Von Jochen Ruscheweyh
Wir sitzen im P-Raum und quatschen durcheinander, bis Beckmann einmal kräftig gegen seinen bekackte Tibet-Grillpfanne am Band haut. Ich sag: „Ey, Ringo, bist du jetzt der Diskussionsleiter, oder was?“
Und er: „Störungen haben Vorrang, Wuttke, müsstest du als angehender Pädagoge doch wissen.“
Pavarotti kommt mir unerwartet zu Hilfe: „‘n Takt halten auch, aber davon habbich am Samstag nix gemerkt.“
„Wisst ihr, was das Grundproblem ist?“, wechselt Beckmann die Ebene, „ich reiß mir hier hinter meinem Kit den Arsch auf und ihr steht da vorne, als wärt ihr sowas wie ungeheilt aus dem Wachsfiguren-Lazarett entlassen.“
Teschke wischt zum siebzehnten Mal den geölten Sumpfesche-Korpus von seinem Designer-Bass ab und sagt: „Da hat Beckmann nicht so unrecht, wir müssen schon etwas an unserer Performance feilen, wenn wir einen größeren Zuschauerkreis ansprechen wollen.“
„Stichwort: Bangen!“, wirft Beckmann ein.
Darauf Teschke: „Genau, und wir müssen unsere Bewegungsabläufe auf der Bühne optimieren.“
Teschke is‘ nich’ nur mein Basser, sondern auch mein bester Freund, und besten Freunden fällt man nich‘ in den Rücken. Aber Fakt is‘ auch, dass Teschke ‘n dürrer unbeweglicher einsneunzig Godzilla is‘, der noch bis nach der Grundschule zum orthopädischen Turnen musste und in seinen Bewegungen ungefähr so geschmeidig rüberkommt wie gut durchgehärteter Portland-Zement.
„Dann lasst uns doch sowat wie ‘n Experiment starten, wir bangen uns ab getz die Scheiße aus‘m Kopp und gucken, ob mehr Kids zu unseren Gigs kommen“, bringt es Pavarotti auf eine seiner berüchtigt simplen Formeln. O.k. maybe, aber zum einen seh ich nich‘ ein, dass ich ‘ne Woche mit Schleudertrauma rumlatsch, weil ich am WE vor dreißig Arschnasen in ’nem Piss-Jugendheim Nacken-Aerobic gemacht hab und zum anderen kommen die Songs voll untight rüber, wenn man den Focus mehr auf Stageacting als auf sauberes Spielen legt. Ich sag: „Ey, dann kommen die Songs aber immer voll untight rüber.“
Und Pavarotti: „Wuttke, dat is alles ‘n Ding vonne Übung, ich konnt früher auch nich‘ saufen und singen, und guck getz, wie ich dat perfektioniert hab.“
„Ja, geil“, sag ich, „dafür kriegste den „Jugend furzt“-Preis, zusammen mit Kamerakind Bernie von Eins, Zwei oder Drei.“
Pavarotti findet’s minus-witzig und zettelt ‘n Direkt-Demokratie-Flashmob an: „Ey, wer is‘ für Experiment?“
Teschke und Beckmann heben die Hand.
Die Tür geht auf, Schrö kommt rein, knallt sein Gitarren-Case in die Ecke und farzt los: „Ey, da kommt man einmal ‘ne Viertelstunde zu spät und schon holt ihr schwulen Nazi Nutten eure germanischen Riten raus!“
Ich könnt mich wegschreien, wie Teschke und Beckmann voll reflexartig schuldbewusst ihren Arm runternehmen.
