Von Bernd Kleber
Also ich muss schon sagen, das war ja vielleicht was. Am Ende eskalierte alles fürchterlich und ich wusste gar nicht, wie ich ohne Scham wieder vors Haus gehen sollte…
Aber fange ich von vorne an. Mein Name ist Hilde Kalweit, ich bin in Berlin-Schöneberg geboren und habe immer Belle Etage gewohnt. Mein Mann war schließlich bis zur Pensionierung ein gut situierter Beamter.
Wir haben zwei Kinder großgezogen, die sind auch beide was geworden, da kann man als Mutter schon stolz sein.
Mein Hobby ist Backen. Ich habe mich jetzt auf Etagentorten spezialisiert und kreiere die schönsten Türme zu den Anlässen, die sich bieten.
Und nun erzähle ich Ihnen, was mir Peinliches passiert ist oder besser meinem Gatten. Denn ich war ja nicht schuld am Schlamassel.
Hach, wo fange ich nun bloß an?
Neulich haben wir unsere Freundschaft eingeladen: Erwin und Klara Ruhlstädt. Die wohnen zwei Straßen weiter und wir kennen sie schon viele Jahre. Durch unsre Kinder. Irgendwann ist daraus eine nette regelmäßige Kartenrunde entstanden. Doppelkopf oder auch manchmal Canasta und wenn ich mich gar nicht durchsetzen kann, langweiliges Rommé.
Ich liebe ja aber mehr die Kartenspiele mit Pep. Beim Rommé schlafe ich fast ein. Aber wenn Klara es sich einmal in den Kopf gesetzt hat, klimpert sie mit ihren unechten Hilde-Knef-Wimpern und die beiden Kerle fressen ihr aus der Hand. Sie achtet auch peinlichst darauf, die Männer nicht sehen zu lassen, wenn sie mir die Zunge herausstreckt. Miststück manchmal.
Also, es war Spieleabend geplant und ich mache dann so gerne einen Mettigel, flankiert von einem Käsehappenigel. Und mein Mann Herbert macht eine leckere gespritzte Pfirsichbowle. Da darf man ja auch nicht kleckern, wenn Freundschaft kommt. Da muss man schon bisschen klotzen.
Das Highlight ist jedenfalls meine Etagentorte. Die Torte schaffen wir ja nicht und auf den Zuckerhaushalt müssen wir auch achten. Aber ich will ja was anbieten. Die Klara staunt immer.
Aber ich merke, ich verplappere mich.
Ich also an dem Vormittag zur Halle. Dort kaufe ich alles, was ich benötige. Mett lasse ich gerne ganz frisch durchdrehen. Dann Käse, dazu die Cocktail-Kirschen und natürlich alles, was ich für den Tortenaufbau zugeben muss. Fondant, Marzipan, Lebensmittelfarbe, Mehl, Eier, gute Butter, na Sie ahnen es, es gibt zu tun.
Als ich aus dem Supermarkt komme, verfolgt mich ein ganzes Stück so ein Bengel, langer Lulatsch, schlurft dicht hinter mir. Ich die schweren Taschen. Bleibe ich einfach stehen. Drehe mich um und sehe ihn erstmal an, mit meinem Blick, da wissen die meisten gleich Bescheid. Guckt der depprig und fragt, ob er mir die Tasche tragen soll? Ich denke, keine blöde Idee… und sage: „… aber nur, wenn de die Beene hebst!“
Der lacht und lief nun wie Storch im Salat, freche Aasbande, die jungen Leute. Am Haus bleibt er stehen und fragt, ob er noch hochbringen soll. Da sage ich: „Junge, ick wohne Belle Etasche, dit schaffe ick alleene…“
Grinst er und bietet an: „Na Frau …, wenn ich wieder mal helfen kann…“
„Kalweit, junger Mann, Kalweit!“
Herbert meinte später, das war der große Fehler, herrjeh. Adresse und Name! Stehen ja auch im Telefonbuch.
Na egal. Ich mache alles zurecht, Herbert liest stöhnend und murmelnd Zeitung.
Als ich in der Küche fertig bin, fängt er wieder an. Ob ich schon vom Enkelbetrüger-Trick, von Überfällen, Einbrüchen und Vergewaltigung gehört hätte.
