Von Björn D. Neumann

Die Studioband setzte ein und spielte einen eingängigen Swing. Mit einer Hand schnippte der Moderator im Takt mit, in der anderen hielt er die Moderationskarten. Abseits der Kameras leuchteten die Hinweise an das Publikum auf, jetzt mit dem Applaus einzusetzen. Wie auf Kommando brach ein ohrenbetäubender Orkan aus. Jubel, Gekreische und Händeklatschen. Mit einer beschwichtigenden Geste und seinem Zahnpasta-Lächeln wandte sich der Gastgeber den Menschen auf den Zuschauerplätzen zu.

„Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich! Was für ein schöner Abend! Ich danke Ihnen! Willkommen bei ‚Miller Tonight‘! Ich bin Ihr Ben Miller.“ Die Band spielte einen Tusch. „Präsident Nixon ist wegen des Watergate-Skandals zurückgetreten.“ …“ Das Publikum johlt. „Vor seiner letzten Wahlkampftour besuchte er noch eine Schweinefarm in Missouri. Als der Fotograf der Washington Post ein Foto machte, raunte ‚Tricky Dick‘ ihm zu: ‚Nicht, dass Sie etwas Dummes schreiben, wie etwa ‚Nixon und die Schweine‘. Am nächsten Tag stand in der Zeitung ‚Präsident Richard Nixon (Dritter von links)‘.“ Gegröle im Publikum. „Nein, nein. Nur Spaß. Wissen Sie, was der Unterschied zwischen dem Weißen Haus und dem Washington Theatre ist? Nein? Im Washington Theatre werden gute Schauspieler schlecht bezahlt.“ Wieder ein Tusch und schallendes Lachen im Studio. „Wo wir bei Künstlern sind. Lassen Sie uns über meine heutigen Gäste reden. Es sind zwei ehemalige Mitglieder einer der berühmtesten Bands aller Zeiten. Zwei Musiker der berühmten Beatles. Begrüßen Sie mit mir die großartigen John Lennon und Paul McCartney!“ Die Zuschauer erhoben sich von den Sitzplätzen und erneut brandete tosender Applaus auf, als die Musiker unter Begleitung der Melodie von ‚Lucy in the Sky with Diamonds‘ das Fernsehstudio betraten. Von den adretten Pilzköpfen am Anfang ihrer Karriere war nicht mehr viel übrig. Mit ihren langen, zerzausten Haaren und legerer, weiten Kleidung entsprachen sie dem Zeitgeist der 70er. Lennon unverkennbar mit einer getönten Brille mit kreisrunden Gläsern. Paul inzwischen mit Schnauzbart.

„Paul, John, seien Sie herzlich begrüßt. Wie geht es Ihnen?“

Paul winkte ins Publikum, während John sich lässig in den Sessel fallen ließ, mit zwei Fingern der rechten Hand zum Peace-Zeichen ausgesteckt.

„Mir geht es blendend, Ben“, antwortete Paul als Erster. „Und ich bedanke mich, hier zu sein.“

John nickte. „Peace!“

Ben Miller nahm seine Karten zur Hand. „Paul, ich habe gelesen, dass es zu einer Re-Union der Beatles kommen soll? Die Fans wären begeistert, oder?“ Bill sah auffordernd zum Publikum, dass tosend zustimmte.

„Nun, wir sind in guten Gesprächen. Ringo und George sind nicht abgeneigt. Bleibt nur …“

„John?“, hakte der Moderator nach.