Pavarotti lässt nix anbrennen: „Schröder, wat hältst du von so ‘nem richtig geilen Experiment, wobei is‘ eh latte, wennste dagegen bist, weil Wuttke und du dann überstimmt seid.“
‘ne halbe Stunde später sind wir unser Set am Runterrotzen. Die anderen schrauben sich die Schädel ab. Ich wipp lediglich ‘n bissi mit der Rübe, mit dem Effekt, dass mein Riffing schweizeruhrwerkig aus meiner Box quillt, Schrö und Teschke sich hingegen so durch die Songs rumpeln, wie wenn Mutti Dröhniak ‘ne Handvoll Schrauben mit ihrem Krupps 3 Mix durchquirlt. Ich nutz den Moment, in dem Beckmann zu mir rüberguckt und realisiert, dass ich auf Sparflamme bange, für ’n gepflegten Gegenangriff: Ich hör auf zu spielen und presch vor: „Ey, Pavarotti, du bist ja voll aus der Puste. Du brauchst ‘n Headset-Mikro.“ Was natürlich vollkommener Schwachsinn is‘, weil, ob er seine Rübe mit Mikro in der Hand oder um seinen Schwabbel-Hals shaked, auf die Pumpe geht‘s ja in beiden Fällen. Aber da ich weiß, dass Pavarotti genau so‘n Gear-Freak wie Teschke is ’und ihm immer monster einer abgeht, wenn er sich neues Equipment besorgen kann, kann ich‘s förmlich in seinem Scheisskopp arbeiten sehen. 3, 2, 1 und er: „Ey, wie lange hat‘n der Shop da in Dorstfeld heute offen?“
„Ey, Pavarotti“, sag ich, „wenn ich ‘n Auto und ‘n Lappen hätt, ich tät dich sofort fahren.“
Wie auf Stichwort tritt Mickey, der immer als Bandkutscher herhalten muss, die Tür zum P-Raum mit seinen Schlangenlederimitat-Boots auf. Und Pavarotti: „Ey. Mickey, du alten Luden, kannste mich ma eben ins Music-Center …“ Der Grund, warum der Pave-Man abrupt innehält, is‘, dass Mickey gleich drei Perlen im Schlepptau hat, die Kette Kaugummi kauen und die er uns als Lizzy, Tizzy und Belmonda vorstellt und die 100 pro im Spektrum/Castrop Rauxel frequentieren.
Die drei haben sich grad auf’s Bandsöffchen plumpsen lassen, als Tizzy schon loskoddert: „Könnt ihr auch was von Mötley Crüe spielen?“
Beckmann meint: „Klar!“, kloppt mit seinem Drumstick auf den Rand seiner Snare, dass der Stick hochfliegt und fängt ihn mit der anderen Hand wieder auf. Tizzy darauf: „Häh?“, und Beckmann klärt auf: „Das war aus dem Drum-Solo von Shout at the Devil.“
Ich kann mich zwar an kein Drum-Solo in dem Song erinnern, aber Tizzy is’ galakto-beeindruckt und teilt ihre Stimmung mit ihren zwei Begleithühnern. Das is‘ der Moment, in dem Pavorotti mir zuraunt: „Ey, Wuttke, die Ischen sind zwar Hairspray-Metal, aber auch die sollten ma dat sahnige Geheimnis von Philarotti schmecken dürfen. Pass ma auf, inner Stunde hängen die an meiner Buchse.“
Hmm, ich hab bei Pavarotti eher die Assoziation zu gut durchgezogenem Tilsiter, aber wenn er meint. Er schnalzt mit der Zunge, geht Richtung Söffchen und zeigt auf die mit der monster hochtoupierten Frise: „Belmonda, wat für ’n abgefahrener Name! Wir sind hier auch grad ‘n total abgefahrenes Experiment am fahren: Unser Stageacting. Ey, wat hälts du persönlich von meinem Lieblings-Move, dem Twistocopter?“ Pavarotti wartet erst gar nich‘ die Antwort ab, sondern wirbelt seine Rübe in ‘ne halbschräge Umlaufbahn um seinen Hals. Die Olle mit dem Marmeladen-Vornamen quiekt ihren Mit-Miezen zu, als wär sie nich‘ ganz dicht. Woraufhin Pavarotti sich mit beiden Armen auf der Söffchen-Lehne aufstützt, Brust, Hals und Kopf vorstreckt, mit verdrehten Augen gen P-Raum Decke glotzt und grunzt: „Und dat is‘ der Metal-Rooster!“ Das Witzige is‘, dass bei Pavarotti, seit ihm die deutsche Helga die Murmel geschält hat, manche Stellen kahl geblieben sind, er also tatsächlich Ähnlichkeit mit ‘nem Legebatterie-Huhn hat. Mitten in Pavarottis bizarrem Gebalze quakt Mickey Schrö und mich von der Seite an: „Hey, Leute, da war neulich so’n Kunststudent bei mir an der Werkstatt, der will ‘ne Ausstellung machen, wo nur Bilder hängen, auf denen Fotografen Leute fotografieren, während die wiederum ihre Autos fotografieren und er brauch jemanden, der Hintergrundmusik dazu macht. Habt ihr dazu ‘ne Meinung?“
