Von Barbara Hennermann

3. Februar

RRRR … RR … R … rrrr 

Das war’s dann wohl. Schnorchelnd gab der Staubsauger seinen Geist auf.

Ich fühlte, wie der Zorn kribbelnd in mir hochstieg.

„Kuuuurt!“ Meine Stimme klang ziemlich schrill, das fiel mir selbst auf.

Mein Angetrauter sah von der Zeitung auf.

„Hilde, was brüllst du am frühen Vormittag herum?“

Es klang ärgerlich.

Aber das kam mir gerade recht.

„Kurt, vor einer Woche habe ich dich gebeten, nach dem Staubsauger zu sehen. Und? Was hast du gemacht? Geht er wieder?“

Erbost stemmte ich die Hände in die Hüften.

Kurt schenkte mir einen nachsichtigen Blick.

„Aber Hilde, Swetlana kommt doch erst morgen! Warum saugst du dann heute?“

Swetlana ist unsere Putzfee.

Heutzutage sind solche Menschen kostbar wie Gold. Das wissen sie auch.

Swetlana erwartet von mir, ein bereinigtes und ordentliches Zuhause präsentiert zu bekommen. 

Sie führt dann die Feinheiten aus. In den drei Stunden, die sie für uns Zeit erübrigen kann. Wenn sie überhaupt kommt … Jedenfalls gebe ich mir größte Mühe, sie bei der Stange zu halten.

Kurt kann das nicht verstehen.

Natürlich nicht.

Swetlana fällt ja in meinen Aufgabenbereich …

Seit wir das Rentnerdasein ausfüllen, haben wir Arbeitsteilung vereinbart. Ich bin für den Haushalt zuständig, er für die Instandhaltung. Womit er ganz klar die besseren Karten hat.

Wobei ich, ehrlich gesagt, froh bin, wenn er seine viele freie Zeit außerhalb mit seinen Kumpels nutzt. Sie haben eine Hobby – Werkstatt in der Nachbarschaft eröffnet, wo sie kleine Reparaturen ausführen, zum Beispiel an unwilligen Staubsaugern.

Kurt war allerdings schon immer der Ansicht, dass sich „das Bisschen Haushalt von alleine macht“. Johanna von Koczian lässt grüßen.

Dafür geizt er nicht mit guten Ratschlägen.

„Hildchen, an deiner Stelle würde ich mir eine to-do-Liste schreiben. Da vergisst du erstens nichts und hast zweitens ein sehr positives Gefühl, wenn du die Dinge abhaken kannst.“

Nun ja. Kurt.

So lange wir beide berufstätig waren, hatten wir auch mehrmals die Woche eine Putzfrau. Wenn man allerdings zuhause ist und dieser bei ihren Bemühungen zuschauen muss, macht es Sinn, die persönliche Resilienz nicht zu sehr auszutesten.…

Jedenfalls spürte ich, dass ich, wieder einmal, an meine diesbezüglichen Grenzen kam. Ich musste mir was einfallen lassen, etwas verändern, öfter aus diesem haushaltsgebundenen Leben ausbrechen. 

Ich führte ein kurzes Telefonat. Dann ließ ich meinen Mann mit seiner Zeitung und dem desolaten Staubsauger am unaufgeräumten Frühstückstisch zurück.

 

Eva erwartete mich schon im Café Bernreuter.

Wie umarmten uns und sie sah mich neugierig an.

„Also Hilde, was ist denn los?“

Eva ist eine langjährige Freundin von mir. Wir kennen uns seit der Schulzeit und arbeiteten beide im gleichen Betrieb. Seit Eva in Rente ist, reist sie ständig in der Welt herum, unternimmt auch sonst viel und genießt ihr freies Leben. Ihr sehr viel älterer Mann hat sie als reiche Witwe zurückgelassen, da kann sie sich das erlauben.

Aus mir sprudelte der ganze Ärger wie ein Wasserfall.

Am Ende schnaufte ich noch einmal tief durch.

„Ich sag dir, Eva, ich muss da was ändern, sonst frisst mich dieses Dasein auf!“ 

Sie legte die Hand auf meinen Arm.

„Na, du wirst deinen Kurt doch nicht nach fast fünfzig Jahren verlassen wollen?“

Ich lachte kurz auf. „Ne, wirklich nicht! Aber ich brauch was anderes, wo ich mal aus meinen vier Wänden komme. Am liebsten würde ich wieder arbeiten gehen!“

Eva überlegte kurz.

„Bist du dir da ganz sicher?“

Ich nickte heftig mit dem Kopf.

„Naja, wie wäre es denn mit einem Ehrenamt? Altenpflege, Flüchtlingshilfe, Kinderbetreuung? Da wirst du überall mit offenen Armen empfangen.“

 

  1. Februar

 

Das Gespräch mit Eva beschäftigte mich rund um die Uhr.

Wollte ich so etwas? Soziales Engagement für ein Dankeschön?

Irgendwie behagte mir das nicht. 

Hatte ich nicht hier im eigenen Heim nun lange genug soziales Engagement bewiesen? 

Und was hatte es mir gebracht?

Zufriedenheit sieht anders aus!

 

  1. Februar

 

Kurt war sehr erstaunt, als ich mir den gewerblichen Teil der Wochenendausgabe unserer Zeitung vornahm.

„Hilde, willst du dir einen Hund anschaffen? Oder einen Gebrauchtwagen?“

Er war sichtlich neugierig.

„Och nö, ich kuck bloß so.“ Sollte ich was finden, würde er es früh genug erfahren.

