Von Hans-Günter Falter

Aus dem wohlig, warmen Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit, wuchsen langsam aber zielsicher bittere Früchte von Selbstzweifel.
Gesät von tiefen Verletzungen deiner Vergangenheit.
Genährt von unausgesprochenen Erwartungen.
Geerntet von der Realität deines Lebens.
Deine Träume bekamen keine Gelegenheit sich mit der Wirklichkeit zu vereinen. Die Liebe blieb auf der Strecke. Die Zukunft wurde Vergangenheit. Die Gegenwart hatte keine Chance.
Alle Hoffnungen sind gestorben und längst begraben. Was bleibt sind Kälte und Unbehagen. Und zermürbende Zweifel!

War es nur ein Traum, der sich in dein Leben zwängte und in deinem Kopf ausgebreitet hat? Der dein Hirn gegen deinen Schädel drückte und ihn fast zum Bersten brachte. Dieser Druck, dem du nichts entgegensetzen konntest. Der dir gnadenlos die Tränen aus den Augen quetschte, um ein wenig Entlastung zu schaffen.
Du hofftest, bald schweißgebadet zu erwachen. Aber es nahm kein Ende. Deine Gedanken kreisten, wie die Strudel in einem Fluß, ohne Anfang und ohne Ende, verloren sich im Nichts und begannen von Neuem.
Irgendwann konntest du dich schütteln. Wie Wassertropfen nach einem überraschenden Sommerregen flogen einige Gedanken davon. Nass warst du aber noch immer.

*

In deinen Gedanken fühlte sich das Leben an, wie eine überlaufende Badewanne, die du vergessen hattest, weil deine beste Freundin angerufen hat und du dich zum Telefonieren auf den Balkon gestellt hast. Das Rauschen des Wassers im Hintergrund hatte dich gestört.
Erst als deine Füße nass wurden, hattest du blitzartig realisiert was passiert war. Du bist losgestürzt, hast das Wasser abgedreht. Aber es war längst zu spät. Alles nass und aufgeweicht. Die Erinnerungsfotos auf dem Teppich des Wohnzimmers, genauso wie dein Matura-Zeugnis, das du eben erst bei den alten Fotos wiederentdeckt hattest. Gerade als das Telefon klingelte.
Du hast hektisch versucht das Wasser aufzuwischen, aber es nutzte nichts. Die Papiere waren nicht zu retten. Nichts wurde mehr, wie es einmal war. 

*

Es ging viel zu schnell, nie hättest du damit gerechnet. 

Dein Leben war gleichmäßig und stoisch durchgetaktet, wie das Ticken der Ikea-Uhr in deiner Küche.

Es hätte dich nicht gestört, wenn einfach alles weitergelaufen wäre. Es ist dir schließlich in den letzten Jahren nichts Besonderes aufgefallen. Du warst zufrieden mit dir und mit deinem Leben. Hast nur selten daran gedacht etwas zu verändern und falls doch, dann wurde dieser gedankliche Anflug wie eine aufkeimende Revolution schnell niedergeknüppelt.
Du warst dein eigener Despot, hast dich selbst im Zaum gehalten. Warst Knecht deiner eigenen Zensur.
Du hast dir einen Gedankenkäfig gebaut und freutest dich darüber. Trällertest fröhlich Lieder, wie ein Kanarienvogel, der die Freiheit nie erlebt hat. Flattertest in deinem Käfig umher und konntest doch deine Flügel nie richtig ausbreiten, geschweige denn fliegen. Du hüpftest nur von der linken Stange zur rechten und zurück. Du fandest dich dabei ziemlich verwegen. Vom unbeschwerten, freien Fliegen hattest du keine Ahnung.

Und jetzt? Ganz plötzlich diese Veränderung! Sie musste kommen, weil irgendwann Andere Entscheidungen für dich treffen, wenn du es nicht selbst tust.

Jetzt sitzt du wieder auf deinem Küchenstuhl. Starrst auf die ‚Kölln-Flocken-Dose‘, oben, auf dem alten Küchenschrank. Dein Blick löst sich langsam und bleibt nun an dem tropfenden Wasserhahn hängen. Du stellst dir vor, wie es wäre, wenn Tropfen für Tropfen das Vakuum in dir auffüllen würde. Wenn du den Wasserhahn weiter aufdrehen würdest, so dass das Wasser mehr und mehr Kraft gewinnt und alles aus deinem Leben herausschwemmt, was dich bisher belastet hat, ohne dass du es bemerkt hättest.

*

Du stehst auf, gehst ins Bad und drehst den Hahn der Badewanne auf. Anschließend breitest du deine ‚Reliquien aus vergangen Beziehungen‘, Erinnerungsfotos, Bücher, Zeitschriften, Dokumente, dein Bargeld auf dem Wohnzimmerteppich aus.

Wenn das erledigt ist, rufst du deine beste Freundin an und stellst dich auf den Balkon zum Telefonieren. Damit das Rauschen des Wassers dich nicht stört!

 

 

Epilog:
mal richtig aufdrehn
dabei ganz abdrehn
vor allem wegdrehn
dem neuen zudrehn

 

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