Von Simone Tröger

Zu Beginn: Vielleicht bin ich eine Fliege, vielleicht ein anderes Insekt, vielleicht eine Spinne, vielleicht eine Maus, vielleicht ein Individuum mit vier Beinen oder doch eines mit zwei Beinen – vielleicht ein Mensch; wer weiß das schon?

Das habe ich allerdings gesehen:

… Irgendwann beschlossen beide, den Ehemann zu beseitigen. Es sollte so aussehen, als wäre er von einer längeren Geschäftsreise nicht zurückgekommen.

Für die Nachbarn konnte man diese Dienstreise erfinden, bei der er sich eventuell anderweitig verliebt hatte.

Die Anwesenheit eines neuen Lebenspartners hier vor Ort würde sich auf diese Art leicht erklären lassen. Im Laufe der Zeit fragte keiner mehr nach. Das nebeneinander-wohnen beschränkte sich überwiegend nur aufs Grüßen. Jeder ging seiner Wege.

Oder, oder, oder!

Eine Handlung im Affekt war es jedenfalls nicht.

So wurde der Ehemann im Schlafzimmer des Ehepaares mit einem Zinkleuchter, der allerdings wenig beachtet ein tristes Dasein in der Schlafstube hatte, mit einem Schlag auf den Hinterkopf niedergestreckt. Ausgeführt wurde dies vom Geliebten der Ehefrau, der sich – ganz klassisch – im Kleiderschrank versteckt hielt und auf einen günstigen Moment wartete. Der arglose Ehemann fiel sofort zu Boden und hinterließ einiges an roter Körperflüssigkeit, da der Hieb recht kräftig ausfiel. Also nahm man an, dass das Vorhaben glückte und es einen Erdenbewohner weniger gab.

Um keine Spuren zu hinterlassen, beeilte sich der Schläger, etwas zu finden, worin man die Leiche zum Auto und weiter zu ihrem „Grab“ im dichten Wald transportieren konnte. Im Schlafraum fand sich nichts Geeignetes. Er ging durch die Wohnung und kam zurück mit einer Decke, die mit mindestens eintausend kleinen Röschen bestickt war. Diese anzufertigen hatte mit Sicherheit etliche Jahre gedauert.

Die Ehefrau des einen und Geliebte des anderen schüttelte energisch den Kopf und brach in Tränen aus. Ob es doch wegen ihres toten Gatten oder der edlen Decke war, erkannte man zunächst nicht, wurde aber schnell klar.

„Nein, nein – nicht die Decke! Die hat mir meine Mutter geschenkt; die bekam sie von ihrer Mutter; die von der Mutter davor. Sie ist uralt und wertvo…“

Der Mann hörte nicht auf das Flehen, sondern befand das Erbstück für perfekt zum Einrollen des Körpers. Wie eine Roulade vorm Anbraten, nur ohne Zutaten, wurde der Ehemann her- beziehungsweise hingerichtet und zur vorher begutachteten Grabesstatt durch die Dunkelheit zum noch dunkleren Tann transportiert.

Um diese Zeit waren alle Vögel schon zu Bett. Allein zwei Rehe auf dem unebenen und über und über mit Zapfen übersäten Waldboden ließen sich vom nahenden Dreiergespann aufscheuchen und verschwanden in der Dunkelheit. Die mit spitzen Nadeln bestückten Zweige peitschten den Trägern des „Rollbratens“ ins Gesicht und machten ihren Gang noch beschwerlicher als er ohnehin schon war. Einzig der Eingerollte hatte es „gut“.

Im Unterholz auf der anderen Seite knackte es, als wenn jemand die Äste der Bäume wegschlug, die wegen irgendetwas im Weg waren.

„Anhalten, sei still!“, befahl der Geliebte an der Vorderseite des in die Decke Eingewickelten hörbar im Flüsterton.

Die Frau gehorchte und verbot sich sogar zu atmen, obwohl sie unter der schweren Last in ihren Händen und Armen fast zusammenbrach und sie gern laut geschnieft hätte.