Aber ich bitte Sie, wer vergeht sich denn an einer älteren Dame wie mir? Diese Phantasie möchte man ja nicht haben. Ich beruhige ihn mühselig. Herrjemine, Männer!
Zum Glück kamen schon Erwin und Klara. Wie immer zu früh. Diesmal passte es, um Herbert ruhig zu stellen.
Wir tranken Kuchen und aßen Kaffee, nein, natürlich umgekehrt, verzeihen Sie bitte. Und man lobte wieder meine Torte, sie sei die beste von allen bisher… Ich sah mich unsicher um, da ich ja anscheinend jedes Mal die gelungenste abliefere.
Dann ging es ans Karten spielen. Ich hatte eine Gewinnersträhne, was Klara ziemlich sauertöpfisch dreinblicken ließ.
Als ich aufstand und ankündigte, ich würde schnell den Mett- und den Käseigel fertig machen, meldete sich Klara schnippisch, das würde sie heute nicht vertragen. Ich fragte: „Warum denn nich, meene Grundjute?“
Ja, sie hätte da was, muss ja nichts Ernstes sein, aber ihr wäre mehr nach Pizza und ohnehin fand sie ja im Briefkasten diese Speisekarte und brachte die mit und wolle das jetzt ausprobieren, Erwin und Herbert seien auch mal für Abwechslung.
Ich holte tief Luft und stemmte die Hände in die Hüfte: „Na, dat habt ihr euch ja jut ausjedacht!“
Dieses Biest, wann hatte sie das nur eingefädelt? Als ich die Torte hereingeholt hatte sicherlich. Und wer bezahlt den Italiener? Herbert ganz bestimmt. Na wunderbar!
Also bewaffneten wir uns mit unseren Lesebrillen und begannen zu studieren, was es auf der quietschbunten Karte des Italieners angeboten gab.
Ich entschied mich für eine kleine Pizza Salami. Die anderen wuselten vor und zurück, bis sie sich endlich festgelegt hatten. Klara orderte für sich dann noch Tiramisu, trotz meines Hinweises auf die Torte, die ja in Masse vorhanden war und reichlich Sahne enthielt.
Herbert meinte: „Hildchen, ruf mal an… du hast so eine schöne Aussprache!“ Das lehnte ich aber energisch ab, ich lasse mich ja nicht vollkommen für dumm verkaufen und legte die Bestellung Klara vor die Nase. „Das macht Klara gerne, war ja auch ihre Idee und sie wird dem Italiener schon was flöten…“, trug ich mit spitzem Mund hochdeutsch vor.
Alle lachten wir, außer Klara, die zu unserem Telefonhörer griff. Ich meinte, sie könne mein Mobiltelefon benutzen, dann müsse sie nicht so an der Hörerstrippe ziehen. Aber das wollte sie wegen der Strahlen am Kopf nicht.
Dann ging es hin und her, alles musste sie wiederholen. Das andere Ende verstand wohl schlecht. Am häufigsten rechtfertigte Klara sich, nur ein Tiramisu zu bestellen, obwohl wir doch vier Essen geordert hatten.
Dann fing Klara an, in Ihrem Handy etwas zu suchen. Ich fragte, was sie da krame. Sie schüttelte nur den Kopf und begann zu buchstabieren und aufzuzählen.
Ich bin erstmal raus, das kann ich ja nicht haben, solche Umstandskarnickel. Als ich wieder in die Stube kam, war endlich bestellt und ich räumte den Apparat in den Korridor.
Wir spielten weiter unsere Karten, ich ständig am Gewinnen, die Männer tranken Kurze und Klara ziemlich viel von Herberts Bowlen-Geheimrezept. Na, Sie können sich ja vorstellen, es wurde immer lauter.
Irgendwann klingelte es dann. Ich sprang auf, rannte zur Tür und nahm das Essen in Empfang. Natürlich haben wir allein bezahlt. Aber das merke ich mir, nächstes Mal bei den Ruhlstädts nehme ich die Speisekarte des Inders mit, die wir im Kasten hatten.
