Von Helmut Blepp

Es war so einfach gewesen. Das Haar reichlich mit Gel behandelt, straff zurückgekämmt. Die auffällige Brille durch ein Kassengestell ersetzt. Dazu der biedere Anzug und die geschmacklose Krawatte. Niemand hatte ihn erkannt, was ihm vier wunderschöne Tage in Amsterdam beschert hatte mit Besuchen in Galerien und müßigen Stunden in Cafés ohne den ständigen Rummel um seine Person. Nun saß er wieder in einer Carvair, beobachtete das Treiben auf dem Flugfeld und erwartete den Start in Richtung London. 

„Entschuldigen Sie, Sir!“ 

Er war in Gedanken und fühlte sich nicht gleich angesprochen, doch dann drehte er sich doch dem Gang zu. Eine junge Frau stand da, recht unscheinbar in ihrem Minirock, dem Twinset darüber, aber recht hübsch. 

„Ich habe den Fensterplatz. Dürfte ich mal durch?“ 

„Gewiss doch!“ 

Er erhob sich, schlüpfte aus der Sitzreihe und machte ihr den Weg frei. Sie setzte sich umständlich, die Hände am Saum des Rocks, damit er nicht hochrutschte. Dann seufzte sie zufrieden auf. Er nahm seinen Platz neben ihr ein. Sie lächelte ihn unbefangen an. 

„Ich bin Lucinda“, stellte sie sich vor, während sie ihre Weste aufknöpfte, um es sich etwas bequemer zu machen. Dabei kam über ihrer linken Brust eine Diamantbrosche in Form eines Vogels mit ausgebreiteten Flügeln zum Vorschein. 

„Hallo, ich heiße John. Ein schönes Schmuckstück, das Sie da tragen.“ 

„Ja, das finde ich auch“, bestätigte sie. „Aber es ist leider nur eine Leihgabe.“ 

Sie schwieg einen Moment, weil sie offenbar keine weitere Erklärung zu der Brosche abgeben wollte. Dann fragte sie unvermittelt: „Und was hat Sie nach Amsterdam geführt?“

„Ich hatte hier geschäftlich zu tun“, log er. „Vertragsverhandlungen über Immobilienkäufe. Ziemlich langweilig.“ 

„Klingt auch so.“ Sie kicherte mädchenhaft. 

Die Lautsprecher rauschten. Es kam die Durchsage, dass das Flugzeug startklar sei. Die Passagiere wurden gebeten, sich anzuschnallen und das Rauchen einzustellen. 

 

Als sie endlich in der Luft waren, fragte er: „Was machen Sie eigentlich beruflich?“ 

Sie schien zu überlegen. 

„Das verrate ich Ihnen, wenn wir gelandet sind“, antwortete sie schließlich und lächelte verschmitzt. 

„In Ordnung! Das werde ich wohl akzeptieren müssen. Darf ich dann wenigstens wissen, was Sie nach Amsterdam verschlagen hat?“ 

„Ich habe einen großartigen Mann besucht, einen wahren Zauberer. Es war phänomenal.“ 

„Ein Zauberer?“ 

„Nicht wirklich“, winkte sie ab. „Aber stellen Sie sich vor: Er kann eine Raufasertapete in eine fantastische Landschaft verwandeln, und wenn man sie durchstreift, geht man wie auf Marshmellows. Das Pfeifen eines Kindes, das durchs offene Fenster von der Straße heraufklingt, macht er zu einer sphärischen Symphonie, die einen schweben lässt. Und alles, was man um sich herum sieht, wirkt, als würde man es durch ein kunterbuntes Kaleidoskop betrachten.“ 

„Ein Kaleidoskop wie das Ihrer Augen?“ 

„Sie meinen, dass sie braun und grün sind? Das ist nichts Besonderes in unserer Familie. Aber vielleicht irritierend, wenn man es nicht gewöhnt ist, nicht wahr?“ 

„Stimmt! Ich habe so etwas noch nie gesehen. Doch zurück zu Ihrem Zauberer. Was Sie da geschildert haben, klingt in der Tat magisch. So etwas könnte mir auch gefallen, wenn ich…“ 

„Oh, mit solchen Wünschen sollte man vorsichtig sein“, fiel sie ihm energisch ins Wort. „Keiner weiß wirklich, was er alles in sich trägt. Und wenn es zu Tage tritt, kann eine einladende Wattewelt plötzlich zu einer infernalischen Topografie werden, in der man verzweifelt über scharf gezackte Felsen stolpert. Statt Musik nur schrille Dissonanzen. Und alle Farben münden in ein düsteres Rot, das am Ende von der Nacht gefressen wird.“ 

„Um Himmels Willen, das wünscht man sich keinesfalls.“ Er lachte unsicher auf. „Aber sagen Sie mir, ist der Mann, den Sie aufgesucht haben, ein Künstler?“ 

„Nein, ein Psychiater.“ 

Sie wandte sich ab und schaute aus dem Fenster. 

 

Als sie ihn sachte in die Seite stieß, wachte er auf. Er musste wohl kurz eingenickt sein, nachdem sie das Gespräch so abrupt beendet hatte. 

„Wir landen gleich“, teilte sie ihm mit. 

Da beide nur Handgepäck mit sich führten, waren sie schnell durch den Zoll und traten in die weite Halle des Flughafens. 

„Darf ich Sie noch auf einen Kaffee einladen?“, fragte er. 

„Das ist sehr nett, aber nein danke. Ich muss gleich weiter zu einer Verabredung.“ 

„Schade! Dann sind Sie mir allerdings noch eine Antwort schuldig. Was machen Sie nun eigentlich beruflich?“ 

Sie schaute ihm tief in die Augen, so, als wäge sie ab, ob sie es riskieren könnte, die Wahrheit zu sagen. Dann flüsterte sie ganz nah an seinem Ohr: „Ich schmuggle Diamanten.“ 

Für einen Augenblick war er völlig perplex. Das nutzte sie, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken und dann grußlos zum Ausgang zu eilen. 

Er blieb kopfschüttelnd in der Menge der Reisenden stehen. 

Das Mädchen mit den Kaleidoskop-Augen, dachte er dann bei sich. Vielleicht sollte ich Paul anrufen und mit ihm über die Idee zu einem neuen Song sprechen.