Von Jochen Ruscheweyh

Die Spätnachmittagssonne war um den Häuserblock gewandert und tauchte Heinz Popandas Modellbahn-Börse in ein unwirkliches Gold-Orange. Werner Scholz legte den Märklin-Katalog mit der neu erschienenen TEE Rheingold Serie zur Seite und sagte leise: „Ich glaube, Waltraut hat ein Verhältnis.“

„Mensch, Werner, wie konnte das denn passieren?“, platzte Erich heraus.

„Hör doch mal genau hin, Erich, bevor du losquadderst. Werner hat gesagt, er glaubt, nicht, er hat einen Beweis“, mahnte Heinz Popanda zur Besonnenheit.

„Aber ihr habt doch immer eine tadellose Ehe geführt“, bohrte Erich weiter.

„Jetzt lass ihn doch erstmal zur Ruhe kommen, Erich. Was glaubst du, was Werner grade durchmacht?“

„Wenn es so ist, wie ich denke, dann geht er durch die Höl… , aua, warum trittst du mich?“, bemerkte Erich. Aber da jaulte Fleischmann, Werners übernatürlicher Cockerspaniel, schon auf.

„Mensch, Erich, du weißt doch, dass Fleischmann ein gespaltenes Verhältnis zum Teufel hat. Davon abgesehen: Wir müssen jetzt für Werner da sein und dürfen uns nicht in Spekulationen verzetteln. Wisst ihr was? Ich schließe den Laden für heute, mache uns ein paar Speckbrote und dann besprechen wir alles weitere bei einer Flasche Bier.“

„Ihr seid echte Freunde, was würde ich bloß ohne euch machen?“

„Lass man stecken, Werner, wir sind eben wie die drei Muskeltiere, einer für alle, alle für einen“, erwiderte Erich, beugte sich zu Fleischmann herunter und tätschelte ihm die Flanken: „Und du tust uns den Rücken freihalten, was?“ Der Cockerspaniel gähnte. Erich hielt sich die Nase zu und fragte: „Gibst du Fleischmann Butterfisch zu essen?“

Aber Werner war in Gedanken versunken und antwortete nicht.

 

 

„Der ist gut, der Speck“, stellte Erich fest und pulte sich ein Stück Fleischfaser zwischen den Zähnen hervor. „Verdammt gut“, murmelte er und warf einen Blick auf Werners Teller. Letzterer hatte sein Brot noch nicht angerührt.

Dann war es eine Weile so still, dass man die berüchtigte Stecknadel hätte fallen hören können, wäre da nicht das beständige Rattern der alten preußischen G 8.1 gewesen, die unaufhörlich im Schaufenster ihre Kreise um ein Stadttoporama mit einer Adaption des Lübecker Tors zog.

„Wir müssen mit Köpfchen an die Sache rangehen“, durchbrach Heinz die Stille. „Werner, was machst du, wenn eine Lok auf deiner Anlage nicht rund läuft?“

„Also, ich tu dann drei Sprühstöße WD40 draufmachen und dann ist alles wieder in Butter“, mischte sich Erich ein und zog Werners Teller zu sich heran.

Werner winkte ab: „Meine Waltraut ist doch keine Maschine.“

„Aber manchmal ist sie wie eine am Reden, so viel. Das Brot tust du nicht mehr essen, was, Werner?“

Heinz hob beschwichtigend die Hände: „Nur ein Bild, Werner. Der Schmierstoff für eure Beziehung kann vieles sein: ein romantischer Urlaub im Sauerlandstern oder eine von diesen Perlenketten, die es grad bei Tchibo gibt …“

„Oder du tust einfach mal kräftig zu Hause auf den Tisch hauen!“, erwähnte Erich.

„Das kann ich nicht, Erich. Waltraut ist mein Ein und Alles. Ich liebe sie von ganzem Herzen.“ Bei diesen Worten flatterten Werners Lippen leicht.

Heinz schien das Prekäre der Situation zu erfassen und sagte: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Signalfrequenzen auf meiner Zweitanlage nicht stimmen. Und dann stell ich mich mit der Stoppuhr hin und messe nach. Und? Mein Gefühl hat mich bisher immer getäuscht. Die Intervalle sind korrekt. Was ich damit sagen will, ist …“

„Täte Waltraut denn überhaupt Gelegenheit dazu haben?“, wunderte sich Erich. „Neben ihrem Haushalt und den Orchideen?“

„Sie verschwindet in letzter Zeit immer häufiger und ich kann sie nicht finden. Oder sie sagt, sie müsste Wäsche waschen, aber soviel machen wir gar nicht schmutzig.“

„Verstehe“, entgegnete Erich. „Verstehe. Und wenn du sie einfach mal beschatten tust?“

„Hmm, daran hab ich noch gar nicht gedacht“, entgegnete Werner.

Heinz holte einen Minitrix-Kalender hervor, auf dem die Zahl 1978 zu lesen war. „Hier, Werner, der ist zwar Asbach-Uralt, aber da notierst du ab jetzt alles drin, was dir verdächtig vorkommt.“

Werner nickte und fügte hinzu: „Es tut mir leid, dass ihr mich in diesem jämmerlichen Zustand erleben müsst.“

„He, lass das!“, rief Erich, aber da hatte Fleischmann bereits Männchen gemacht und das Speckbrot im Maul.

 

Als Waltraut am Abend mit einem Korb Wäsche, die Werner nicht besonders verschmutzt vorkam, in den Keller ging, inspizierte er das Bad. Neue Deo-Sorte, notierte er sich in seinen Minitrix-Kalender. Gleichzeitig fiel ihm auf, wie viele Haare sich in ihrer Bürste befanden. ‚Sicher, sie kämmt sich für ihren Liebhaber zurecht‘, dachte er.

