Von Jochen Ruscheweyh

Partys bei Kurt haben immer den Beigeschmack von altem Männerschweiß, was damit zu tun haben könnte, dass die komplette Crew von seinem senilen Kinderbiker-Club ihre Kutten aus Prinzip nich‘ wäscht. Klar, kann man machen, muss dann aber auch nich‘ rumheulen, dass keine oder die falschen Frauen zu den Partys kommen. Aber zum Glück hat Kurt ja uns, und im Dunstkreis von ‘ner Band – so Kurts ziemlich transparente Taktik – gibt‘s ja immer Frauenüberschuss. Dass die Taktik jedoch nur semi aufgeht, zeigt sich, als ich Steffi frag, wann wir los wollen, weil sie winkt ab und meint, dass sie lieber mit Babsi bowlen geht. Ich kann’s verstehen, find’s aber trotzdem Kacke.

 

Ich treff Teschke auf halbem Weg zu Kurts Bude. Mein bester Freund und Basser is’ ebenfalls solo, logo, weil Babsi ja mit Steffi ‘ne Kugel schiebt.

 „Hast du Bock?“, frag ich.

„Nee, so richtig nicht. Aber Hunger. Ich freu mich schon auf die Enchiladas von Knasti.“

Ich sag: „Ey, Teschke, du verwechselst da was, der mit dem mexican food is‘ Dusty, Knasti is‘ der mit dem Spinnennetztattoo im Gesicht und den drei Punkten auf der Hand.“

„O.k.“, meint er, „Hauptsache, Kurt blickt durch, wer wer ist.“

 

 

 

Statt seine Bude heut zuzumachen oder in Fremdpersonal zu investieren hat Kurt gleich zwei falsche Entscheidungen getroffen: Die Dröhniaks stehen hinterm Verkaufstresen und sollen es richten. Wobei Stehen bei Vatti Dröhniak nich‘ der richtige Ausdruck is‘, epileptische Kreisbahn um sich selbst trifft’s wohl besser. Mutti Dröhniak hat Weingummi-Kirschen in ‘ner Pulle Landwirt Nölkes Doppelkorn eingelegt und will uns beiden Zupfgeigenhanseln aus dem Beat-Club – ich liebe ihre prä-hippireske Blumenpoesie – ‘n Probeschluck kredenzen, aber Vatti Dröniak reklamiert die Brühe für sich selbst und schickt uns mit der Info „Kurt hat hinten abgeplant“ in den Hof.

 

 

 

Der Sinn von Abplanen bei top Wetterbericht für die Woche und fünf Propangas-Burnern erschließt sich mir nich’ ganz, aber vielleicht brauch mexican food Hydrokultur-Ambiente. Bei Teschke und mir führt es drei gezapfte Mönche später – logo, Kurt würd nie was anderes als Stifts Pils durch seine Z-Anlage jagen – dazu, dass wir schon gut im Flow sind. Also besser mal reingehen. Aber in Kurts Altbau-Hütte is‘ kaum ’n Durchkommen, klar, weil‘s drinnen schön kühl is‘. Irgendwo am Ende vom Flur seh ich Beckmann und Mickey mit Rusty und Crusty labern, vielleicht sind‘s aber auch Busty und Gusty. Außer Dusty und Knasti kann ich diese Altrocker nich’ auseinanderhalten.

 

‘n Typ quatscht mich an, ich wend das System 2x ja, 1x nein an. Wodurch ich mich pseudo-oute, Biker zu sein, ‘ne Suzi zu fahren, aber Steppenwolf nich’ zu kennen, was der Typ aber seltsamerweise nich‘ seltsam findet. Irgendwann zupft mich Teschke am Shirt: „Du, Wuttke, ich weiß ja nicht, was zwischen Schröder und Keisha jetzt wirklich ist, aber irgendwie sieht es so aus, als würde es grad etwas aus dem Ruder laufen.“ Ich guck rüber und krieg grad noch mit, wie Keisha ihre flache Hand ziemlich heftig auf Schrös linker Wange parkt.

