Von Clara Sinn

Als sie zu Hause angekommen war, merkte sie, dass in der einen Manteltasche, in der ihr Schlüssel war, der Handschuh fehlte.

Machte direkt kehrt.

Lief den Weg zum Supermarkt nochmal zurück, bewusst auch auf jene Stellen achtend, wo sich Laub zusammengesammelt hatte.

Und tatsächlich.

Da lag er, der vermisste hellbraune Lederhandschuh, unscheinbar in einem Meer aus zusammengekräuselten gelbbraunen Platanenblättern.

Sie hatte ziemlich nahe an die Stelle herantreten müssen, es zu unterscheiden.

Und ziemlich konsequent zu sein.

Den nicht von vorn herein verloren zu geben.

Sondern daran zu glauben, dass es sich lohnte. Erneut. Hinauszugehen. Loszustiefeln. Zu suchen.

Es hatte sich ausgezahlt.

Sie war dankbar und heilfroh, das wiedergewonnene Ding an seine alte Stelle, die rechte Manteltasche, zu falten.

Fragte sich, wie sie drauf gewesen sein musste. Dass sie das Abhandengekommensein solch eines Alltagszeugs nicht sogleich schulterzuckend von vorn herein abgehakt hatte.

Doch Verbundenheit?

Mit einem wertgeschätzten Gegenstand? Immerhin gefüttertes, dickes Edelrindleder in exakt passender Mantelfarbe mit schön gestanzt- und genähten Mustern drauf.

Nein. Sie war. Immerhin.
Noch nicht tot.

Dass sie ganz abgestumpft und unberührbar gewesen wäre. Ob ihres Besitzes. Es bedeutete ihr noch etwas.

Und da hatte sie’s.

Es war dieses Gefühl völligen Verstörtseins. Die Tasche innen vorher gepolstert warm und dann nur der kalte Schlüssel drin.

Als ob ihre Unversehrtheit urplötzlich dahin war und sie schockbetäubt

zurückließ.

Den anderen Handschuh in den Müll werfen zu müssen, wäre einem halben Begräbnis gleichgekommen.

Nicht auszudenken, wenn sie am Folgetag, beim gewohnt langsamen Dahinschlendern zur Bushaltestelle, auf das Verluststück getroffen wäre. Ganz unabsichtlich.

Überraschend.

Ungewollt.

Unweigerlich. Eine

verleugnete Wunde. Aufgerissen. Wäre. Nicht nur Bedauern. Sondern

Frevel.

Sie wollte verhindern, dass es wehe tat. Die

Enttäuschung. Mit leeren Händen. Zurückgekommen.

Wohl. Das weniger verletzende Übel.

Dann lieber direkt raus. In den Nieselregen. Die Einkäufe einfach stehen gelassen. So im Netz. Auf dem Dielenboden. Gleich neben der Tür.

Abends im Bett war ihr die richtige Entscheidung noch einmal Anlass zu ausführlicher Freude.

Sie fühlte sich. Wieder

hergestellt.

Und die Welt. Wieder

in Ordnung

gebracht.

Die Zeiten.

Die so viel Bruch bedeuteten und alles Vertraute so gnadenlos grob einrissen, waren diesmal draußen geblieben. Vor dem vollständig intakten, schützenden Mantel.

Haben es nicht vermocht.

Ihr unter die Haut zu schnellen. Ihr ins innerste Mark zu fahren. Bis in ihre gefährdete Seele.

Noch. Nicht alles zu spät

 

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