Stiftungen zu entwirren, bräuchte man aber Wochen, wenn nicht Monate.

 

Im Großraumbüro roch es nach verbranntem Hirn, Schweiß und Kaffee. Der kam gegen das monotone und einschläfernde Murmeln, eine Mischung aus Spanisch und Deutsch, nicht wirklich an.

 

Keiner beachtete ihn, als er zwischen Tischen, Schachteln und Ordnern eine Runde drehte und vor einem viel zu ordentlich aussehenden Stapel Klappschachteln stehen blieb. Laut Post-it-Zettel kam das Zeug aus dem Zimmer des zwölf Jahre alten Pablo Fereirra. Die viel zu große Ordnung ließ ahnen, dass bisher sich niemand den Stapel vorgenommen hatte. Alle ritten auf Rechnungen und Kontoauszügen in den Sonnenuntergang, verdächtigen Transaktionen hinterher.

 

Heckler setzte sich daneben auf einen Stuhl und nahm sich die Klappschachteln der Reihe nach vor.

 

Die beiden ersten enthielten Comicbücher in spanischer Sprache, mit irgendwelchen Superhelden, von denen Heckler noch nie gehört hatte. Dann kamen Poster mit Stars und Sternchen und dann die Zeichnungen des jungen Pablos.

 

Heckler pfiff leise, als er das erste Blatt in die Hand nahm. Der Junge hatte Talent.

»Zumindest ist es nicht langweilig«, murmelte er.

Er schaute sich jede einzelne Zeichnung an und legte sie danach weg. Plötzlich hielt er inne und betrachtete das Blatt in seiner Hand eingehend. Dann stand er auf und ging in sein Büro, wo er den Botanischen Atlas auf dem Polizeiserver konsultiert hatte.

 

Auf der Zeichnung war eindeutig ein Kokastrauch abgebildet. Darunter hatte der Junge etwas in Spanisch gekritzelt, in einer schwer leserlichen Handschrift.

 

Das ist der geheime Strauch, Vaters Lieblingsstrauch. Die Bauern mögen solche Sträucher auch. Aus den Blättern machen sie Mehl.

 

Die aufwallende Begeisterung machte schnell Zweifeln Platz. So interessant das war, es reichte für gar nichts. Er legte die Zeichnung zur Seite und wühlte weiter. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen.

 

Bald stieß er auf einen ungewöhnlich aussehendes Schulheft, mit dem Aufschrift »Privado y secreto«. Heckler lächelte. Auch er besaß damals solche Hefte, in denen er seine nie verschickten Liebesgedichte aufbewahrt hatte.

 

Auf den ersten fünf Seiten standen tatsächlich Liebesgedichte. Pablos Zeichnungen waren wesentlich besser gelungen. Ab Seite sechs wurde es interessant.

 

Das ist ein Blatt des geheimen Strauchs. Als Vater mit den Bauern schimpfte, habe ich dieses Blatt gezupft und nach Hause gebracht. Ich darf das eigentlich nicht, aber niemand hat etwas bemerkt.

 

Heckler verstand wenig von Pflanzen, aber das Blatt, das auf die Seite eingeklebt war, erkannte er. Es war ein getrocknetes Kokablatt. Der Besitz war grundsätzlich strafbar, aber noch niemand wurde wegen eines einzigen Blattes verurteilt.

 

Heckler blätterte weiter. Einige Seiten weiter war das Papier sehr dick, als hätte man es mit Klebstoff bestrichen.

 

Als die Bauern zu Mittagessen gegangen sind, habe ich mich umgesehen und das Mehl gefunden. Es stinkt erbärmlich und ich weiß nicht, warum Vater so gerne daran riecht, aber es glitzert, deshalb habe ich etwas mitgenommen und ins Heft geklebt.

 

Heckler ging mit dem Heft in der Hand in sein Büro und bestellte per Telefon einen botanischen Sachverständigen und ein Schnelltest für Kokain.

 

 

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