Normalerweise bin ich nich’ so der Eye for an eye-Typ, aber trotzdem fühlt‘s sich grad an wie Dynamo, Monsters of Rock und Woodstock an einem Tag. O.k. ich bin forever Steffi und die Sache mit Keisha war ’n einmaliger Ausrutscher, zumal Steffi vorher mit mir Schluss gemacht hat, bevor was gelaufen is‘, ich also auch ’ne Legitimizierung hatte. Was aber irrelevant is’, weil ich wieder mit Steffi zusammen und maxi glücklich bin. Na, jedenfalls hat mein Gitarrist nich‘ mit einer rumzumachen, mit der ich mal was hatte. Aber was für die meisten Musiker wohl Ehrenkodex is‘, muss man Schrö sicher erst in seinen gehäkelten Klorollenschutz-Überwurf sticken, bevor er‘s verinnerlicht, die Pissbirne.

Ich will noch was zu Teschke sagen, aber der kriegt grad von Knasti ‘n Gespräch über die Vorzüge der JVA Werl aufgezwungen. Ich angel mir drei Flaschen-Stifts und schäl mich an weiteren Schlauköpfen und verblühten Biker-Uschis vorbei, die „that‘s the man!“ skandieren und wohl Kurt meinen, vielleicht aber auch Dennis Hopper oder Don Johnson, was weiß ich. In so ‘nem verwinkelten und um Eck gebauten Aushilfswohnzimmer hockt Pavarotti und schraubt sich ’n Batman-Sammelband rein. Wir klatschen ab, weil, wie ich immer sag, mein Sänger steht auf große Gesten. „Ey, Wuttke, weißte wat mega traurig is’? Der Batman sitzt da inner Höhle und tut Bücher lesen und is’ voll alleine, obwohl draußen in Gotham City das Leben toben tut.“

Ich glotz Pavarotti an, dann guck ich auf das Heft und sag: „Ja, echt maxi depri, Alter!“

Er fängt davon an, dass er ’n Text drüber schreiben will. Ich hör nur bedingt zu, weil ich genau weiß, wie das endet, nämlich mit jeder Menge cry/die, not fair/despair und hate/fate Reimgruppen.

 

Dann steht plötzlich Keisha im Türrahmen und ich hass mich selbst dafür, dass mir sofort wieder auffällt, wie granate sie aussieht mit ihren schwarzen arschlangen Dreads. Und augenblicklich blendet mein kleines Wuttke-Hirn Pavarotti als nebensächliche Fata Morgana aus. OK, es ist nich‘ diese beschissene Bat-Höhle, aber es klingt irgendwie so erhaben wie in ’nem kathedralenähnlichen Felsloch, als sie sagt: „Schröder kann so ein Arsch sein.“ Ein Statement, was ich, glaub ich, schon öfter selbst benutzt hab.

 

 „Vielleicht seid ihr euch einfach etwas ähnlich“, spontanisier ich zugegebenermaßen relativ unreflektiert.

„Klar, und dafür bist du Experte.“

Ich mach zwei Stifts mit dem dritten auf und halt ihr eins hin. Sie zögert ’n Moment, nimmt‘s aber.

„Keine Ahnung, zumindest kenn ich euch beide.“

„Kuu-ja! Nobadda noas nattn fram mi.“

 

Fuck, von Keishas Schwester Ruby bin ich diesen Rasta-Talk ja gewöhnt, aber bei Keisha is‘ das neu und klingt echt verdammt süß.

 

Ich will grad was sagen, irgendwas, krieg aber erstmal ‘n gepflegten Herzinfarkt, weil ‘n kleiner Junge im karierten Schlafanzug um die Wohnzimmerecke biegt und losheult, dass er nich‘ will, dass Freddie vorbeikommt. Der Paveman alias mein Shouter Pavarotti springt auf und schreit mich an: „Ich übernehm dat, Wuttke, ich hab auch Kinder, ich kenn mich aus!“

Ich seh ‘n Anflug von Sorge in Keishas Blick, weil Pavarotti und Helen alias die deutsche Helga sind nich‘ grad Übereltern für ihre Tochter Lonna Lindsey, und vor allem is‘ die Kurze ‘n bissi jünger als der kleine Mann hier.

