von Klaus Freise
„Das Unheimliche aber ist der Mensch“ – Sophokles
Im Jahr 2042 haben multinationale Konzerne weltweit die Macht übernommen. Sie beeinflussen Politiker, Gesellschaft, Wirtschaft und im Besonderen das Militär.
Einer der führenden Konzerne ist die Tyrell Corp. Sie entwickelten einen Roboter, um in Krisensituationen Aufstände gegen die Staatsgewalt niederzuschlagen, auch mit Gewalt. Dieses Modell für Konfliktlösungen nannte sich „Matchmaker Mark V“ Dieses Konzept der Krisenbewältigung war umstritten, aber billig und effizient.
An Weihnachten, kam es in New York zu einem folgenschweren Zwischenfall, in dessen Verlauf sich der Chief der New Yorker Polizei, Rupert Gordon und Direktor Simon Bishop der Tyrell Corp. trafen.
Im Büro von Chief Gordon roch es kalt. Nach kaltem Rauch seiner erloschenen Zigarre, nach kaltem Kaffee und nach kaltem Schweiß. Simon Bishop hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Mantel abzulegen, diese Angelegenheit würde nicht lange dauern. Ein unangenehmer Zwischenfall, der ohne viel Aufsehen behoben werden sollte.
Gordon beugte sich vor, wobei die Knöpfe seiner Uniformjacke an der Schreibtischkante entlang klackerten. Er ließ seine fleischigen Hände zu Fäusten werden, die auf die Tischplatte knallten. Dann sprach er leise und gepresst:
„Bishop, Sie verdammtes Arschloch, ich habe fünf tote Cops in einer Tiefgarage unter dem Madison Square Garden. Gekillt von Ihrer Maschine. Ich bin jetzt seit fünfundzwanzig Jahren Comissioner und Chief dieser Stadt, erzählen Sie mir jetzt keinen Scheiß.“
Bishop atmete aus und lehnte sich zurück. Also auf die primitive Tour, dachte er. Während er sich langsam die Handschuhe von den Fingern zupfte, sagte er:
„ Mr. Gordon, bevor wir hier ein Missverständnis breitreden, möchte ich Ihnen versichern, dass diese Maschine, wie Sie sie nennen, garantiert. Ich wiederhole: Garantiert nicht von der Tyrell Corporation stammt. Es handelt sich vermutlich um eine asiatischen Kampfroboter.“
Bishop legte die Handschuhe sorgfältig auf die Stuhllehne und fuhr fort:
„Wahrscheinlich koreanisch oder chinesisch. Wie auch immer, alle unsere mechanisierten Konfliktlöser sind mit einer Kennung versehen, es ist unmöglich, dass dieses Gerät sich in dicht besiedeltem Gebiet aufhält, ohne dass ich davon wüsste.“ Gerade als Gordon die Stimme erheben wollte, hob Bishop die Hand.
„Mr. Gordon, Verzeihung, Chief Gordon, ich möchte Ihnen mein Beileid zum Tod Ihrer Beamten aussprechen. Ich habe sofort ein spezielles Einsatzteam zusammen gestellt, welches sich gerade auf dem Weg zur Tiefgarage befindet. Da wir ja sehr eng mit dem Verteidigungsministerium zusammen arbeiten, wäre ich Ihnen dankbar für Ihre Kooperation.“
Bei diesen Worten griff Bishop in die Manteltasche und zog einen Brief hervor.
„Außerdem habe ich hier ein Schreiben des Präsidenten, wenn Sie sich das durchlesen würden, vielen Dank.“ Dann nahm er seine Handschuhe, stand auf sagte:
„Trotzdem noch frohe Weihnachten“
Zurück blieb ein sehr blasser Polizeichef mit einer kalten Zigarre, fünf toten Cops und einem Stück Papier in der Hand.
Auf den Stufen des Polizeihauptquartiers winkte Bishop seinem Fahrer, der im Halteverbot wartete.
„Ich gehe noch ein paar Schritte zu Fuß, fahren Sie ruhig.“ Nachdem die Limousine mit einem verdutzten Fahrer im Verkehrsgetümmel verschwunden war, schob Bishop sich seinen Kommunikator ins Ohr. Sofort wurde er mit Steve Collson, dem Einsatzleiter verbunden.
„Nun, Collson, wie ernst ist es? Es hat Tote gegeben?“
„Sehr ernst, Sir. Es ist ein Modell Matchmaker der MarkV Serie. Wir sind vor Ort und haben weiträumig abgesperrt. Hat Gordon die Kröte geschluckt, Sir?“
„Ja, ich konnte den Koreanern die Schuld in die Schuhe schieben, aber wie kommt ein Matchmaker aus unserer Entwicklungsabteilung nach New York, zum Teufel?“
„Tja … es ist etwa kompliziert, Sir. Wir haben einen Shutdown durchgeführt. Die Maschine ist jetzt stillgelegt, aber …“
Inzwischen war Bishop im Strom der Menschen stehen geblieben, die Passanten flossen um ihn herum, wie Wasser um einen Felsen.
