Von Miklos Muhi

Paul wurde in Handschellen vorgeführt. Er hielt das für unnötig. Er versuchte nie, zu fliehen. Seine Bewacher sahen das jedoch anders und Paul fügte sich. Er arbeitete eng mit der Strafverfolgung zusammen. Er machte die Tür auf. Zeigte den Beamten, die seine Wohnung durchsuchten, alles, was sie sehen wollten. Er bekannte sich schuldig und legte ein umfassendes Geständnis ab.

 

Aus dem Gewahrsam wurde U-Haft und sein Pflichtverteidiger konnte nichts dagegen machen. Der junge Anwalt war alles anders als inkompetent. Es gab jedoch viele Schattierungen zwischen »jeder hat das Recht auf einen Anwalt« bis »die Behörden arbeiten mit dem Anwalt des Beschuldigten zusammen und nehmen ihn ernst«.

 

Pauls Fall kam vor Gericht. Die wenigen Verhandlungstage erstreckten sich über fünf Wochen. Er verbrachte diese Zeit in einer Einzelzelle.

 

Er vertrug die Haftbedingungen schlecht. Sein Rheuma quälte ihn Tag und Nacht. Der Gefängnisarzt wollte lange Zeit nichts davon wissen. Aufgrund seiner Erfahrungen ging er davon aus, dass Paul sich eine Extrawurst sichern wollte.

 

Als Pauls Anwalt die ärztlichen Atteste vom Hausarzt und Rheumatologen abgeliefert hatte, war der Arzt bereit, seine eigenen Untersuchungen zu veranlassen. Diese Episode endete damit, dass Paul einen sehr wirksamen Entzündungshemmer verabreicht bekommen hatte.

 

Hätte der Knastdoktor die Atteste von Anfang bis Ende durchgelesen, hätte er ebenfalls erfahren, dass Paul solche Medikamente schlecht vertrug. Die Neben- und unerwünschte Wirkungen meldeten sich postwendend, aber niemand war daran interessiert. Vergeblich hatte der Anwalt Blutabnahme und Untersuchung in einem externen Labor durchgesetzt. Die Ergebnisse ließen eine Leberschädigung vermuten, aber alles blieb beim Alten.

 

Nun war die Beweisaufnahme abgeschlossen. Die Protokolle der Durchsuchungen wurden gesichtet und die Zeugen hatten ausgesagt. Staatsanwalt Dr. Daniel Ludwig langweilte sich die meiste Zeit. Sinnvolle Fragen hatte er nur für die Sachverständigen und nur solange, bis sie das sagten, was er hören wollte.

 

Am Ende des letzten Verhandlungstages hatte der Anwalt des Angeklagten das Wort.

 

»Geehrtes Gericht! Sie hatten die Gelegenheit, viele Zeugen anzuhören, die vieles über den Charakter des Angeklagten zu berichten hatten. Kein einziger Zeuge war der Meinung, dass es beim Angeklagten sich um einen bösartigen Menschen handeln würde. Der Angeklagte war in seiner Nachbarschaft vor allem für seine Hilfsbereitschaft bekannt. Alle mochten ihn und alle, die wir gefragt haben, waren bereit, hierherzukommen und zu seinen Gunsten auszusagen. Auf die Versuche des Herrn Dr. Ludwig, alle Zeugen der Verteidigung als unglaubwürdig darzustellen, möchte ich auch hier nicht eingehen. Experten und Beamte, die bei der Hausdurchsuchung dabei waren, konnten nichts bezeugen oder herausfinden, was der Angeklagte nicht bei seinem ersten Verhör zugegeben hat. Was passiert ist und wie, ist geklärt. Wir haben Ihnen auch das Warum ausführlich dargelegt. Wir bitten Sie bei der Urteilsfindung das alles zu berücksichtigen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.«

 

Das Murren im Saal ebbte nur nach den richterlichen Hammerschlägen ab. Das Gericht zog sich zur Urteilsfindung zurück.

 

»Wenn Blicke töten könnten, wären wir jetzt beide tot«, murmelte Paul.

»Was meinen Sie damit?«

Paul nickte in Richtung Staatsanwalt. Dr. Daniel Ludwigs Blick ließ keine Zweifel aufkommen, was er sich als Urteil wünschte.

»Ich verstehe«, sagte der Anwalt. »Doch das kann selbst der Herr Dr. Ludwig nicht.«

»Was meinen Sie, was kommt jetzt?«

»Die Urteilsverkündung, die kommt jetzt. Wie das Urteil lauten wird, das kann ich nicht sagen. Unter anderen Umständen mit einem anderen Staatsanwalt, der sich im Griff hat …«

»Er hat eigentlich recht«, sagte Paul und lachte auf.

»So recht er auch haben mag, man darf so etwas in einem Gerichtssaal nicht sagen.«

 

*

 

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte Paul Tosch wird wegen Anbaus und Besitzes von Cannabis zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

 

 

Das Gericht kann die vom Angeklagten geforderte Notlage unter den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen nicht vollständig gelten lassen. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass in seiner Lage, mit seiner Krankheit und seinen Verträglichkeitsproblemen, was die übliche Medikation betrifft (in dieser Hinsicht möchte das Gericht ausdrücklich betonen, dass es den Argumenten der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt ist) zusammen mit der Weigerung seiner Krankenkasse Kostenerstattung für medizinischen Cannabis zu leisten, fast nur der Weg in die Illegalität übrig geblieben ist.

 

Die einzige andere Möglichkeit, die dem Angeklagten theoretisch offen ist, ist Rechtsstreit mit der Krankenkasse. Laut Prozessakten fehlen ihm jedoch die nötigen Mittel dafür. Das ändert nichts an der kriminellen Natur dessen, was er getan hat.

 

Das Gericht möchte betonen, dass es Mittel und Wege gibt, Erstattungen für Anwaltskosten von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen zu bekommen.

 

 

*

 

»Danke«, sagte Paul seinem Anwalt.

»Gern geschehen. Bitte rufen Sie mich nächsten Montag an. Ich habe schon mit verschiedenen Vereinen und Stiftungen zusammengearbeitet, die die Kosten für den Rechtsbeistand in solchen Fällen übernommen haben. Bei Ihnen ist da definitiv etwas zu machen.«

»Wie zum Beispiel den Topf voller Geld am Ende des Regenbogens zu finden?«, fragte Paul.

»Nein, den gibt es nur in den Märchen. Jetzt verschwinden wir, bevor der Herr Dr. Ludwig uns die Hölle persönlich heißmacht und mir aufzählt, welche Rechtsmittel er einlegen wird.«

 

Version 2