In der Küche stieß er auf etwas, das so eindeutig war, dass es ihm schleierhaft erschien, wie er so blind hatte sein können: 5 Becher Kefir! Jedes Kind wusste, dass Kefir das Aphrodisiakum der russischen Zaren war.

„Sie setzt mir Hörner auf“, sagte Werner halblaut, bereute seine ausgesprochenen Gedanken aber schon einen Moment später, da Cockerspaniel Fleischmann loszuheulen begann.

„Komm, alter Junge! Wir werden diesem Sodom und Gomorrha ein Ende bereiten“, stieß Werner hervor und leinte Fleischmann an. „Wir gehen jetzt in den Waschkeller und stellen sie zur Rede!“

Der Cockerspaniel ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich auf die Seite, als hätte ihn das Geschoss eines Jägers erwischt.

„Ja, du hast recht, es wird ungemütlich werden, aber ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.“

 

Wäre Fleischmann ein Buchstabe statt ein Hund gewesen, dann hätte wohl ein X ein passendes Äquivalent dargestellt, denn der Cockerspaniel streckte alle Viere im 45 Grad Winkel von sich, als wolle er sich so breit wie möglich machen, um nicht durch die Kellertür zu passen.

Kurzerhand hob Werner den Spaniel hoch und trug ihn über die Bodenschwelle.

Ein eigenartiger Geruch erfüllte den Waschkeller. Werner konnte nicht sagen, woher. Überall gab es Winkel und Ecken. Der Architekt hatte ganze Arbeit geleistet! Werner war noch nie hier unten gewesen, das war Waltrauts Reich. Hier hatte er sich nicht einmischen wollen. Bis jetzt!

Er hätte den Duft von Lenor oder Perwoll erwartet, stattdessen roch er … Essen? Bekochte Waltraut hier unten jemanden? Das Konterfei eines muskulösen Landstreichers mit freiem Oberkörper, der ein Holzfällerhemd um die Taille geknotet trug, tauchte vor Werners innerem Auge auf. Er konnte seine Wut jetzt kaum bändigen. Nein, es war keine Wut, es war Eifersucht. Pure, blanke Eifersucht.

„Schämst du dich eigentlich nicht?“, rief er, als er in eine der Nischen trat, aus der heraus Licht schien.

 

 

Er konnte nicht sagen, was dort mit Waltraut am Tisch saß, aber die beiden Wesen waren definitiv nicht menschlich. Fleischmann strampelte sich aus Werners Armen frei, sprang auf den Boden und winselte. Verständlich, der calvinistische Pater aus Lüttich, bei dem Fleischmann früher gelebt hatte, hatte den Spaniel in der Kunst des Exorzismus unterrichtet, aber außerirdische Intelligenz war nun etwas ganz anderes.

„Werner! Was machst du denn hier?“, fragte Waltraut. Eines der Wesen streckte etwas aus, das wie eine Waffe aussah. Reflexartig hob Werner die Hände. „Halt, er ist in Ordnung“, rief Waltraut, „na ja, meist zumindest. Komm, setz dich zu uns.“

 

„Wie in aller Welt …?“, begann Werner.

„Grüne Bohnensuppe“, sagte Waltraut. „Sie mögen sie. Das hat sie irgendwie angezogen, als ich neulich welche gekocht hab. Und hast du nicht selbst schon gesagt, meine Hausmannskost wäre galaktisch? Hier haben wir den Beweis.“

„Und … leben sie hier .. unten?“

„Nein, sie kommen nur zum Essen vorbei.“

„Mal was anderes als immer nur Antimaterie“, hörte Werner eine Stimme aus einem der Wesen kommen, die wie ein schlecht eingestelltes Transistorradio klang.

„Und ich dachte, du hättest ein Verhältnis!“

„Was, ich? I wo, bewahre.“

„Weil du dich so zurückgezogen hast.“

Sie nahm einen Löffel, kratzte die restliche Bohnensuppe zusammen und fütterte sie einem der beiden Außerirdischen. Fleischmann kam unterdessen schnüffelnd näher. Als er das eine der beiden Wesen erreicht hatte, wechselte dies seine Farbe von Braun zu hellgelb. Waltraut sagte: „Beiß ruhig ab, Fleischmann, er hat seinen Aggregatzustand von Lebkuchen zu Hühnchen gewechselt. Huhn tut dir gut. Und es wächst nach.“

Beherzt biss der Spaniel zu. Und tatsächlich, bereits einen kurzen Moment später begann die Stelle sich zu regenerieren.

„Du hast auch immer so abwesend gewirkt“, fuhr Werner fort.

„Koch du mal jeden Tag heimlich doppelt, das schlaucht schon. Außerdem du hast deine Eisenbahn und deinen furzenden Hund und zwischen euch passt kein Blatt. Ich wollte auch mal was nur für mich. Und dann sind die beiden aufgetaucht.“

 

„Und was willst du jetzt tun?“

„Ich verstehe deine Frage nicht“, erklärte Waltraut.

„Aber sie können unmöglich hierbleiben!“

„Wieso nicht?“, erkundigte sich Waltraut.

Werner überlegte einen Moment, dann sagte er: „Die Hausordnung und der Mietvertrag.“

„Oh“, entgegnete sie.

„Aber es muss ja keiner erfahren“, fügte Werner einen Moment später hinzu.

„Nein“,  bestätigte sie, „das muss es nicht.“

 

„Ich liebe dich“, sagte er nach einer Weile.

„Bist ein guter Ehemann“, erklärte sie und tätschelte seine Hand.

 

 

Version 2