Von Clara Sinn
Von je her hatte sie sich Menschen und besonders sich selbst als Haus vorgestellt. Mal war sie Stadtresidenz mit fettesten Mauern, wie man sie von alten Burgen kennt, mal Gutshöfchen mit prächtigster Parkanlage, mal aufs Cleverste eingerichtetes Tinyhouse.
In all ihren Behausungen gab es ein verbotenes Gemach, Gelass oder zumindest eine Ecke …
Das größte in diesem Glasschloss. Außer einem schmalen Rundgang hinter der durchsichtigen Fassade, war das ganze Gebilde ein einziger No-Go-Bezirk.
Und wenn sie nun, zur Abwechslung, jenes Haus war, in dem sie tatsächlich wohnte …?
Die gesamte Wohnung ein einziges verbotenes Zimmer. Bis aufs Bett …
Ihre ausladende Bettstatt mit herumlaufendem Sockel. Weniger Treppe zur riesigen Spezialmaßmatratze denn Ablagefläche. Für noch zu lesende Zeitschriften, iPad, Abendmedikamente, Papiertaschentücher, Kram.
Ihr großzügiges Lieblingsmöbelstück war das Herzstück des Hauses …
Gegengewicht. Zur Verbotszone. Deren Brennpunkte Küche, Bad, Flur, Wohn-, Arbeits- und Esszimmer waren.
Wieso eigentlich?
Die Küchenzeile, übernommen, minderwertig. Das Badezimmer, abgenutzt, immer noch unrenoviert. Die Garderobe überfüllt, in Wohn- und Essbereich der falsche Tisch … Kein Erker, kein begehbarer Schrank, nicht mal eine Abstellkammer. Die Flächenaufteilung … war es auch nicht. Warum ihr, mal an diesem Platz, mal von jenem Ort stärker dies „Betritt mich nicht“, „meide mich“, „wohn hier auf keinen Fall“ so unhörbar wie nachhaltig entgegentrat.
Als ob da schleimige Wesenheiten einer vampiristischen Unterwelt hausten …
„Dir ist es verboten, mit Schmuddelkindern Umgang zu haben!“ Die Kücheneinrichtung von Ikea, Badfliesen billig, in der Diele Bekleidung, die in ein Ankleidezimmer gehörte.
„Dir ist es verboten, einen ärmlichen Eindruck zu machen!“ Aber warum hatte sie denn Discounterkühlschrank oder Baumarktarmaturen bisher nicht längst ausgetauscht?
Wieso diese Blockade, das Rundüberholen zu wagen? Radikales Erneuern. Küchengeräte, die ihr gemäßer waren. Bad in Lieblingslindgrün.
Das kannte sie. Alles. Spitzenwohnerlebnis. Mit zwei Bädern. Vom Designer.
Hatte sie. Auch nicht. Glücklich sein lassen.
Ganz im Gegenteil.
Es war die hohe Zeit von Depression & Co. In suizidaler Zuspitzung.
Mit Trennung und Kompromissunterkunft ging es besser. Bergauf.
Aber sie hatte ihre alte Persönlichkeit. Mitgenommen.
Diese latente Unzufriedenheitsneigung. Unbewusste Verdrussorientierung. Ihre Fremdbeschuldigungsroutine.
Irrtümlich.
Und sie trat vor ihre innerliche Küchenfront. Niedermachervampire lungerten an der defekten Dunstabzugshaube, zogen Hängeschranktüren schief. „Schlampermonteure sind deiner unwürdig!“
Schaute sich weiter um. Auf dem Schreibtisch voller Gebrauchsspuren fläzten sich weitere Entwerterwidersacher. „Makel sind nicht erlaubt!“
Selbst am Bettsockel lehnten höchst heimisch allerhand Widerwärtigkeitsfiguren. „Die Magazine hier hast du noch gar nicht zu Ende gelesen!“
Und sie zählte durch. Hier ein Tabuzimmer, dort ein Aversionsareal, alles zusammen ein einziger Verurteilungsraum. „Du bist nicht gut genug!!“
Iggittt…
Da durchfuhr es sie plötzlich durch Mark und Bein.
In der Wohnung direkt unter ihr hatten die Handwerker ein penetrantes Mörderhämmern angesetzt, dass die Wände erzitterten.
Sie ließ ihren schockgefrosteten Körper los.
Ignorierte das Vibrieren der Vitrine und dieses fiese Klirren der Gläser.
Machte widerstandslos mit.
Ließ mit diesem gewaltsamen Mauerdurchbruch eine Etage tiefer auch ihre Wohnung in Stücke krachen, bis alles um sie her zerstoben darniederlag in schierer Staubasche und die Wohnungsbesetzervampire erfolgreich erstickt waren.
Als neue Wohnung lebte sie deutlich abweisungsfreier.
Ob ohne Fehl oder mit,
mir
recht.
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