Von Regina Wolf-Egger

Ich bin angefressen, richtig angefressen. Da habe ich mich jahrelang um die Tante gekümmert, sie jeden Monat zu Kaffee und Kuchen ausgeführt, für sie eingekauft und dann wird statt mir, ihrer einzigen Vertrauensperson, so ein dahergelaufener Nachlasskurator von Gerichts wegen für die „ordnungsgemäße Abwicklung der erbrechtlichen Angelegenheiten der verstorbenen Auguste Miesbach“ bestellt.

„Nein“, hatte mir eine schnippische Stimme am Telefon mitgeteilt. „Es ist nicht möglich vor Abschluss der Erbrechtsangelegenheiten, die Wohnung ohne den Kurator zu betreten. Sollten Sie also einen Schlüssel besitzen, ist dieser dem Kurator auszuhändigen.“

Das tat ich dann auch und anschließend herrschte einmal ein halbes Jahr lang Funkstille.

Eine Frechheit, denn ich bin Tante Augustes einziger Verwandter und sie hat stets betont, dass ihr gesamter Besitz nach ihrem Tod an mich gehen würde. Eine beruhigende Vorstellung, ich gebe es zu, die mich nicht unbedingt dazu motivierte, großen Ehrgeiz zu entwickeln, was meine materielle Absicherung anlangte. Aber leider hat Auguste offenbar kein diesbezügliches Testament hinterlassen.

Meine Tante hatte sehr zurückgezogen gelebt, kinderlos und nie verheiratet, schien sie vor allem in den letzten Jahren kaum noch Freunde gehabt zu haben. Sie ging nicht aus und verfolgte keine kostspieligen Hobbies, hatte auch nie ein Haustier gehabt und so war unser monatliches Kaffeekränzchen der einzige Luxus, den sie sich gönnte.

Bis zu ihrem sechzigsten Lebensjahr arbeitete Tante Auguste als Finanzbeamtin, diente sich bis zur Abteilungsleiterin hoch und wurde mit einer stattlichen Pensionssumme belohnt, die sie zum Großteil auf Sparbüchern sammelte oder in sicheren Aktienpaketen anlegte, wie sie mir bei unseren Kaffeehausbesuchen stets versicherte. In den letzten drei Jahren verließ sie kaum noch die Wohnung, ließ sich das Essen vom Pflegedienst zustellen und wurde auch einmal pro Woche von diesem im Haushalt unterstützt.

Und jetzt braucht mich der Kurator also doch! Fast ein bisschen unterwürfig klang er am Telefon, als er mich bat zu Tante Augustes Wohnung zu kommen und ihm bei der Suche nach den Unterlagen die Immobilie betreffend behilflich zu sein.

Ich kenne den entsprechenden Aktenordner gut, er war immer zwischen den Lebensmitteln in der Speisekammer versteckt, eine Marotte der Tante, die sie mir nie recht erklären konnte.

Um Punkt zehn Uhr treffen der Kurator und ich vor dem Altbau in der Schumanngasse Ecke Morellenfeldgasse ein. Der Mann, der mir zögerlich die Hand reicht, trägt einen grauen Anzug mit Weste und wirkt genauso spießig, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Fast ein wenig wehmütig erklimme ich die Stufen in den zweiten Stock zu Tante Augustes Wohnung, und als ich nach so vielen Monaten wieder die vertrauten Räumlichkeiten betrete, ist mir als müsste die Tante jeden Moment aus dem Wohnzimmer rufen. Sogar ihr Geruch hängt noch in der Luft, ein Hauch von Lavendel und Hirschtalgcreme.

Der Kurator bleibt im Vorzimmer stehen und betrachtet die Bilder an der Wand, Landschaftsmalerei, wahrscheinlich nichts von Wert. Ich sehe mich schon den ganzen Plunder beim Altwarenhändler entsorgen. Ich gehe zielsicher in die Küche und schnappe mir aus der angrenzenden Speisekammer den besagten Aktenordner aus dem Versteck. Ich blase das Mehl vom Umschlag, und schüttle den Ordner ein wenig, um auch etwaige Brösel, die sich da zwischen den Seiten befinden könnten, zu entfernen. Ein loses Blatt flattert zu Boden, ich hebe es auf und betrachte es kurz. Mein Blick bleibt an einer jener Clipart-Graphiken hängen, die Microsoft in grauer Vorzeit den Usern zur Behübschung ihrer Dokumente zur Verfügung gestellt hat. Eine fröhliche Runde Screen Beans sitzt um einen Tisch und spielt Karten. Das Layout ist grauenvoll. Den Text lese ich erst gar nicht. Und außerdem wird auch noch die Schriftart „Comic Sans MS“ verwendet. Ich lege das Blatt achtlos zur Seite und gehe ins Vorzimmer.