„Wir suchen engagierte Mitarbeiter in TZ für unsere Zahnarztpraxis – hätten Sie Lust? Näheres unter Dr. Alfred Murcks, Steinstraße 39, Tel. 097483654, während unserer Sprechzeiten“

Na bitte! Das war’s doch!

 

10.Februar

 

Punkt neun Uhr stand ich am Montag vor der Praxistüre.

Kurt war ziemlich überrascht gewesen ob meines zeitigen Aufbruchs, aber ich hatte etwas von „Sonderangebot, Discounter“ gemurmelt. Das hatte er problemlos geschluckt.

Nun stellte ich mich in der Schlange mit den Patienten an. 

Ehrlich gesagt bekam ich mittlerweile Angst vor meiner eigenen Courage. 

Ob die denn überhaupt … im meinem Alter … und wenn sie mich vor all den Leuten auslachen und wegschicken würden … ?

Die Gedanken purzelten in meinem kopf durcheinander.

„Ja bitte. Sie wünschen?“ 

Jetzt war ich dran! 

„Ähem … also …“

Rasch zog ich die Zeitung mit der Annonce aus der Tasche.

Die Dame hinter der Rezeption schien hoch erfreut.

„Ah, das ist ja super! Da lass ich sie doch gleich mal als Erste zum Herrn Doktor.“

Das verärgerte Gemurmel der übrigen Anwesenden missachtend, schritt ich eilends in des Doktors Sprechzimmer.

Als ich mit der Zeitung winkte, wuchs in seinem Gesicht ein breites Grinsen.

„Wie schön, liebe Frau …. ?“ „Adler“, ergänzte ich rasch.

Wir waren uns sofort sympathisch. 

So sehr, dass er die Patientenflut in seinem Wartezimmer sich selbst überließ und wir sofort einen Arbeitsvertrag aushandelten.

Trotz meines Alters!

„Na, Frau Adler, Sie sehen jung und frisch aus, das packen Sie bestimmt!“

Meine Aufgabe würde die Rezeption sein, das war nach meiner früheren Berufstätigkeit ein Klacks für mich. Fünf Tage die Woche, von neun bis dreizehn Uhr. Die Bezahlung stimmte auch. Ab ersten März würde ich ins Arbeitsleben zurückkehren.

Frisch gewagt, ist halb gewonnen.

In bester Laune machte ich mich auf den Heimweg.

 

Zuhause erwartete mich das Übliche … Ich legte die zerflederte Zeitung zusammen und räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine. Immerhin hatte mein Mann den Staubsauger mitgenommen.

Mein guter Kurt würde sich auch umstellen müssen …

 

  1. Februar

 

Sonntags frühstücken wir meist etwas ausführlicher.

Da es keine neue Zeitung gibt, kann man sich sogar mit Kurt unterhalten.

„Kurt?“ Ich bemühte mich sehr um einen lieblichen Tonfall.

Kurt wurde sofort misstrauisch.

„Hab ich was verpasst? Hast du was ausgemacht für heute? Ich wollte heute endlich mal wieder bei uns das Fußballheimspiel ansehen. Die anderen gehen auch alle hin.“

Beschwichtigend legte ich meine Hand auf seine.

„Ne, alles gut. Das kannst du gerne machen. Ich wollte dir nur was sagen.“

Ich berichtete von meinem Vorhaben und auch, dass schon alles fest ausgemacht war.

Meine Erzählung schloss ich mit den Worten „wenn der Staubsauger neulich nicht auf einmal ganz den Geist aufgegeben hätte, wär ich da gar nicht draufgekommen“ ab.

Zu meiner Überraschung nickte Kurt verständnisvoll mit dem Kopf.

„Ja, manchmal ist es nur ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Und dann fügte er noch hinzu:

„Wir werden das Kind schon schaukeln. Müssen uns halt beide etwas umstellen.“

Der gute Wille strahlte so aus seinen Augen, dass mir ganz warm ums Herz wurde.

Mein allerliebster Kurt! Er war halt doch ein Schatz.

Jetzt galt es nur noch, die guten Vorsätze umzusetzen …

 

  1. April

 

Rückblickend war der März ein guter Monat.

Die Arbeit macht mir Spaß und ich bekomme auch viel Anerkennung dabei.

Das tut gut!

Kurt hat sich daran gewöhnt, dass ich erst am Abend koche. Das mache ich auch gern. Er räumt mittlerweile sogar die Spülmaschine ein und aus. 

Öfter mal gehen wie jetzt auch zum Essen. 

Da ich ja ganz gut zu meiner Rente dazu verdiene, haben wir eine neuer Putzfrau. Aus der Truppe, die in der Praxis putzt, kommt eine sehr tüchtige Amira einen ganzen Vormittag zu uns. Kurt ist ja daheim …

 

Eben sitze ich wie jetzt jede Woche mit Eva im Café Berneuter auf einen Kaffee zusammen.

Im Mai planen wir ein Wellness-Wochenende. Gebucht ist es schon.

Auf meinen ersten geleisteten Arbeitsmonat leisten wir uns heute einen Prosecco..

Eva prostet mir zu. 

„Gut schaust du aus! Hast doch die richtige Entscheidung getroffen. Wahrscheinlich wirklich besser als ein Ehrenamt zu übernehmen.“

Ich nehme einen tiefen Schluck. Und dann verschlucke ich mich fast, vor Lachen.

„Weißt du was? Das passt schon mit dem Ehrenamt. Das hab ich auch.“

Und dann prusten wir beide los:

„Genau! Zuhause!“ 

 

V2  Z 8551