Von Hans-Günter Falter
„Hallo?
Ist da wer?
Haaaaallooooo!!
Haben Sie sich etwa verwählt? Sagen Sie endlich was! Da ist doch jemand. Das merk ich doch. Kommen Sie raus. Aber sofort.
Oder wollen Sie, dass ich böse werde? Sitzen Sie mit Ihrem Telefon hinter meinem Schrank?
Los sagen Sie was! Sonst hol ich die Polizei.
Wollen Sie das? Das kann böse enden, für Sie. Ist Ihnen das eigentlich klar?
Ich bin eine alte hilflose Frau. Da macht man keine Späße. Jedenfalls nicht ungestraft.
Haaaaallooooo!!
Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen? Suchen Sie denn etwas Bestimmtes hier in meinem Haus? Geld hab ich nicht. Hihi!!
Jedenfalls keins, das Sie finden werden. Ist nämlich super super gut versteckt. Da kommen Sie nie drauf. Das Versteck hat sich mein Mann ausgedacht. Es ist so raffiniert. Kein Einbrecher würde es jemals finden, hat er immer gesagt.
Sind Sie etwa ein Einbrecher? Nun kommen Sie schon. Mir können Sie es doch sagen. Ich verrate nichts!! Ich gehe auch nicht zur Polizei, war nur ein Scherz. Hören Sie, es war nur ein Scher..erz. Sche..e..erz.
Wenn Sie rauskommen und ich sie sehen kann, dann verrate ich Ihnen auch, wo das Versteck ist. Und da ist ziemlich viel drin. Wir haben unser Geld nämlich nicht zur Bank gebracht, sondern immer in unserem Versteck gebunkert. Den Banken kann doch keiner trauen. Stimmt´s? Trauen Sie etwa den Banken?
Na, sagen Sie schon!
Also gut, ich verrate es Ihnen auch so, aber dann zeigen Sie sich. Versprechen Sie mir das?
Ich habe Sie etwas gefragt! Es ist ziemlich unhöflich, einfach nicht zu antworten, wissen Sie das? Ziemlich unhöflich!
Also unser Versteck ist im Haus. Das hätten Sie wohl nicht gedacht, was? Gleich wenn Sie reinkommen, müssen Sie nur …
Haaaalloooo!!
Wer hat denn da geklopft? Ich lege den Hörer mal beiseite, nicht auflegen. Hören Sie?
Herein.“
„Hallo Tante Trudie, wie geht es dir denn heute?“
„Wer sind Sie und woher kennen Sie mich?
„Aber Tante Trudie, ich bin doch die Petra, deine Nichte, die Tochter von Willi.“
„Ich kenne keinen Willi!“
„Willi, dein jüngerer Bruder.“
„Kann nicht sein, ich habe keinen Bruder, nie gehabt!“
„Ach, Tante. Ich habe dich schon auf dem Flur gehört. Hast du mit jemandem gesprochen?“
„Sehen Sie hier etwa jemanden?“
„Hast wohl wieder mit dir selbst geredet. Die Schwestern hier im Heim sagen, dass du das häufig machst in der letzten Zeit. Ich glaube du vermisst deine gewohnte Umgebung, besonders das Haus.“
„Was reden Sie denn da, ich bin doch in meinem Haus und ich führe auch keine Selbstgespräche!“
„Natüüürlich Tantchen, du weisst noch alles. Erzählst du mir wieder was von Onkel Karl.“
„Kenn ich nicht!“
„Als ich neulich hier war, hast du mir erzählt, dass ihr im Haus ein Versteck hattet, in dem euer ganzes Geld und der Schmuck sind. Onkel Karl hat ja sehr gut verdient, aber auf eurem Konto war nicht viel. Das Versteck kann ich nämlich nicht finden. Habe schon alles abgesucht und auf den Kopf gestellt. Kannst du dich an das Versteck erinnern?“
„Nö!“
„Das Geld könnte ich gut gebrauchen. Wenn ich es nicht finde, kann ich dich leider nicht mehr besuchen kommen, das wäre doch sehr schade, findest du nicht?“
„Hmmm.“
„Wenn ich nicht herausbekomme, wo das Versteck ist, wird in deinem Haus sicherlich viel kaputt gehen bei der Suche. Das willst du doch nicht? Kannst du dich denn wirklich gar nicht erinnern, wo ihr euer Geld aufbewahrt habt?“
„Nö!“
„Ich sage es natürlich niemandem weiter, versprochen!“
„Ich auch nicht. Auch versprochen. Warum kommen Sie mir denn jetzt so nahe, so als ob wir uns gut kennen würden?“
„Tante Trudie, sag mir endlich, wo das Geld ist, dann hol ich dich auch wieder in dein Haus zurück.“
„Ich sag Ihnen gar nichts.“
„Ach Tantchen, du bist richtig störrisch. Ich muss jetzt auch wieder gehen.
Soll ich die Banane, die da auf dem Nachttisch liegt mitnehmen, oder isst du sie noch?“
„Sie sind wohl verrückt, nehmen Sie die Finger von meinem Telefon.“
„Ach Tantchen, du bist wirklich sehr sonderlich und tüdelig. Machs gut, ich geh dann mal.“
„Haaaalloooo!!
Da bin ich wieder, war irgendeine Verrückte, die so tat, als würde sie mich kennen. Wo waren wir? Ach ja, bei dem Versteck, also: gleich wenn Sie reinkommen, müssen Sie nur …, … aber Sie versprechen mir, dass Sie mich dann jeden Tag besuchen, abgemacht?“
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