Von Miklos Muhi
Ich bin ein Konditor aus Paris, der Weltgeschichte geschrieben hat. Doch keiner hat den Namen Francois DeBois je gehört. Heldentum oder diplomatisches Geschick sind mir fremd. Das Einzige, wovon ich etwas verstehe, ist das Backen.
Doch alles der Reihe nach.
*
Nach einigen Auswahlrunden erhielt ich ein lukratives Stellenangebot und kündigte.
Die Begeisterung meines Chefs hielt sich schwer in Grenzen. Er hatte es mit mehr Gehalt, dann mit Anbetteln und Anbeten versucht und erzählte mir, was für ein Personalmangel in der Branche herrschte. Als das keine Wirkung zeigte, hatte er mir vorgeworfen, ihn in den Ruin treiben zu wollen.
Das hatte ich zwar nicht vor, aber seine geschäftliche Zukunft war mir egal. Mit dem von ihm gezahlten Gehalt würde ich nie in der Lage sein, meinen Traum zu verwirklichen: Mich auf eine tropische Insel zurückzuziehen, um sorgenlos meine Tage zu verleben.
Selbst wenn sein Restaurant an den Champs Élysées noch so viele Michelinsterne hatte, hinter den Kulissen war es die Hölle auf Erden. Es gab immer Anlass für Chaos und Stress. Von betrunkenen Politikern und Millionären, die kurz vor Ladenschluss auftauchten bis zu ausländischen Diplomaten und Würdenträgern, die alles beanstandeten, hatten wir die vollständige Palette eingebildeter Spinner als Gäste.
Mit einem Gefühl der Erleichterung verließ ich Frankreich und zog ins Königreich Arabien, um als Konditor im Palast der Herrscherfamilie zu arbeiten.
Der Wechsel war alles anderes als leicht. Mich mit den exotischen Gewürzen und den für mich bis dahin unvorstellbaren Mengen an Zucker im Gebäck anzufreunden, war eine beträchtliche Herausforderung.
Am Ende des ersten Jahres fruchteten meine Anstrengungen, die Landessprache zu lernen. Da die meisten europäischen Ausländer im Land dazu nicht bereit waren, erhoben mich die frisch erworbenen Sprachkenntnisse zusammen mit dem handwerklichen Geschick, das ich mitgebracht hatte, in den Augen meiner Arbeitgeber über die Massen der Gastarbeiter.
Alkohol und Drogen waren im ganzen Land strengstens verboten. Konsum und Handel zogen harte körperliche und Freiheitsstrafen nach sich. Im Palast aber schienen diese Vorschriften ihre Gültigkeit eingebüßt zu haben.
Die Prinzen hatten eine ausgesprochene Schwäche für Schwarzwälder Kirschtorten. Sie mit den geforderten Mengen an Kirschschnaps zuzubereiten, ohne dass die Biskuitböden zerfielen, war eine Aufgabe für sich.
Mit dem Gesöff aus den Lagern des Palastes wurde nicht nur gebacken und gekocht. Hin und wieder endete die Zusammenkunft der Stammesführer in einem kollektiven Rausch.
Eines Tages tauchte der Kronprinz persönlich in der Küche auf und befahl mir, mitzukommen. In einem der Tiefkühlräume blieben wir vor einer Kiste aus Stahl, der mit einem massiven Vorhängeschloss zugesperrt war, stehen. Seine Majestät zogen den Schlüssel aus der Tasche und öffneten sie.
Selbst so tief unter dem Gefrierpunkt verbreitete sich der würzige Duft blitzschnell. In der Kiste lag mindestens 20 Kilo Stoff.
»Weißt du, was das ist?«
»Ich vermute, dass das Haschisch ist, Majestät.«
»Kannst du das in Gebäck verarbeiten? Es darf nicht nach Hasch schmecken oder riechen. Geht das?«
»Erfahrung damit habe ich nicht, aber ich lasse mir etwas einfallen.«
»Das bleibt unter uns. Wenn du etwas zum Probieren hast, bringst du es sofort zu mir.«
»Selbstverständlich«, antwortete ich.
Es dauerte einen Monat, bis die geforderte Zubereitung in der Form von Plätzchen klappte. Dieser Erfolg brachte mir eine Gehaltserhöhung und eine unbefristeten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Es lief bestens. Man hatte den Eindruck, dass das alles ewig und drei Tage so bleiben würde.
Den Ausbruch des Krieges habe ich nur am Rande aus den Nachrichten mitbekommen. Alles schien weit weg zu liegen. Doch die Situation eskalierte immer mehr. Die Kämpfe avancierten zum Thema Nummer eins bei den gemeinsamen Mahlzeiten der Scheichs. Krieg war eben extrem schädlich für die Geschäfte.
Das Herrscherhaus vermittelte zwischen den Parteien und erreichten damit, dass die Friedensgespräche im Palast stattfanden. Das war für das Personal zwei Wochen lang mit einem extremen Arbeitsaufwand und wenig Schlaf verbunden.
Die Delegationen der Kriegsparteien wurden weit weg voneinander untergebracht. Zwischen ihnen waren Diplomaten anderer Vermittler, zusammen mit Vertretern aus den Vereinigten Staaten und Europa einquartiert.
