Von Claudia Bröcker

„Sieh doch nur Herbert, er hat schon wieder etwas zu meckern gefunden.“ 

Ihr Mann löffelt seine Suppe weiter und zeigt nur wenig Interesse an der Bemerkung seiner Frau. Seit sie vor fast zwei Wochen im Flugzeug beobachtet hatten, wie ein Fluggast die Stewardess zur Rede stellte , weil die Beinfreiheit in der Touristenklasse nicht der geltenden Norm entsprach, sondern 0,8 cm weniger hatte, war Gerlinde von dem Mann fasziniert und berichtete regelmäßig darüber, welche Mängel er aufgedeckt hatte. 

„Herbert, wir sollten uns auch beschweren, dann bekommen wir bestimmt einen Teil des Reisepreises zurück.“

Der angesprochene weiß aus 40 gemeinsamen Ehejahren, dass er jetzt reagieren muss, sofern er einen ruhigen Nachmittag verbringen will. 

„Gerlinde mein Schatz, möchtest du ernsthaft unseren Kindern erzählen, dass du dich über ihr Geschenk zu unserem Hochzeitstag beschwert hast? Du weißt doch, dass sie uns mit dem Urlaub eine Freude machen wollten und wenn du dich jetzt bei der Reisegesellschaft beschwerst, denken sie bestimmt, dass wir keinen schönen Urlaub hatten.“

Das Gesicht seiner Frau zeigt ihm, dass er die richtigen Worte gefunden hatte und er löffelt weiter. Noch vor ein paar Jahren hätte er sich selbst über die vielen kleinen Mängel geärgert, doch seit er in Rente gegangen war und er sich nicht mehr mit falsch einsortierten Kartons im Lager beschäftigten musste, war er den kleinen Unzulänglichkeiten des Lebens gegenüber nachsichtiger geworden. 

Insgeheim wünschte er dem pedantischen Mann sogar ein wenig mehr Gelassenheit, obwohl dessen Beschwerden ihrem Urlaub die Würzen gegeben hatten. Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht, als er sich daran erinnert, wie der Gast an der Rezeption des Hotels lautstark den Manager zu sprechen wünschte, weil das Hotel nicht, wie im Prospekt beworben 700 m vom Strand entfernt ist, sondern 772m, welches sowohl bei technischer, als auch bei kaufmännischer Rundung 800m seien. 

„Du hast ja Recht, ich hatte nur gedacht, dass wir das Geld gut gebrauchen könnten.“ 

Die Zustimmung seiner Frau reißt ihn aus seinen Gedanken und er nimmt ihre Hand und küsst die Fingerkuppen. 

„Es hat immer gereicht, und das wird es auch in Zukunft, und wenn es nächstes Jahr nicht zum Fahren in den Urlaub langt, dann haben wir unsere schönen Erinnerungen an diesen. Das lass ich mir nicht von so einem Meckerfritzen verderben.“

„Ach was? Sei ehrlich, du hast dich doch köstlich amüsiert, als er mit dem Thermometer in den Pool stieg um dann festzustellen, dass die Temperatur 0,5° zu kühl war. Und seine Bestellung von einem Glühwein um sich wieder auf zu wärmen, war für alle, außer dem armen Kellner, erheiternd.“

Herbert legt seine Hand auf den Tisch und hält ihre Hand dabei fest, sie kennt ihn so gut, dass es kaum noch möglich ist etwas vor ihr zu verbergen und so gibt er es zu. 

„Ja, du hast Recht, ich hatte echt Angst, dass ich mich im Urlaub mit All inklusive langweile würde, aber seine Beschwerden haben es sehr interessant gemacht. Besonders das Gesicht des Managers, als er ihm nach der Aktion mit der Strandentfernung und der Pooltemperatur rufen ließ, um sich darüber zu beschweren, dass sein Cocktail, wenn er den Eiswürfel heraus nimmt, nicht bis zum Eichstrich gefüllt sei. Und auf die Antwort, das die Drinks doch im Preis inbegriffen sein, mit dem Hinweis reagierte, dass nur weil etwas in den Gesamtkosten inbegriffen ist, es noch lange nicht dazu berechtigt Minderleistungen zu erbringen und den Gast zu täuschen.“

Gerlinde lächelt und streichelt seine raue Haut. 

„Irgendwie erinnert er mich an dich. Vielleicht beobachte ich ihn deshalb so genau. Aber du hast Recht, wir wollen uns nicht ärgern. Lass uns doch zum Strand gehen.“

Er bringt die Tabletts in den Abräumwagen und kommt auf dem Weg zu den Toiletten an der halb geöffneten Küchentür vorbei. Dort sieht er den Topf mit der Suppe, der vom Buffet abgeräumt wurde stehen. Von seiner Neugier getrieben betritt Herbert die Küche und blickt in den Topf. Zuerst bemerkt er nichts Ungewöhnliches auf, aber dann fällt sein Blick auf ein Toupet, das voller Tomatensuppe neben dem Topf liegt. Er stürmt aus der Küche in die Toilette und entledigt sich seines Mittagessens. Dann wäscht er sich gründlich das Gesicht und strafft die Schultern bevor er wieder zu seiner Frau geht. Die erwartete ihn schon mit einem strahlenden Lächeln. 

„Du hast Recht Herbert, wir lassen uns den Urlaub nicht von einem, der jedes Haar in der Suppe findet verderben.“