Lennon zog eine Augenbraue nach oben. „Wissen Sie, Ben, mir kommt es darauf an, was wir sagen möchten. Geht es nur darum, einen schnellen Dollar zu machen, sage ich ‚nope‘. Wir haben eine Verantwortung, Zeichen gegen Krieg und Unterdrückung zu setzen. Da bin ich mir mit Yoko vollkommen einig.“

Paul seufzte. „Yoko. Wer sonst?“

„Ja, Paul, Yoko. Im Gegensatz zu dir besitzt sie den Blick auf die Dinge, die wirklich wichtig sind. Und sie hat schon einige hervorragende Ideen für ein Comeback.“

„Sitzen wir dann alle tagelang zusammen in einem Bett und singen vor Fotografen?“, fragte Paul süffisant. „Wenn diese“, Paul suchte nach Worten. „Frau“, spie er förmlich aus. „Dabei ist, bin ich raus!“

„Paul …“, versuchte Ben eine Zwischenfrage zu stellen, aber kam nicht weiter zu Wort.

„Du hast uns unsere Beziehung nie gegönnt. Eifersüchtig?“

„Worauf? Auf zwei abgespacte Hippies im Drogenrausch?“

„Dir täte es vielleicht mal gut, dein Bewusstsein zu erweitern.“

„John, ich glaube …“ Wieder kam Ben nicht zu Wort.

„Ja, damit dann solche meisterlichen Songtexte wie bei ‚Lucy in the sky with diamonds‘ rauskommen?“

„Worauf willst du hinaus? Das ist eine Kindergeschichte. Inspiriert von ‚Alice im Wunderland‘ und einem Bild, das mein Sohn Julian gezeichnet hat. Es ist seine Klassenkameradin Lucy O’Donnell.“

„Oh, sicher. Und diese Lucy hat Marshmellowkuchen gebacken und damit ‚Schaukelpferdmenschen‘ gefüttert. Natürlich, bevor sie mit dem Taxi aus Zeitungspapier davongebraust ist.“

„Hab‘ doch ein wenig Fantasie, Paul. Löse dich aus deiner kleinbürgerlichen Welt.“

„Das hat doch nichts mit Fantasie zu tun. Das war das Produkt eines veritablen Drogenrauschs“, redete sich Paul in Rage.

„Liebe Zuschauer, ich weise selbstverständlich darauf hin, dass der Konsum von Rauschmitteln illegal und strafbar ist. Also bitte nicht nachahmen!“, schaltete sich Ben Miller ein und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

John sank noch tiefer in seinen Sessel und grinste über beide Ohren. „Illegal – scheißegal …“

„Bitte, John lassen Sie uns beim Thema bleiben …“

„Ben“, schaltete sich wieder Paul ein. „Was ergeben für Sie die Anfangsbuchstaben von ‚Lucy‘, ‚Sky‘ und ‚Diamonds‘? Sei doch wenigstens so ehrlich, John!“

„Das ergibt LSD! Ist das ein Zufall, John?“, fragte ein sichtlich konsternierter Talkmaster.

„Ich schwöre bei Gott oder schwöre bei Mao oder bei wem auch immer Sie wollen, dass ich keine Ahnung hatte, dass man den Titel LSD abkürzen kann“, antwortete Lennon im vollsten Brustton der Überzeugung.

„Honi soit qui mal y pense. Lachhaft, John, einfach lachhaft. Dann ist wahrscheinlich ‚Puff, the magic dragon‘ nur ein Kinderlied über einen Drachen von ‚Peter, Paul and Mary‘?“

Ben runzelte die Stirn. „Ähm, etwa nicht? Worum sollte es denn sonst gehen?“

„Gras“, antworteten Paul und John wie aus einem Mund.

„Ach was?“, antwortete Ben konsterniert und ließ seine Moderationskarten aus der Hand gleiten.

Während die beiden Musiker weiter heftig aufeinander einredeten, sprach Ben Miller in die Kamera: „Liebe Zuschauer, während ich jetzt überlege, ob ‚Brown Sugar‘ eine Süßigkeit und ‚Sister Morphine‘ tatsächlich die Schwester von Mick Jagger ist, verabschiede ich mich von Ihnen bis nächste Woche. Meine Gäste heißen dann Muhammed Ali und George Foreman, die vor dem ‚Rumble in the jungle‘ ein hoffentlich friedvolleres Interview geben. Bis dahin verbleibe ich ihr Ben Miller! Gute Nacht.“

 

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