Von Ingo Pietsch
Ich bin gerne bei meinem Großvater gewesen. Er bewohnte eine Holzhütte mitten im Wald.
Und obwohl es dort ein bisschen gruselig aussah, war es die schönste Zeit in meinem Leben.
Meine Eltern hatten eigentlich nie Zeit für mich, weil sie immer am Arbeiten waren. Deswegen war ich auch ein Einzelkind geblieben.
Ich verbrachte den Großteil meiner Ferien und Feiertage bei meinem Großvater, da meine Eltern auf Geschäftsreisen oder bei Meetings unterwegs waren.
Natürlich wurde ich nicht einfach so ohne Hintergedanken in den Wald abgeschoben.
Erstens hatten meine Eltern Zeit für sich und zweitens sollte mein Großvater angeblich einen Schatz besitzen, auch wenn dies nicht den Anschein hatte, denn er lebte er sehr bescheiden und zurückgezogen. Ich sollte meinen Opa also ausspionieren.
Aber er war schlauer, als er aussah und hatte das Spielchen schon von Anfang an durchschaut.
Mich hatte Mal interessiert, warum meine Eltern ihn nicht selbst gefragt hatten.
Aber sie waren auf den sturen alten Mann nur schwer zu sprechen gewesen und behaupteten er habe den Kontakt zu ihnen abgebrochen, weil sie unterschiedlicher Meinung gewesen waren, bei wichtigen Entscheidungen.
Eigentlich wollten meine Eltern nichts mehr mit ihm zu tun haben, denn er lud uns zu allen möglichen Feiertagen ein, was aber immer abgewiesen wurde. Man sah ihm an, dass sein eigener Sohn kein Interesse mehr an ihm hatte.
Umso mehr freute es ihn, wenn ich zu Besuch kam.
Seine Hütte grenzte an einen kleinen Berg und oben auf einem Plateau gab es sogar einen Weiher mit Fischen. Der Teich war so tief, dass mein Großvater mir verboten hatte, allein dorthin zu gehen, bis ich richtig gut schwimmen konnte und alt genug war.
Das Gelände war einige hundert Hektar groß und verteilte sich um den Berg.
Es gab neben dem urwüchsigen Wald und dem Weiher noch einen Bachlauf, an dem man prima Staudämme bauen konnte.
Die wirkliche Größe des Grundstücks erfuhr ich erst bei der Testamentsvollstreckung. Und tatsächlich gehörte alles meinem Opa, wie meine Eltern schon gewusst hatten.
Es war kein Familienbesitz gewesen, denn er kaufte es erst kurz nach Ende des Krieges.
Da er fremd hier war, stellte auch niemand Fragen über seine Finanzen.
Es war schon ungewöhnlich, dass sich ein junger Soldat gleich Kriegsende sich so etwas leisten konnte.
Er besaß auch noch einen uralten, aber sehr zuverlässigen Unimog, den er im Wald immer einsetzte und damit zum einmal die Woche zum Einkaufen fuhr. Mit ihm lernte ich auch Autofahren.
Mein Opa lebte fast völlig autark. Obwohl er Strom und fließend Wasser hatte, stand in der Garage ein Dieselgenerator.
Mit Holz heizte und kochte er und baute sein Obst und Gemüse weitgehend selbst an.
Er zeigt mir, wie man Pflanzen vermehrte, angelte, sich ohne Kompass im Wald orientierte, Hasenfallen baute und mit dem Taschenmesser umging.
Ich brachte auch mal Freunde zum Zelten mit, musste meinem Großvater aber versprechen, dass niemand rauchte oder Alkohol trank.
In der Hinsicht war er sehr eigen oder diszipliniert, wenn man es so ausdrücken wollte.
Aber am coolsten waren die Winterferien, wenn wir uns bei Eis und Schnee in seiner Hütte verschanzten und uns bei kaminwärme Actionfilme ansahen. Am allerbesten war die Rodelbahn, die er extra für mich angelegt hatte und wenn sie übergefroren war, machte die Abfahrt sogar noch mehr Spaß.
Natürlich fragte ich ihn immer wieder, warum er so einsiedlerisch lebte und den Kontakt mit Menschen vermied. Nicht für meine Eltern, das war mir egal, sondern weil mich das wirklich interessierte.
Ich wich dann immer aus und wechselte das Thema.
Ich beließ es dabei. Wenn er soweit war, würde er es mir sicher erzählen.
Als ich meinen Führerschein hatte, mussten mich meine Eltern nicht mehr zu ihm hinfahren, denn es war schon eine längere Strecke mit dem Auto.
