Von Dirk Reulecke

„Verdammt! Warum geht das Ding nicht an?“ Claudia startete den Motorroller, den sie vor rund vier Stunden in einer Seitenstraße abgestellt hatten, und schaute erwartungsvoll auf das Navi, das ihnen Weg den zum Wohnmobilstellplatz weisen sollte. Sie schaute weiter und meinte zu Dieter.“ Hm … Warum tut sich da nichts?“ Jetzt schaute auch Dieter und sah nur den dunklen Bildschirm des Geräts. Kein Bild, keine Anzeige, kein roter Punkt, der anzeigen würde, das das Gerät überhaupt in Betrieb war. Gar nichts.

Claudia und Dieter sahen sich entgeistert an. „Und nun?“, fragte Dieter. Sie standen mit ihrem Roller an der Seine. Mittlerweile war es fast 23 Uhr und er hatte keine Ahnung, wie sie aus der Innenstadt wieder zu Ihrem Wohnmobil finden sollten. Ohne funktionierendes Navi. Das Wohnmobil stand circa 35 Kilometer außerhalb von Paris. Inzwischen hatte Claudia den Motorroller mehrfach neu gestartet. Wohl in der Hoffnung, das das Navi dann ebenfalls starten würde. Schließlich half ein Neustart meistens bei allen möglichen Geräten. Meistens, diesmal aber nicht.

Dieter fummelte inzwischen an den Steckern herum, die das Gerät mit dem Motorroller mittels eigens eingebautem Anschluss verbinden und es mit Strom versorgen sollten, aber offensichtlich nicht taten. Jedenfalls jetzt nicht. Auf ihren Handys hatten sie keine App installiert, mit der man navigieren konnte, denn dafür gab es ja Navigationsgeräte, die einem den Weg weisen konnten. Wenn sie denn funktionierten.

Eigentlich waren Claudia und Dieter auf dem Weg in die Bretagne. Aber natürlich nicht, ohne sich Paris anzusehen. Lag ja quasi auf dem Weg. So hatten sie auch den Motorroller mitgenommen, weil man ja, wie Claudia meinte „damit viel besser durch den Verkehr einer Großstadt kommen“ würde.

Claudia plante alles gern im Voraus. Deshalb hatte sie die Tickets für die Seine-Rundfahrt online bestellt. „Dann haben wir keine Wartezeit am Dampfer und können direkt einsteigen. Schließlich wollen wir ja keinen Stress“. Dieter nickte nur und bewunderte Claudia für Ihr planerisches Talent. Um 18:00 Uhr fuhr der Dampfer los, war auf dem Ticket zu lesen. Vorbei am Eiffelturm, entlang am Notre-Dame de Paris auf der Île de la Cité stand auf der Website des Anbieters. Laut Vorausberechnung sollte die Fahrt vom Wohnmobilstellplatz ungefähr eine Stunde dauern. Aber da sie ja keinen Stress bekommen wollten, starteten sie rund zweieinhalb Stunden vor der Abfahrt des Dampfers.

Nach einer kurzen Fahrt auf einer Schnellstraße führte sie das Navi dann auf eine Einfallstraße in das Zentrum von Paris. Obwohl gefühlt alle hundert Meter eine Ampel stand, die immer auf „Rot“ zeigte, und auf der dreispurigen Straße mindestens eine Spur immer mit parkenden Autos besetzt war, kamen sie voran. Langsam. Ganz langsam. Links und manchmal auch rechts sausten die Zweiräder vorbei. Niemandem von den Einheimischen fiel es ein, sich in den Stau einzureihen. Aber das traute sich Claudia nicht. Sie fuhr immer brav im Schritttempo hinter den Autos her.

Allmählich wurde auch die Zeit knapp, aber endlich konnten sie von der Einfallstraße abbiegen und sie wurden durch viele, sehr viele Seitenstraßen: „links, links, rechts, links, rechts, links“ an Ihr Ziel geführt. „Puh, gerade noch geschafft“ meinte Dieter, als sie auf dem Dampfer Platz nahmen und Claudia lächelte ihn an. Beeindruckt von der malerischen Kulisse genossen sie die romantische Fahrt auf der Seine im Sonnenuntergang. Ein Erlebnis!

Aber nun standen sie hier vor ihrem Roller und verfluchten das verfluchte Navi, dass so gar nichts von sich gab. „Wie kann das sein?“, fragte Claudia. „Ich habe doch extra noch einen Stromanschluss an den Roller bauen lassen“. Dieter antwortete vorsichtshalber darauf nicht, zuckte mit den Schultern und sagte stattdessen: „Wie auch immer. Wir sollten losfahren und versuchen zum Wohnmobil zu kommen. Erinnerst Du Dich vielleicht an den Namen der Straße, auf der wir ins Zentrum gekommen sind?“ „Die mit den vielen Ampeln, die immer „Rot“ sind?“ Claudia sah ihn an und dachte offensichtlich angestrengt nach. „Nein, keine Ahnung. Rue de la irgendwas. Oder so.“ „Na gut. Ich auch nicht. Erstmal müssen wir die Straße überhaupt mal finden“ antwortete Dieter.

Natürlich hatte Claudia eine Straßenkarte eingepackt und irgendwo fand sich auch noch ein Zettel und ein Stift. Denn als Sozius auf einem Motorroller hatte Dieter keine Chance, die Karte zu lesen und Claudia aus dem Straßengewirr zu dirigieren. Also versuchten sie, sich im schummrigen Licht der Laternen die Straßennamen zu notieren, die sie hoffentlich auf eine der Ausfallstraßen von Paris in Richtung Norden bringen würden.