Nichts geschah. Die Augen hatten sich so gut es ging an die Dunkelheit gewöhnt und realisierten keine Gefahr.

Das war zweifellos ein nachtaktives Tier. Oder doch nicht?

Sie ächzten weiter, der Ehemann war muskulös und nicht leicht wie Styropor. Hätte er keinen Schlag abbekommen, hätte seine Frau das Gewicht niemals erraten können.

Kraft, um die Grube tief genug zu graben, mussten beide Lastenträger noch aufbringen, um ihr Werk zu vollenden. Dann wurde der Ehemann in sein Grab gerollt.  

Die wertvolle Decke aber wickelte sich ab, da sie viel zu locker verschnürt war. Die Tatwaffe fiel heraus. Selbst in der Dunkelheit konnte man erkennen, dass die roten Rosen an einer Stelle mehr rote Farbe hatten als anderswo auf der Decke.

„Macht nichts, kommt mit ins Loch. Erde drüber, Gras, Blätter, Reisig, einzelne Äste, Zapfen; nochmal Grasbüschel. Keiner, wenn hier überhaupt je einer vorbeikommt, merkt etwas Verdächtiges.“

Gesagt, getan!

Erschöpft von der harten Arbeit verließen sie den Ort ihres kriminellen Aktes, nachdem sie das Werkzeug eingesammelt hatten, und gaben Gas mit dem Auto, dass getarnt am Waldrand geparkt war. Hätten sie wen getroffen, wäre gerade ein Schäferstündchen zu Ende gegangen… ziemlich unwahrscheinlich aber in der Nacht einen zu treffen.

Der bestickte Mantel samt Tötungseisen wurden versehentlich zurückgelassen, da jeder vom anderen dachte, dass er die Utensilien in das Loch geworfen hätte und bereits mit Erde bedeckte. Vergewissert hat sich niemand, obwohl im Grunde alles perfekt durchdacht und geplant ausgeführt wurde. Schnell weg.

Sie fuhr. So konnte sie ihn bei seiner Wohnung absetzen. Jeglicher Verdacht war ausgeschlossen!

„Schreck, die Decke! Wir haben sie verloren! Wir müssen sie suchen! Oder hast du sie eingegraben?“ Sie kreischte hysterisch durchs Wageninnere und vollführte subito eine Vollbremsung, bei der sie fast so hochflogen wie eine Schwalbe auf der Suche nach Insekten.

„Ich dachte, du hast sie eingegraben!“

„Nein! Wir müssen sie suchen! Wenn du sie nicht verbuddelt hast, lag sie nicht mehr da! Was geht hier vor? War da einer? Wer hat uns beobachtet? Das Knacken im Wald… Doch kein Tier?“

„Bleib ruhig – wir finden alles wieder, was wir verloren haben. Wir waren zu aufgeregt. Bevor es hell wird, ist alles erledigt.“

Ihr mangelte es an Konzentration, Rasch und rasant wendete sie. Bei dem Manöver flog die Beifahrertür auf. Der Mann, der die StVO missachtete und nicht angeschnallt war, knallte mit dem Kopf zuerst hinunter auf den Asphalt. Ein entgegenkommendes Fahrzeug brauste über den Widerstand auf der Fahrbahn.

Sie realisierte, dass erneut nur eine Vollbremsung dienlich wäre.

„Schatz, Schatz! Nein, nein!“ Es war zu spät für irgendwelche hilfreichen Worte.

Kein Vor. Kein Zurück.

Hier ein Toter! Da ein Toter!

 

Und so wird niemand erfahren, wer ich „stiller Beobachter“ war, der dem Ort des Geschehens und bei der Beisetzung zugegen war, der auch die wertvolle Decke, nach der man fahndete, zurückließ.

Es gibt durchaus Menschen, die an paranormale Phänomene glauben…

Alle Hoffnung ist zerflossen, verlorene Dinge eingeschlossen.

 

 

 

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