Tag und Nacht wurde verhandelt und so war es nötig, die Küche durchgehend in Betrieb zu halten. Köche mutierten zu Schichtarbeitern.
Inmitten von diesem Chaos ließ der Kronprinz mich zwei Plätzchen aus seinem Vorrat bringen. Er saß hinter dem riesigen Schreibtisch und sah nicht nur übermüdet, sondern ausgesprochen besorgt und traurig aus.
»Euer Gebäck, Majestät«, sagte ich, sobald er seinen Kopf gehoben hatte.
»Danke, Francois«, murmelte er.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Nein, natürlich nicht. Jeder will alles nur für sich, keiner ist bereit, Zugeständnisse zu machen. Jedes Wort stinkt nach Geld- und Machtgier! So etwas habe ich noch nie erlebt und das will schon etwas heißen. Es sieht düster aus für den Frieden und die ganze Welt.«
»Ihr könnt doch nichts dafür.«
»Wenn sie mit ihren Fäusten auf den roten Knöpfe knallen, wird das alles unerheblich sein. Aber ich will dich nicht aufhalten.«
Am letzten Tag der Friedensgespräche war die Unterzeichnung eines Friedensvertrages oder zumindest eines Waffenstillstandsabkommens geplant. Ein Eklat bei der Abschlusserklärungszeremonie und eine weitere Eskalation, die daraus gefolgt hätte, zog man eher in Betracht.
Alles war für die Zeremonie vorbereitet, bis auf Kaffee und Plätzchen. Man hatte vor, das Heißgetränk kurz davor frisch aufzubrühen. Das Gebäck hatte ich einigen Tagen zuvor zubereitet und im Tiefkühlraum gelagert. Auf Raumtemperatur tauten sie in wenigen Minuten auf.
Am vorletzten Tag dauerte meine Schicht extrem lang, so hatte ich mich zwei Stunden vor dem Beginn der Zeremonie hingelegt und war sofort eingeschlafen.
Ich war für das Servieren des Gebäcks zuständig, so hatte sich niemand anderes darum gekümmert. Dass man mich seit langem nicht zu Gesicht bekommen hatte, war nicht aufgefallen.
»Aufwachen, Francois! Die Plätzchen! Schnell!«
Ich öffnete die Augen. Neben meinem Bett stand Omar, ein Staatssekretär des Außenministeriums, ein Cousin des Kronprinzen, die einzige Person, die das Fehlen des Gebäcks bemerkte, und schüttelte mich.
Es hatte etwas gedauert, bis ich wach genug war, um zu erkennen, was Sache war. Das vertrieb vorerst meine Schläfrigkeit. Ich sprang auf und sprintete Richtung Tiefkühlraum.
Das Ganze mutete sich wie ein Besuch im Kino an, als säße ich benommen im Zuschauerraum, unfähig dem Geschehenen auf der Leinwand lückenlos zu folgen. Doch der Film lief unerbittlich weiter. Was für ein Glück, dass ich zu müde war, um mich vor dem Schlafen auszuziehen.
Nachdem ich die goldenen Tabletts mit dem Gebäck im Festsaal abgelegt habe, kehrte ich in mein Zimmer zurück und schlief sofort ein.
»Aufwachen, Francois! Die Plätzchen! Schnell!«
Ich öffnete die Augen. Neben dem Bett stand Omar.
»Habe ich nur geträumt, dass Eure Majestät mich schon einmal wegen der fehlenden Plätzchen geweckt haben?«, fragte ich mit einer Grammatik und einem Satzbau, dass Omar mit Sicherheit physische Schmerzen bereitet hatte.
»Komm sofort mit und schau dir an, was du angerichtet hast!«, forderte er.
Wir sprinteten in sein Büro, wo der Fernseher, der in jedem Land in Europa als Kinoleinwand durchgehen würde, lief. Die Bilder zeigten lachende Staatschefs, die mit den unterschriebenen Friedensverträgen wedelten, und zahlreiche Dolmetscher und Diplomaten, die wie bestellt und nicht abgeholt aussahen.
»Seine Majestät der Kronprinz meinten, dass keiner hier den Frieden will. Was ist passiert?«
»Ich denke, du weißt, was passiert ist. Oder?«
»Mist! Ich habe die falschen Plätzchen serviert«, antwortete ich und bereitete mich darauf vor, dass Omar die Palastwache holte.
»Du hast keine Ahnung, was dir jetzt blüht!«, sagte er.
*
Ich lebe nicht mehr im Königreich Arabien.
Vor meinem Bungalow steht eine riesige Satellitenantenne für den Fernsehempfang. Die ganze Insel, auf der die Temperatur nie unter 25 Grad fällt, gehört mir und liegt in einem neu eingerichteten militärischen Sperrgebiet. Einmal pro Woche kommt ein Kriegsschiff und versorgt mich mit fast allem, was ich mir wünsche, und zwar umsonst und ohne Fragen.
Die Soldaten der Versorgungseinheiten sind nette und hilfreiche Burschen. Sie sind aber nicht bereit, meine Dokumente zurückzugeben, mich hier wegzubringen oder mir ein Satellitentelefon oder irgendein Gerät mit Internetzugang zu bringen.
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