Meine Eltern empfanden es oft als unangenehm mit ihm zu reden und drucksten eigentlich nur herum, um schnell wieder fahren zu können und machten unterschwellige Bemerkungen, wie „Du hast es schön hier, wie kannst du dir das alles leisten?“, um mehr über seinen Besitz zu erfahren, was natürlich nicht klappte.
Mit meinem Studium und der ersten Freundin wurden meine Besuche dann immer seltener, obwohl ich die gemeinsame Zeit doch sehr genoss. Meine Freundin hielt ihn für den besten Opa der Welt.
Und da hatte sie auch Recht.
Wir hielten mit Handy und Internet weiter Kontakt.
Da er sich kaum für die Außenwelt interessierte, war ihm auch alles Bürokratische egal.
Sein Führerschein und Personalausweis, waren seit Urzeiten abgelaufen und der Unimog hatte seit den Achtzigern keinen TÜV mehr gesehen.
Obwohl er immer wieder versucht hatte, sich mit meinen Eltern zu versöhnen, war es ihm nicht gelungen. Er war darüber sehr traurig, sogar verbittert geworden.
Aber er war nicht hartherzig und in seinem Testament vermachte er seinen gesamten Besitz meinen Eltern und mir einen Treuhandfond.
Allein schon das Grundstück war ein Vermögen wert, doch das reichte meinen Eltern nicht.
Einmal im Sommer, als wir am Weiher saßen und ein Lagerfeuer entfacht hatten, erzählte er mir die Geschichte, wie er zu dem Menschen geworden war, der er jetzt war.
„Ich war 17 gewesen, kurz vor Ende des Krieges“, sagte er mit Blick in die Flammen gerichtet. „Eigentlich hatten wir an die Ostfront gemusst, doch unser Konvoi war an der Ostseeküste aufgerieben worden. Ich war der einzige Überlebende und musste mich durch die Kälte kämpfen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wo ich hinmusste. Schließlich kam ich zu einem kleinen Dorf, wo ein Dutzend deutscher Soldaten Frauen und Kinder im Gemeinschaftshaus zusammengetrieben hatten. Es gab auch ein paar alte, aber die meisten Männer waren zwangsrekrutiert worden und nicht mehr da.
Als ich eintraf warnten sie mich, ich solle mich nicht in ihre Angelegenheiten mischen, sonst würde ich das nicht überleben.
Sie plünderten alles und was sie mit den Frauen unter Alkoholeinfluss machten, wollte ich mir nicht vorstellen.
In der Nacht wurden wir von den Russen überrascht. Ich war wieder der einzige Überlebende und konnte die kleine Gruppe unserer Feinde schließlich wie durch ein Wunder ganz alleine überwältigen.
Ich war leicht verletzt und blutverschmiert, als ich die Frauen und Kinder auf einen Transporter verfrachte und so lange fuhr, bis uns der Sprit ausging. Wir waren bis Schwerin gekommen und nicht einmal angehalten.
‚Aus Dankbarkeit schenkten sie mir eine kleine Schatulle. Als ich sie später öffnete fand ich darin Edelsteine und Goldstücke, die immer wieder weitervererbt worden waren.
Und eine junge Frau schloss sich mir an, die dann deine Großmutter wurde, als ich nach Niedersachsen zurückkehrte.“ Tränen rannen ihm die Wangen, als er es erzählte. Er wollte nie wieder mit einer so einer Unmenschlichkeit konfrontiert werden, wie er es im Krieg erlebt hatte und kehrte nach dem frühen Tod meiner Oma der Welt den Rücken.
Im Testament hatte er verfügt, das ich die Truhe erst ein Jahr nach seinem Tod erwähnen sollte. Und er sagte mir auch ganz genau, was ich erzählen sollte.
Also saß ich mit meiner Frau und meinen Eltern zusammen und sprach über das Geheimnis, das er mir verraten hatte: „Die Truhe hat er im Wald jedes Jahr unter einem anderen Baum vergraben. An dem jeweiligen Stamm machte er dann eine entsprechende Notiz, damit er sie wiederfinden konnte. Und das wichtigste: Man kann sie mit einem Metalldetektor nicht finden, weil der Berg und der Boden sehr erzhaltig ist.“
Mein Großvater hätte sich sicherlich über die entgleisten Gesichtszüge gefreut, denn das hatte er im Sinn gehabt.
Ich hatte größte Schwierigkeiten ein Grinsen zu unterdrücken und meine Frau drückte meine Hand so fest, dass es wehtat.
Opa hatte nämlich geahnt, dass meine Eltern, die meisten Bäume fällen und den Boden umpflügen würden, um den Schatz zu finden. Aber daran würden sie sich die Zähne ausbeißen, denn die Schatulle stand bei uns Zuhause im Safe.
Aber der größte Schatz werden die gemeinsamen Erinnerungen sein.
