Von Christiane Labusga

Ja. Fragen Sie mich bitte nicht, warum das jetzt so ist. Aber ich bin der letzte Mensch. Zusammen mit einem dreijährigen Mädchen (gottseidank schon stubenrein) und einem männlichen Säugling.

Ja. Das Mädchen hat mich verstört angeschaut, als ich ihm gesagt habe, es solle die Windeln des Säuglings wechseln. Ich habe dann verstanden, dass das wohl doch mein Job ist.

Aber ich habe das gut hingekriegt. Wir sind ja allein, also kann ich neue Techniken einführen. Ich habe die Windel, die dieser Bursche trug, einfach weggeworfen, ihn gesäubert und dann einfach an einen neuen Platz gelegt. Nix neue Windel. Es ist Sommer. Wenn er brunzt oder mehr, wische ich ihn kurz ab und lege ihn frisch an einen neuen Platz.

Ja. Platz haben wir viel hier. Er steht uns jetzt unbegrenzt zur Verfügung. Das ist der Vorteil, wenn man der Letzte seiner Art ist.

Ich bin jetzt 35. Das Mädchen ist drei. Noch zwölf Jahre… dann ja, hm. Vielleicht sind wir doch nicht die letzten Menschen. Also was ich so weiß darüber. Wenn man zu früh anfängt, wie soll ich sagen, mit der Zucht, dann schädigt das die Kondition des Weibchens. Also die von dem Mädchen, dass sich an seinen Namen nicht erinnert. Sie ist ja auch erst drei. Und dann müsste man abwechseln, mit dem Jungen, wenn der soweit ist. Um die Inzucht einzudämmen.

Herrje. Wie Gott nur mit zwei Menschen auskommen wollte, hat der denn gar nichts von Genetik verstanden?

Ja, ich fühle mich oft überfordert, wenn ich überlege, wie wir das mit der Neubesiedelung des Planeten hinbekommen sollen. Ich muss den Kindern Lesen beibringen. Und möglichst auch Englisch. Also Englisch lesen. Sprechen nützt ja nichts mehr. Bücher gibt es genug jetzt, ganz umsonst in allen Sprachen.

Ja, ich gehe noch einmal nach Hause. Hab‘ die Kinder allein gelassen.

Ja, gehe ins Schlafzimmer, zu meiner Frau. Sie liegt da, auf dem Laken, ein Häufchen Staub. So geht es allen, die das Bakterium befällt. Das Bakterium frisst sie auf, von außen, von innen, aus dem Blut heraus.

Wussten Sie, dass Bakterien Pflanzen sind? Kaum zu glauben. Meine Frau war erst 36. Einfach so dahingerafft, aufgefressen von einer Pflanze. Sie hat Opium bekommen, gegen die Schmerzen. Anderen, als das Opium aufgebraucht war, hat man Sterbehilfe geleistet. Oder, bevor das Gesetz die Sterbehilfe erlaubte, wurden sie von ihren Nächsten erstickt. Wer denn einen Nächsten hatte, der noch handeln konnte.

Auf dem Nachttisch liegt das Buch, das meine Frau zuletzt gelesen hat. Ich nehme es auf: „Gegen den Tag“ von Thomas Pynchon. Ein dickes Buch, ich blättere darin, ist es auch etwas für mich? Ein Zettel fällt heraus, das Lesezeichen.

Es drudelt langsam auf den Boden, schwebt nach links, nach rechts, schwenkt kurz im Kreis und landet sacht – ich hebe es auf. Meine Frau hat es in der Hand gehabt. Ich seufze.

Etwas ist darauf geschrieben.

„Mein Herz, der Arzt hat heute morgen gesagt, dass du endlich zu uns gekommen bist. Aber es ist zu früh zu sagen, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist. Ich werde solange warten, bis es sicher ist, was du bist, bevor ich es deinem Vater sage. Aber dir, mein Herz, verrate ich die Namen, die ich ausgesucht habe: Du, meine Tochter, sollst heißen wie meine Mutter, Angelika, der Engel. Und du, mein Sohn, sollst heißen wie dein Vater, Felix, das ist der, der immer Glück hat.“

Ja. Ich wünsche, ich hätte das nicht gefunden. Nun weiß ich, dass nicht nur meine Frau, sondern auch mein Kind an diesem Bakterium gestorben ist. Aber dennoch ich bin froh, nun Namen für die beiden Kinder zu haben: Angelika und Felix.

 

 

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