Von Clara Sinn
Spermium zwei überholte Spermium eins beim Andocken an Madame Eizelle.
Irgendwie. Musste sie daran denken. Wie es wohl wäre. Wenn es sie gar nicht gäbe. Beziehungsweise, wenn es gar nicht sie gäbe. Sondern jemand ganz anderen. An ihrer statt.
Keine Klavierstunden mit Fräulein Risse, die normalerweise nur Gesangsunterricht gab.
Das hätte es in der gesamten Weltgeschichte sonst nie gegeben.
Keine Vertrauensarbeitszeit. Je. In ihrem Betrieb. Die sie ganz einsam ausgefochten hatte. Bevor später dieses Gesetz kam, dass man als Arbeitgeber doch irgendwelche Stundennachweise einzufordern hatte.
Eine so kurze wie unwiederbringliche Ausnahme-Zeit in diesem langen Ablauf öder Gepflogenheiten einer modernen arbeitsteiligen Welt.
Sie hielt Know-how vor, über das weniger Könner verfügten, als Finger an einer Hand. Gleichauf mit der Fördermittelexpertin der Sparkassen, der Bewilligungsmanagerin der Regionalverbände und dem Justiziar im Wirtschaftsministerium.
Wobei alle ihren Schwerpunkt hatten. Beihilfespitzfindigkeiten, Zweifelsfälle der EU-Kommission, Auslandsförderungen. Sie selbst hatte ihr einschlägiges Fachwissen ziemlich gleichmäßig auf diese Gebiete verteilt.
Entsprechend hoch konnte sie pokern, bei ihrer Beraterfirma einzufordern, was ihr richtig erschien. „In meinen Sitzungen neben Kaffee und Tee Qualitätsmineralwasser.“ Und zwar still, sprudelig und medium.
Sie hatte sich ausbedungen, im Büro zu erscheinen, wie es ihr ideal passte. Wenn auch vor halb zwei. In jedem Fall. An diesen 14 Tagen. Blockarbeitszeit. Die Hälfte ihrer Stunden. Fürs gleiche Geld. Von vier Monatswochen zwei. Dafür am Stück.
Top Unternehmen. Wenn auch manchmal mit seltenen Gebräuchen. Wie diesem Recht auf eine zweite Frühstückpause. Der Konzern war aus einer Architekturwerkstatt hervorgegangen und hatte dies auf Baustellen übliche Gebaren beibehalten.
Auch kein Fall von Feng-Shui & Co. In diesem Consultingladen. In einer hypernoblen Umgebung aus Glas und Beton, über ihrem weißen Designerschreibtisch großformatige Kitschbilder von dahinmäandernden Steinplattenwegen in üppiger Urwaldvegetation. Und Schlimmeres.
Und keine Frau. Die es erlebt hätte. Wie es ist.
Sich die Haare wachsen zu lassen. Einen Cognac zu trinken. Im Atlantik zu schwimmen.
Auf tausend Arten. Da.
Zu sein. Auf einmalige Weise.
Und sie hatte eine Antwort zu ersinnen auf diese hartnäckige Frage in ihr, was sie aus ihrem Leben, nicht bloß dem Berufsleben, gemacht hatte.
Was war die wichtigste Errungenschaft dieser verflossenen 60 Jahre?
Ja, klar, Zweisamkeit. Zwei gelungene Ehen.
Aber was war der wirkliche Kern, das absolut Elementare, an dieser Gnadenerfahrung Existenz?
Und sie befand, dies unteilbar Einzigartige. Das sie verkörperte.
Dass sie zu dem stand.
Wie sie war.
Zu diesem Original, das es niemals wieder geben würde, wenn sie nicht mehr war.
Hatte entschieden.
Gut, böse, schwarz, weiß, begabt oder nicht, jung, alt, Mann, Frau … ganz egal. Alles gereichte
wohl.
Zu dieser, zur Abwechslung einmal angemesseneren, weit-weithin würdigenderen Wertschätzung. Des ultimativen Jackpotloses. Im Mutterleib.
Während sich die Chancen für einen Sechser im Lotto auf lächerliche 1:15.500.000 beliefen, stand die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf dieser Erde gezeugt und geboren wurde, wenn man alles einberechnete, Vorfahren und Kriege und Naturkatastrophen, kurz: sämtliche erdgeschichtlichen Eventualitätenspiele, bei 1:400.000.000.000.
Reichte
das nicht?
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