Ich kehr trotzdem zum Thema zurück: „Ey, Keish, falls du’s vergessen haben solltest, ich bin ziemlich gut mit deiner Schwester befreundet.“

Ich hätt erwartet, dass sie monster steil geht, stattdessen kommt sie auf mich zu, dringt ohne Zögern in meine personal space zone ein und flüstert mir ins Ohr: „Dina war eine Prinzessin, die jeder wegen ihrer Schönheit und Anmut bewunderte. Sie merkte früh, dass ihr Dad, der Kalif, ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, wenn sie ihm aus ihren smoky eyes entgegen blinzelte.“

Ich sag: „Ey, woher weißt du …?“

„Du bist so naiv, Wuttke. Meinst du, ich hätte noch nie gelesen, was Ruby in ihre Notizbücher schreibt? Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn du bei allem, was du tust oder tun willst, erst immer dran denkst, ob deine Schwester sich benachteiligt fühlt? Ich kann nicht mal einen beschissenen Keks essen, ohne dass in meinem Hirn eine Warnleuchte angeht. Hätte Ruby diesen Keks nicht mehr verdient als du? Verdammt, Wuttke, ich liebe meine Schwester, aber sie kann mich nicht für ihr gesamtes verkorkstes Leben verantwortlich machen. Ich mache sie ja auch nicht für meins verantwortlich.“

 

Auch wenn die Situation grad auf irgend ’ne verdrehte Weise extrem sexy is‘, also mehr emotional sexy als pornös, sag ich: „Naja, irgendwie machst du das schon, jetzt grad.“  Ich wart drauf, dass sie mir eine reinhaut, was beweisen tät, dass ich Recht hab.

Aber dazu kommt sie gar nich‘, weil der Paveman um die Wohnzimmer-Ecke biegt und klarstellt: „Wuttke, ich hab allet voll unter Kontrolle.“

Keisha is’ fixer und fragt: „Welches pädagogische Konzept hast du denn angewandt?“

„Ich hab Nightmare on Elm Street rausgeschmissen“, kloppt sich Pavarotti gegen die Brust, „und die Cassette mit dem voll witzigen Movie mit dem Golfer in den VHS gemacht, Boogeyman!“

„Du beschissener Idiot!“, kack ich ihn an, „du meinst Caddyshack. Bei Boogeyman wird doch schon in der ersten Viertelstunde einer von ’ner runterkommenden Jalousie guillotiniert!“ Simultan kommt der Schrei von nebenan.

 

 

’ne halbe Stunde später is‘ Marvin, der Neffe von Rusty oder vielleicht auch Crusty, tief eingeschlafen, nachdem Keisha ihn mit jeder Menge jamaikanischen Kulturgut-Stories zugetextet hat. Das is‘ irgendwie ‘ne ganz neue Seite an ihr, dieses Mami-Ding, was sie wieder extrem in meinem Ansehen steigen lässt. Ich sag: „Ey, Keish, das machst du echt klasse.“

Sie guckt hoch, und da is‘ plötzlich irgendwas Komisches in ihren Augen, als sie meint: „Hast du dich eigentlich mal gefragt, ob ich die Pille genommen hab, als wir zusammen waren.“

„Ja, nee, ich bin davon ausgegangen“, sag ich, merk aber gleichzeitig, was für ’ne chauvinistischen Kacke ich grad laber.

„Helen hat auch ma abgetrieben“, mischt sich Pavarotti ungefragter Weise ein, und mir wird auf einmal ziemlich übel, weil sich da was auftuen könnte, was ich bisher so nich‘ auf‘m Schirm hatte.

„Ey, Keish“, mach ich n’ Versuch, von dem ich nich‘ weiß, in welche Richtung der gehen soll, „es ist nich’ so, dass ich nich’ …“

„Lass mich!“, schlägt sie meine Hand weg, springt auf und is‘ weg.

Ich jag ihr hinterher ins Partygetümmel. Passender Weise läuft gerade „Vanishing fully from the World“ von den Galactic Rodeo Psychoes. Und das tät ich jetzt auch gerne, aber leider hab ich noch was zu klären.

Ich erwisch Keisha grad noch, als sie auf ihren Kack-Motorroller steigen will.

„Ey, Keish, auch wenn das vielleicht keine richtig geile Story is’, meinst du nich’, ich hab zumindest das Recht, sie zu kennen, wenn ich drin vorkomm?“

Sie sieht’s scheinbar nich’ so, sonder ent-vespa-t in die beschissene Nacht.

Ich geh nach Hause und mach für den Rest der Nacht Kamerad Eule.

Hab ich das verdient?

Ich glaub irgendwie schon.