Schrö umschwult mich mit beiden Armen von hinten und sagt rechts an mir vorbei: „Ja, find ich scheiße, aber Wuttke und ich machen’s, wenn’s Kohle dafür gibt, was Schnucki?“
‘ne Viertelstunde später hat Pavarotti Belmonda die Terror-Turtle, den dänischen Demonizer und die Blackmetal-Bulldogge gezeigt, aber jetzt will auch Belmonda was von Mötley Crüe hören. Pavarotti fischt sich ‘n neues Stifts aus ’m Kasten – Logo, der Pave-Man würd nie ’n anderes Pils beim Shakern ansaugen – und meint: „Band, ihr habt gehört, wat die Ladys wünschen tun, hat einer von euch Flamencoeros wat von der Crüe drauf?“
Ich hab absolute Minus-Böcke auf so’ne Kack-Mucke, also sag ich: „Ey, Mädels, das Problem is‘, das hätten wir vorher bei der GEMA anmelden müssen, wenn wir heute ‘ne Coverversion spielen.“
Die drei ziehen ‘n Entenflunsch, schlucken den Lötzinn aber. Und Pavarotti: „Aber unser eigenes Set, ey, dat hat noch jedes Metal-Chick feucht gemacht, und getz Band, mit vollem Körpereinsatz, woll?“ Er zählt: „One, two, fuck you!“
Aber keiner fängt an.
„Ey, wat soll die Scheiße denn? Warum zockt ihr denn nich‘?“
Darauf Beckmann: „Weil immer noch der Drummer anzählt und nicht Donald Duck.“
Bevor Pavarotti kontern kann, geht die P-Raumtür ein weiteres Mal auf und die beste Steffi der Welt und Teschkes Freundin Babsi kommen rein. Wir busseln uns kurz ab, und Steffi flüstert mir ins Ohr: „Warum is‘ hier denn so miese Stimmung und wer hat die Spektrum-Schicksen eingeladen?“
Ich flüster zurück: „Pavarotti macht auf Tanzschule für Metaller und die Perlen sind mit Mickey gekommen.“
Ich hör vier Zähler und Beckmann explodiert mit dem Drum-Intro zu Beyond the Butcher’s Backyard, wobei ich mich immer noch frag, wer auf den Kacktitel gekommen is‘. Pavarotti startet wieder mit seinem komischen Twistocopter, und Teschke, der vor einer Stunde noch auf dicke Hose gemacht hat, steht jetzt so beweglich da wie ‘ne aufgeklappte Hausfrauenleiter. Was – logo – daran liegt, dass Babsi da is‘, denn Teschke guckt abwechselnd zu ihr und dann zu Pavarotti.
„Ey, Bass-Pimmel, nennst du dat Stageacting?“, macht Pavarotti ihn an, als wir durch den Song sind. Er kommt aber nich‘ zum Antworten, weil Babsi Pavarotti ankackt: „Hör mal gut zu, Träller-Clown, du kannst dein Hirn von mir aus gerne in deiner Hirnschale schwappen lassen, aber mein Freund macht das nicht, okay?“
„Mein lieber Scholli, da tuste ja voll unterm Pantoffel stehn, wat Teschke?“, haut der Pave-Man raus.
„Ich glaube nicht, dass dich unsere Beziehungsinhalte etwas angehen, Rene!“, gibt Teschke zurück. „Im Übrigen empfinde ich das Experiment als gescheitert.“
Babsi haut Teschke gegen den Hinterkopp: „Du stellst augenblicklich klar, dass du dich in unserer Beziehung vollkommen frei entfalten kannst, ja?“
„Ey, leckt mich doch alle mal!“, brüllt Pavarotti, haut ab und knallt die P-Raumtür zu.
„Ist das jetzt, weil ich nach Mötley Crüe gefragt hab, Mickey?“, piepst Belmonda vom Söffchen, der kann aber nich‘ antworten, weil er kräftig mit Lizzy am Rummachen is‘.
Ich sag: „Nee, Belli, du warst vielleicht nur die Unkonstante in Pavarottis Experiment.“
„Gleichung!“, korrigiert Teschke.
„Ist ja auch egal, aber irgendwie hat er nach Harzer Käse gerochen“, überlegt Belmonda laut.
Ich denk, ,danke Belli‘, und spiel – Crüe hin oder her – Smokin in the boys room an.