Von Martin Fiß

Die Sonne schien, das Thermometer zeigte fast schon zu warme 25°C an.
Lilly verstaute ihre Reitstiefel und die neue, pinke Schabracke, die sie zum Schnäppchenpreis bei Reitsport-Berger erstanden hatte, in ihren Mini.
Die Fahrt zum Stall dauerte nicht lange. Das war auch gut so, denn der Füllstand ihres Tanks neigte sich bedenklich dem Ende zu. »Mama muss dringend wieder nachtanken«, dachte sie. Sie genoss die finanzielle Unterstützung mit einer Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen suchte. Die letzten Meter bis zur Hofeinfahrt konnte sie nur im Schritttempo zurücklegen. Die Bodenwellen zwangen sie dazu. Marc, der Besitzer des Reitstalls, hatte diese extra angelegt, um die Geschwindigkeit der einfahrenden Autos so zu drosseln, dass weniger Gefahr für die umherlaufenden Pferde bestand. Lilly parkte ihren Mini am Rand der Zufahrt, stieg aus und öffnete ihren Kofferraum, um Stiefel und Schabracke herauszunehmen.

»Da bist du ja endlich!«, empfing sie Tamara, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. 

»Hi, Tammi. Lass‘ mich erst einmal ankommen. Guck mal, meine neue Schabracke. Ist die nicht der Brüller?« 

»Echt cool, Lilly! Aber nun erzähl‘ schon.« 

Lilly zog die Stirn kraus und verzog ihren Mund, um ihrem Missfallen an der neugierigen Nachfrage Ausdruck zu verleihen. »Gleich. Lass‘ uns noch auf Nele warten.«

Lilly, Tamara und Nele waren das Dreigestirn am Stall. Ohne diese drei Mädels, die sich um fast alles kümmerten, lief nichts. So dachten sie zumindest.

»Nele mistet noch Lottis Box aus.« 

»Na, die paar Minuten wirst du dann doch wohl noch aushalten können, Tammi.«

Kaum hatte Lilly den Satz beendet, kam Nele mit einer Mistgabel bewaffnet aus Richtung der Boxen angelaufen. »Hi, Lilly.«

»Hi, Nele!«

»Und?«

»Und was?«

»Ach Mensch, mach‘ es doch nicht so spannend. Wie war dein erstes Date bei ihm zuhause?«

»Außergewöhnlich.«

»Außergewöhnlich war ja auch die Art, wie du ihn kennengelernt hast. So old school über eine Kontaktanzeige in der Dorfrundschau. Wer macht denn heute noch so was?«, feixte Tamara.

»Ich dachte halt: Warum nicht? Seine Zeilen haben mich halt neugierig gemacht.«

»Meinst du etwa den Passus mit dem schnulzigen Spruch: Ich möchte der Wind sein, der sanft durch deine Haare streicht, die Sonne, die dich zärtlich wärmt und der Mond, der deinen Schlaf bewacht?« 

»Nein, Nele. Der Rest halt. Ach‘ ist ja auch egal.« 

»Egal ist achtundachtzig.« 

»Tammi, so egal waren mir die achtundachtzig dann doch nicht.«

»Du sprichst in Rätseln, Lilly. Jetzt mal Butter bei die Fische – wie meine Alten immer sagen. Was ist passiert?«, fragte Nele ungeduldig.

»Also, es war so: Ich kam zu ihm in die Wohnung und erst war auch alles normal. Frank war höflich, hatte schön den Tisch gedeckt und Kaffee und Kuchen serviert. Er nahm meine Hand, führte mich zu einem Stuhl und überreichte mir einen Blumenstrauß roter Rosen. Stellt euch vor, er hat sich dabei hingekniet! Ich dachte schon, der macht mir einen Heiratsantrag…«

»Nicht – dein – Ernst?«, stammelte Tamara.

»Nein, keine Sorge. Ich habe ihn mindestens so blöd angeguckt, wie du mich gerade.«, erwiderte Lilly und lachte.
»Er meinte: ›Mit dir reichen ganz kleine Momente für ganz große Emotionen.‹ und dann sah er mich mit seinen rehbraunen Augen so liebevoll an. Das war ganz schön cringe.«

»Komm zum Punkt, Lilly!«

»Na ja, wir haben den Kuchen gegessen, Kaffee getrunken und viel erzählt. Gelacht haben wir auch. Er hat mir dann seine Wohnung gezeigt, was er sich alles neu anschaffen musste, wie die Nachbarn sind…«

»Laaangweilig! Mensch Lilly, spann uns nicht so auf die Folter. Tamara und ich wollen wissen, ob was gelaufen ist. Hat er dir denn auch sein Schlafzimmer gezeigt?«

»Ja, Nele. Das auch.«

»Es ist also was gelaufen?«, warf Tamara mit fragendem Blick ein.

»Ja, ich. Weggelaufen bin ich.«

»Wieso? Was ist passiert?«, hakte Nele nach.

»Über seinem Bett hing ein riesiger Schaukasten. Ihr müsst euch vorstellen, der Kasten war mindestens 1×2 Meter groß. Innen waren undefinierbare, teils bräunliche und verkrümmte Stückchen, in verschiedenen Größen fein säuberlich aufgereiht und mit einer Nadel fixiert. Jedes Stückchen war mit einer Nummer und einem Datum versehen. Vier Reihen á zweiundzwanzig Objekte. Achtundachtzig insgesamt.«

»Schmetterlinge oder was?«. Tamaras Ungeduld war spürbar.

»Nein. Keine Schmetterlinge. Erst war es ihm wohl unangenehm, dass ich den Kasten so fixierte, statt seine kunstvoll gestaltete Bettdekoration – so einen aus Handtuch gefalteten Schwan – entsprechend zu würdigen. Ich wollte ihn gerade auf diesen komischen Kasten ansprechen, da kam er mir zuvor und erklärte entschuldigend, dass das seine Trophäensammlung sei. Tja und dann strahlte er plötzlich übers ganze Gesicht und deutete voller Stolz auf jede einzelne dieser Trophäen. Ihm liefen die Tränen, als er mir im Detail berichtete, dass dies die Zeugen seiner größten Erfolge seien.
›Der hier ist aus Boston und der aus Hamburg, der aus Berlin und der aus New York und der auch. Da waren es nämlich gleich zwei! Und die drei hier sind aus Essen. Auf die bin ich besonders stolz. Das war nämlich mein Erster.‹
Ich hatte nur Bahnhof, Koffer klauen verstanden und dann den größten Fehler ever, ever gemacht.«

»Was für einen Fehler? Hast du ihn geküsst?«, wollte Nele wissen.

»Bist du irre? Nein, ich hatte ihn gefragt, was er mit ‚Erster‘ meinen würde.«

»Boah, Lilly. Du machst einen wahnsinnig! Nun sag schon, was meinte er denn damit?«

Lilly zögerte, verzog ihr Gesicht und ergänzte angewidert:
»Sein größtes Vergnügen sei es, Marathon zu laufen. In Essen brachte er seinen ersten Marathon ins Ziel und diese Trophäen in seinem Schaukasten seien die Fußnägel, die er nach den Läufen verloren hätte.«

 

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