Von Miklos Muhi

Groß war die Empörung, als Wla-Pu und sein Volk ihre Nachbarn überrannt hatten. Tod und Zerstörung, soweit das Auge reichte, waren die Folgen.

Wla-Pu war stolz darauf, obwohl die ganze Chose von Anfang an aus dem Ruder lief. Man betonte immer wieder, dass alles nach Plan ginge. Sollte es dem wirklich so sein, wäre das ein sehr bescheuerter Plan.

Man fing an, Wla-Pu und sein Volk zu meiden, was Wla-Pu dazu veranlasst hatte, mit der Ausweitung seiner mörderischen Rage zu drohen. Um den Feindseligkeiten ein Ende zu setzen, wollten man einig und geschlossen gegen Wla-Pu auftreten. Leider wollten nicht alle mitziehen.

Vik-Or war so einer.

Er verärgerte seine Nachbarn immer wieder mit seinem unangemessenen Verhalten. Er bestand auf sein Recht, sich aus dem gemeinsamen Topf zu bedienen, trug aber so gut wie nichts bei. Er bevorzugte auch, sich in der Nähe des Topfes (und manchmal in den Topf selber) zu erleichtern. Das hielt er ebenfalls für sein gutes Recht.

Als man Wla-Pu isolieren wollte, war Vik-Or außer sich, denn er hielt sich für Wla-Pus guter Freund, obwohl Wla-Pu da anderer Meinung war. Vik-Or unterstützte nach Kräften Wla-Pu und seine mörderische Bande: Er trieb Handel mit ihnen und man vermutete, dass er ihnen wertvolle strategische Informationen zukommen ließ.

Vik-Or wähnte sich fest im Sattel. Mit guten Verbindungen zu Do-Tru und Ja-Bol fühlte er sich gut vernetzt.

Alle hatten Angst vor der Zukunft. Wla-Pu wollte nicht, dass es sich herausstellte, dass er nicht zuverlässig zwischen Fantasie und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Vik-Or wollte nicht, dass man erfuhr, dass er mit dem Essen aus dem gemeinsamen Topf in der ersten Linie den eigenen Bauch vollgeschlagen hatte, obwohl man ihm das deutlich ansah. Do-Tru hielt sich für den eigentlichen Führer seines Volkes, obwohl er das nicht war und wollte die Wahrheit nicht hören.

Alle anderen hatte jedoch ganz andere Sorgen: Das Essen wurde knapp und alles verlor rapide an Wert.

*

»Und jetzt?«, fragte Anastasia.

Maxim schwieg. Es gab so viel zu tun, dass er nicht einmal eine Vorstellung davon hatte, wo und wie sie anfangen sollten. Ihre Ersparnisse waren weg und alles, was sie brauchten, war teuer.

»Ich muss mir etwas einfallen lassen«, murmelte Maxim letztendlich und sah sich um.

Er hatte zwei linke Hände. Bisher musste er nie körperlich arbeiten. Die Zeiten waren jedoch vorbei.

Alles sah heruntergekommen und schäbig aus, ganz anderes als in ihrem bisherigen Leben. Sie sahen für sich jedoch keine andere Wahl, als jenes Leben hinter sich zu lassen. Die Entscheidung fiel nicht leicht.

»Wir brauchen Möbel«, sagte Maxim.

»Wir können uns nur etwas Gebrauchtes leisten«, meinte Anastasia.

»Immer noch besser als das hier. Wir müssen uns auf Flohmärkte umsehen oder bei Freunden die Sperrmüllabfuhr spielen.«

Die Raufasertapete sah so aus, als stammte sie noch aus den 70ern. Sie wurde mehrfach übermalt. An manchen Stellen schimmerte die orange Originalfarbe durch die weißen Schichten. Längst vertrocknete Überreste ehemals satter Mücken auf dem weiß-orangen Hintergrund machten den Eindruck eines dadaistischen Kunstwerks. Maxim dachte verstört daran, dass die, deren Blut aus den Mücken gequetscht wurde, vielleicht gar nicht mehr lebten.

In der Küche war alles von einer klebrigen Fettschicht bedeckt. Maxim versuchte es sich nicht vorzustellen, wie lange hier nicht geputzt wurde und wie lange es dauern würde, alles sauber zu bekommen.

Die Duschkabine zeigte keine Spuren regelmäßiger Reinigung oder Instandhaltung. Maxim dachte an seine vergangenen Versuche, den Klempner zu spielen. An die Ergebnisse wollte er sich lieber nicht erinnern.

*

Im Vik-Ors Volk gärte es. Schließlich lebten alle unter der gleichen Tapete und, obwohl alle einer einzigen Spezies angehörten, hetzte Vik-Or regelmäßig gegen die mit dunklerem Panzer.

Wla-Pus Umgebung unternahm alles, um seinen immer offensichtlichen Realitätsverlust zu vertuschen. Da war aber nichts zu machen: Zu viel Tapetenklebstoff verursachte eben Halluzinationen. Jeder wusste das.

Die Spannungen wuchsen ins Unermessliche. Die Zukunft sah düster aus.

*

»Bereust Du es nicht?«, fragte Maxim Anastasia.

»Sollte ich das?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht. Wir sind pleite, wir sind hier und werden wohl in der absehbaren Zukunft hier bleiben. Viel Arbeit steht an, wovon wir so gut wie nichts verstehen. Andererseits aber …«

»Wir sind endlich angekommen«, murmelte Anastasia.

»Ja«, meinte Maxim leise. »Das sind wir.«

Die eingetretene Stille wurde durch leises Kratzen gestört, als würden sich winzige Maulwürfe durch den Putz graben.

»Wo möchtest Du anfangen?«, fragte Anastasia.

»Eine neue Tapete muss her. Das sieht grässlich aus.«

»Wir könnten zum Baumarkt fahren, uns die Tapete aussuchen und alles nötige kaufen.«

»Wird sicherlich nicht billig«, murmelte Maxim.

Die Wohnung haben sie aus eigener Tasche bezahlt und all ihre Ersparnisse dafür ausgegeben. Nach dem Umzug würden sie aber keine Miete mehr zahlen müssen.

»Bevor wir hier irgendetwas machen, rufe ich einen Kammerjäger. Die Bude ist voller Schaben«, sagte Maxim.

 

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