Von Martina Zimmermann

 

„Mein Schatz, möchtest du nicht bis morgen warten um zurück zu fahren?“, hatte Ingo gefragt.

„Es ist schon dunkel und du wirst so leicht müde. Ich kenne dich doch und mache mir Sorgen.“

„Ach, quatsch, ich bin frisch als wenn ich gerade aus dem Bett komme.“

„Wenn du meinst, aber, wohl fühle ich mich nicht dabei. Bleib doch noch eine Nacht hier und morgen früh, fährst du ausgeruht los.“

„Nein, ich fahre gleich los. Mach dir keine Sorgen.“

„Gut, wenn du meinst.“

 

Ich hatte Ingo, meinen Freund, in der Reha besucht und wir hatten einen so schönen Tag zusammen.

Wir waren glücklich. Immer wieder umarmte und küsste Ingo mich. Ich wusste, wie sehr er mich vermisste. Mir ging es genauso und darum fuhr ich jedes Wochenende zu ihm in die Reha. Er brauchte sie. Nach einem Unfall ging es ihm lange Zeit nicht gut und vor unserer Hochzeit sollte er sie machen, damit er körperlich wieder fit wird.

„Wenn du so weitermachst, dann läufst du mir noch weg“, neckte ich ihn und wir lachten zusammen. „Dir werde ich nie weglaufen“, sagte er und er schaute mich so eindringlich an. Wir verstanden uns ohne Worte. Ich wusste, wie sehr er an mir hing und wie er mich liebte.

Unser Verbundenheit war magisch.

 

„Willst du es dir nicht doch überlegen? Ich mache mir Sorgen.“ „Ach, Schatz, ich fahre vorsichtig und in knapp zwei Stunden bin ich zuhause“, sagte ich. Dann küsste ich ihn und er hielt mich fest.

Es war komisch. Unsere Umarmung war länger und anders als alle Umarmungen zuvor. Oder bildete ich es mir ein? Sein eindringlicher Blick mit dieser Besorgnis, die ich in seinen Augen sah.

Ich schüttelte mich innerlich und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Schnell küsste ich ihn noch einmal und sprang mit Schwung in mein Auto. Ingo stand dort und sagte noch: „Fahr vorsichtig, ich liebe dich.“

„Ja, mache ich und ich liebe dich auch.“ Dann warf ich ihm eine Kusshand zu und er schlug die Tür zu, an die er gelehnt gestanden hatte.

Ich startete den Motor und fuhr etwas wehmütig davon. Im Rückspiegel sah ich meinen geliebten Ingo. Er winkte mir nach. Um mich abzulenken schaltete ich das Radio ein. Die Musik beflügelte mich. Roland Kaiser sang. „Gegen die Liebe kommt man nicht an.“ Wie sehr er Recht hatte.

Ein schönes Lied. Lauthals sang ich mit und versuchte meinen Kopf frei zu bekommen, aber vor meinem geistigen Auge sah ich immer noch meinen geliebten Ingo, wie er da stand und mir nach winkte. Nur noch eine Woche getrennt, dachte ich. Dann kommt er zu mir nach Hause. Die Reha ist beendet und wir sind wieder zusammen.

Dieser Gedanke munterte mich auf. Meine Laune wurde sofort besser und beim nächsten Lied.

„Ich liebe das Leben“, sang ich genauso laut wie zuvor.

 

 

Ich schwebe auf einmal wie durch Zeit und Raum. Fühle eine Leichtigkeit die ich in meinem Leben noch nie zuvor besessen hatte. Kann an nichts denken. Als wenn alle Sorgen dieser Welt ausgeschaltet wurden. Alles ist so leicht …

Alles um mich herum ist hell und warm. Wie in eine Decke gehüllt, so behütet fühle ich mich gerade jetzt. Lächelnd verlasse ich den Raum um in den nächsten hinüber zu gleiten. „Was sich dort wohl befindet?“ Ganz langsam gleite ich und mir fehlt es an nichts. Ich fühle mich geborgen und glücklich

„Soll ich in den nächsten Raum schweben?“

Doch plötzlich spüre ich etwas. Ein Gefühl, ich kann es zunächst nicht einordnen, aber es macht mir zu schaffen. Während ich versuche es vergeblich abzustreifen und mich weiter dem hellen Licht zu zuwenden, sehe ich ihn. Ingo, meinen geliebten Ingo. Er wartet auf mich. Ich spüre seine Gegenwart, seinen Schmerz und es zerreißt mich fast.

„Ich kann nicht weiter, ich muss zurück.“

Verzweifelt kämpfe ich gegen diesen Drang, in den nächsten Raum zu gleiten, doch dann

verspüre ich diesen Druck.

Wie durch eine Schleuse, rückwärts gezogen durch einen Sog, den ich noch nie vorher gespürt hatte, wurde ich zurückkatapultiert.

„Wo war ich?“

 

Als ich die Augen öffne, registriere ich, ich liege im Krankenhaus. Ingo sitzt an meinem Bett und eine Ärztin steht neben mir. „Sie hatten großes Glück oder einen guten Schutzengel. Wir mussten sie reanimieren und sie haben gekämpft, alles wird wieder gut.“

Ich nicke, Ingo hält meine Hand.

 

Ich überlege, woran ich mich erinnern kann und dann sehe in Ingos besorgtes Gesicht.  Jetzt fällt es  mir ein …

Ich saß im Auto und ich sang das Lied. „Ich liebe das Leben.“