Dann fuhren sie los. Die Straße entlang auf der sie gekommen waren bis zum Kreisel. Nun sind die Kreisel in Paris recht groß und haben viele Abzweigungen und die Richtungsschilder sagten ihnen gar nichts. Aber hier ewig im Kreis herum zu kreiseln brachte auch nichts.

Also bog Claudia ab und sie landeten in einer Nebenstraße. Aber in welcher? „Haben die denn keine Straßenschilder hier?“, fragte Dieter schon ein bisschen verzweifelt. „Ah, da!“ Er hatte ein Schild entdeckt. An einer Hauswand. Leider lag die Hauswand und damit auch das Schild im Dunklen. Man konnte ahnen, dass dort ein Schild war, nur lesen konnte man es nicht.

Also fuhren sie weiter bis zur nächsten Kreuzung und fanden da auch ein lesbares Schild. Der Name stand allerdings nicht auf dem Notizzettel, den sie sich mithilfe der Karte gemacht hatten. Das erneute Studium des Stadtplans brachte Ihnen auch keine erhellenden Erkenntnisse über Ihren jetzigen Standort, zumal es recht dunkel war. Ein einziges Gewirr aus Straßen und Kreiseln zeigte die Karte. Nicht mehr und nicht weniger.

„Wir sollten einfach dieser Straße folgen, bis wir auf eine größere Straße treffen“ schlug Dieter vor. „Dort können wir ja jemanden fragen“. Claudia hatte so Ihre Bedenken, jemanden mitten in der Nacht anzusprechen und nach dem Weg zu fragen. Mal abgesehen davon, dass Ihr Französisch eher rudimentär war. Aber mangels Alternativen nickte Claudia nur und sie fuhren weiter. Fast eine halbe Stunde lang. Sie kamen durch Straßen und Kreisel, die ihnen bald bekannt vorkamen, sie aber nicht auf die gesuchte Straße mit den vielen Ampeln führten. Schließlich stoppte Claudia den Roller. Sie waren jetzt nicht mehr im Zentrum mit den Prunkbauten, sondern eher in einer Art Plattenbausiedlung. Ziemlich trostlos und in der Dunkelheit auch ein wenig unheimlich, wie Claudia fand. Dieter war auch nicht wohl in seiner Haut, aber natürlich zeigte er das nicht. Glaubte er.

Ein Taxistand an dem ein einsames Taxi auf Fahrgäste wartete. „Den frage ich jetzt, ob der vorfahren kann“. sagte Claudia erschöpft. Denn es war inzwischen fast zwei Uhr morgens und die Tankanzeige des Rollers zeigte an, dass sie wohl bald eine Tankstelle anfahren mussten, sonst würde nicht nur das unwillige Navi nicht funktionieren, sondern auch der Roller nicht mehr rollen.

So gingen sie zu dem parkenden Taxi und zeigten dem Fahrer die Adresse des Wohnmobilparkplatzes. Mit Händen und Füßen und dem bezaubernden Lächeln von Claudia erklärten sie, was sie wollten. Der Taxifahrer lächelte auch und sagte: „Ich habe keine Lust mitten in der Nacht da raus zu fahren. Tut mir leid“. Dieter versuchte den Taxifahrer mit ein paar Euroscheinen zu überreden. Vergeblich. Wenn man keine Lust hat, hat man keine Lust. Immerhin ließ der unlustige Taxifahrer sich dazu herab, auf ein großes Schild zu zeigen, das einem sagte, in welche Orte man kommen würde, wenn man dem Schild folgte.

Claudia und Dieter nahmen das als Fingerzeig, stiegen auf den Roller und bewegten ihn in die angegebene Richtung. Bald fanden sie sogar eine Tankstelle und erleichtert auch ein Schild, auf dem der Ort des Stellplatzes angegeben war. Müde und erschöpft erreichten sie gegen halb vier Uhr morgens Ihr Wohnmobil.

Am nächsten Vormittag saßen sie am Frühstückstisch und Dieter bemerkte. „Also ich frage mich immer noch, warum das verdammte Ding nicht funktioniert hat. Es ging doch auf der Hinfahrt.“ Claudia sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich habe mir eben nochmal die Anschlussbuchse am Roller angesehen. Da ist ein kleiner Knopf an der Unterseite. Der lässt sich rein drücken. Und ich habe hier die Betriebsanleitung des Geräts und darin habe ich noch einen Zettel gefunden, den die von der Werkstatt wohl in die Anleitung gelegt haben. Auf dem Blatt Papier steht: Wenn gerät akku leer, dann must knopf an Seite unter Motoranschluss quetschen, damit Navigation kann wieder zeigen weg“. Fußnote: Übersetzt aus dem Koreanischen.

Dieter schaute Claudia an, kratzte sich am Ohr und sagte dann etwas verlegen: „Äh, also … Ich habe den Knopf rein gedrückt und schwupps war er draußen. Ich nahm an, das wäre die ‚Ein‘- Stellung.“ Gefährlich leise fragte Claudia „Warum hast Du nichts gesagt?“ „Weil ich mir sicher war, das das richtig ist. Schließlich kenn‘ ich mich mit Technik aus.“ erwiderte Dieter.

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