„Hier ist der Ordner mit allen Unterlagen“, sage ich, händige ihn dem Mann aber nicht gleich aus.

„Ich habe noch eine Frage“, schiebe ich stattdessen nach.

„Ja, was wollen Sie denn wissen?“

„Wozu brauchen Sie die Unterlagen?“

„Nun, wir ermitteln den Wert der Liegenschaft und diese Papiere könnten diesbezüglich wichtige Informationen enthalten.“ Er räuspert sich.
„Wir sind dabei, das Verlassenschaftsvermögen den Verbindlichkeiten gegenüberzustellen.“

„Ja? Aber Sie lassen sich dabei ordentlich Zeit!“

„Das Ganze ist nicht so einfach.“

„Was soll da schwierig sein? Ich bin der einzige lebende Verwandte meiner Tante und werde doch wohl auch ihr Erbe sein!“

So ein Schnösel, wahrscheinlich ziehen sie die ganze Sache so in die Länge, um ordentlich abkassieren zu können!

„Ja, Sie sind tatsächlich der einzige Erbberechtigte, das ist schon richtig.“

„Aber?“

Warum stottert dieser Trottel denn so herum?

„Es ist so, Ihre Tante hatte erhebliche Verbindlichkeiten.“

„Verbindlichkeiten?“

„Ja. Und deshalb, … ich glaube der Herr Notar hat Sie ja schon davon in Kenntnis gesetzt, dass Sie das Erbe nicht unter allen Umständen annehmen müssen, dass Sie auch eine bedingte Erbantrittserklärung abgeben können…“

„Wieso sollte ich denn das Erbe nicht annehmen? Ja, glauben Sie denn ernsthaft, ich verzichte auf das, was mir zusteht?“

Wieder räuspert er sich. Hat er denn einen Frosch verschluckt? Warum druckst er so herum?

„Ich bin eigentlich nicht berechtigt Ihnen jetzt schon Informationen zu geben, aber in diesem Fall…“

„In diesem Fall?“

„Ihre Tante hatte erhebliche Schulden.“

„Schulden? Meine Tante? Das ist doch gar nicht möglich! Da müssen Sie sich irren! Meine Tante war eine sehr sparsame Frau, sie lebte sehr zurückgezogen…“

„Nun, ich kann Ihnen zu diesem Zeitpunkt nur sagen, dass es Forderungen gibt.“

„Forderungen?“

Ich setze mich auf den Hocker neben dem Telefontisch. Mir wird heiß und kalt gleichzeitig.

„Ja, leider. Es gibt Forderungen in erheblicher Höhe. Deshalb… Aber Sie verzeihen, ich muss jetzt wirklich…“

„Forderungen sagen Sie? Bedeutet das, dass die Forderungen das Vermögen übersteigen könnten?“

Der Kurator nickt jetzt bekümmert. „Das ist gut möglich. Aber das wissen wir jetzt noch nicht. Wie gesagt, wir sind im Moment dabei eine sehr sorgfältige Bestandsaufnahme zu machen.“

Er geht zur Tür und öffnet sie.

„Bitte, Sie müssen jetzt mit mir die Wohnung verlassen. Ich darf Ihnen versichern, dass wir uns bemühen, die ganze Angelegenheit gründlich zu recherchieren und so rasch wie möglich abzuwickeln.“

Ich bin aufgestanden.

„Schulden sagten Sie?“

Er nickt.

Da fällt es mir wieder ein und ich eile rasch in die Küche, um das Blatt zu holen, das vorhin aus dem Aktenordner gefallen ist.

„Einladung zur Pokerrunde am 21. September 1999 um 18.00 Uhr in der Schumanngasse 27“ steht da. 

Eine Pokerrunde? Und meine Tante eine Spielerin? Seit mehr als zwanzig Jahren? Ist es das? Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Ich schaue noch einmal auf das Blatt. Die Screen Beans grinsen mich fröhlich an. Nicht ein einziger macht ein Pokerface.

 

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