„Dann geben Sie mir Caleb.“
„Äh … der Chef der Entwicklungsabteilung, also Ihr Sohn … ich dachte er wäre bei Ihnen, Sir.“
Bishop ignorierte die Rempler der Menschen, die noch schnell ihre Weihnachtseinkäufe erledigen wollten. Auch für die bunten Kunstbäume und die verkleideten Männer, mit ihren Bärten vor den Kaufhäusern hatte er keinen Blick. Sein Magen begann sich zu verkrampfen.
Gestern Abend hatte er wieder mit Caleb wegen dem Projekt eine heftige Meinungsverschiedenheit. „Du wirst schon sehen, Vater, ich werde es dir beweisen. Es funktioniert“, hatte der Junge noch gesagt. Dann war er davongerannt. Er konnte den Jungen nicht mehr erreichen. Ständig wollte er etwas beweisen. Sie hatten sich oft über die verschiedenen Entwicklungsziele und die Zukunft der Firma gestritten. Hatte er ihn schon längst verloren? Jetzt stand Bishop mitten in dem kalten New York und etwas in ihm begann, zu zerreißen.
„Sir? Sind Sie noch da?“
„Ja. Was soll das heißen, er wäre hier?“
„Ja, also, hier ist einiges zu Bruch gegangen. Fahrzeuge sind zerstört, aber viel schlimmer ist die Sache mit den fünf Cops, die sind vermutlich in den Schutzschirm gelaufen und sind…wurden…es ist nichts mehr übrig, nur Asche, Sir. Aber da ist noch etwas. Ich weiß nicht was so zwischen Ihnen und Caleb läuft …aber er wollte sich das Spiel der „Mets“ ansehen.“
Bishop wollte sich festhalten, irgendwo abstützen. Aber da war nichts. Seine Stimme klang schwach und tonlos.
„Was für ein Spiel, wovon reden Sie, Collson? Raus mit der Sprache.“
Collson klang noch nervöser, als er sagte:
„ Das Benefiz-Spiel, zu Weihnachten. Die New York Mets gegen Chicago Bulls, im Square Garden. Na ja, da die meisten Spieler Implantate von uns tragen, dachte ich, Sie wüssten davon, Sir.“
Bishob wankte zu einer der Bänke vor Tiffanys, auf dem ein Weihnachtsmann saß und unmotiviert mit einer Glocke wedelte, wobei er gelegentlich „Ho-Ho-Ho“ ausstieß.
„Collson“, stammelte er. „Sagen Sie mir jetzt nicht, Caleb hat den Transmitter benutzt?“
Bim Bam. „Ho-Ho-Ho“
Die Stimme seines Einsatzleiters überschlug sich fast, als er antwortete:
„Doch, Sir und … es muss etwas schief gegangen sein, ich verstehe das nicht.“
„Nein, Collson. Er wusste es nicht. Es war ein geheimer Deal mit dem Präsidenten. Kein Transport von Personen. Das Modell MarkV ist ein Testmodell mit einer Kanzel für einen Controller. Er ist nicht für Transporte bestimmt gewesen, nur für Tests im Labor. Der Transmitter ist nur für tote Materie, nicht für lebendes Gewebe geeignet.“
Bim Bam. „Ho-Ho-Ho“
Bishop starrte den Weihnachtsmann neben sich an.
„Halten Sie endlich die Klappe“
„Sir? Es tut mir leid, Sir. In der Kanzel war Caleb, wir haben sie geöffnet und …Es tut mir wirklich leid, aber ich habe das Verteidigungsministerium in der anderen Leitung, ich muss denen etwas sagen, Sir. Die Korea-Ente wird irgendwann platzen. Dann wird es einen riesen Skandal geben. Wir verlieren alle Regierungsaufträge.“
Bim Bam. „Ho-Ho-Ho“
Bishop flüsterte jetzt nur noch und konnte sich kaum noch halten.
„Er wollte es mir beweisen. Er wollte mir zeigen was er kann. Einen kurzen Ausflug nach New York. So ein Wahnsinn. Es ist alles meine Schuld.“
„Sir … sind Sie noch dran …“
Aber Simon Bishop hatte sich den Kommunikator aus dem Ohr gerissen. Caleb war tot. Sein Sohn. Wofür? Was beweisen? Die Vorstellung, nie eine Antwort zu bekommen ließ Simon Bishop auf die Knie sinken. Mitten auf dem Fußweg, neben einem verdutzten Weihnachtsmann und vor den erleuchteten Geschäften fiel er auf die Knie und hielt sich schluchzend die Hände vors Gesicht.
Er hatte alles verloren.