Wir ließen es uns dann schmecken. Ich hatte alles auf das Rosenthaler Geblümte aufgetan, bisschen Kultur muss schon sein. Klara wollte ihre Pizza gleich aus dem Karton fressen. Na aber auf keinen Fall, hier in der Belle Etage!
Dann spielten wir noch einige Runden, bis meine Frau Ruhlstädt meinte, sie hätte jetzt keine Lust mehr zu verlieren und würde nur noch eine Tasse Kaffee trinken und dann würde man sich nach Haus begeben wollen.
Nun musste ich also nochmal Kaffeegeschirr auftafeln, aber man macht es ja auch gerne, wenn man Besuch hat. Beim Räumen fiel mir dann das Handy vom Tisch.
Ich hob es auf und bemerkte, dass es einen nicht gehörten Anruf gegeben hatte. Das Ding war auf stumm geschaltet. Ich also schaue genauer nach, man kann ja heutzutage alles kontrollieren, welche Nummer, welcher Name und welche Zeit.
Die Nummer kannte ich nicht. Das wunderte mich dann schon ein wenig. Wer ruft bei mir denn am Samstagabend an? Es gab eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter von diesem Gerät, eine Technik heutzutage, ja?!
Also, ich rief da an, schaltete den Lautsprecher ein und eine Stimme war zu vernehmen: „Frau Kalweit, hallo, hören Sie mich, hm… okay, ich rufe später nochmal an. Hallo? Hallo?“
Herbert holte tief Luft und sah hin und her, erst zu Erwin, der mit den Schultern zuckte, dann zu Klara.
Sie dann: „Na, was weiß ich denn, welche Männer Hilde so kennt, Ich sag´ nur, Hilde, die wilde!“
Herbert schnaubte, ich noch mehr: „Klara!“
Sie: „Na ja, ist doch so!“
Herbert riss mir das Telefon aus der Hand und drückte auf Wiederholung der Nachricht. Dann sah er mich an: „Wer ist das Hilde, sag!“
„Wees ick doch nicht! Lasst uns jetzt Kaffee trinken.“
Herbert meinte: „Ruf zurück, vor unseren Augen und Ohren…!“
Ich: „Nein, hör auf!“ Herbert fuchtelte mit dem Handy herum und konstatierte: „Dann mache ich das!“
„Sach mal, spinnst du jetzt? Derjenige wird sich schon nochmal melden, wenn es wichtig ist! Vielleicht war it der nette Junge von heute Nachmittag, der meene Einkäufe jetragen hat.“
Herbert lief rot an. „Oder ein Enkeltrick-Betrüger!“
Klara juchzte auf und hielt sich ihre Hand vor den Mund. Erwin rief: „Ruf den an und wir rufen die Polizei!“
Ich erwiderte noch: „Kommt ja jarnich in Fraje, hört uff jetze!“
Aber da hatte er schon die Rückruftaste gedrückt und den Lautsprecher an und alle drei hielten den Atem an.
„Ja bitte?“, hörte man einen jungen Mann.
Herbert brüllte los: „Was fällt Ihnen ein, hier anzurufen? Verfolgen Sie meine Frau?“
Vom anderen Ende war nun zu hören: „Hallo, wer ist denn dort überhaupt?“
„Kalweit, Herbert Kalweit! Und wir sind keine wehrlosen Rentner! Wir fallen auf Sie nicht rein!“, schrie Herbert.
Mir wurde ganz heiß.
Und dann, „… wir brechen Ihnen die Beine, und rufen die Polizei …“, fügte Erwin an.
Ich setzte mich in den Sessel und sah meinen zitternden Herbert an … und nun fiel es mir ein…
„Der Italiener! Herbert, der Italiener!“
Herbert verstand nicht, aber wir hörten: „Hallo, was sind Sie denn für ein alter böser Mann, ich hatte angerufen, um die Lieferung bestellter Speisen anzukündigen! Bestellen Sie hier bitte nie wieder etwas, Sie haben ab jetzt Hausverbot!“. Dann legte der auf.
Herbert sackte zusammen und Klara flüsterte: „Hausverbot. Wie peinlich ist das denn?“
Na, der Abend war gelaufen! Aber auch gut, ich sage nur: „Mett- und Käseigel.“
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