Von Peter Burkhard

„Du weißt es doch, Hannah, ich hab es nicht so mit diesen Pressefritzen. Deshalb könntest du mir mit deinem Fachwissen einen großen Gefallen tun, wenn du uns begleiten würdest.“
„Dieser Termin kommt mir ehrlich gesagt total ungelegen. Morgen ist mein freier Tag und ich hatte schon einiges geplant.“
Sie lässt den Bademantel fallen und blickt beiläufig in den Spiegel. Na ja, ein bisschen Bewegung in der freien Natur könnte nicht schaden …
„Okay, dir zuliebe werde ich dich begleiten …
Also dann, bis morgen um Viertel nach acht bei der Eichlochhütte.“
Hannah dreht den Wasserhahn zu, schließt das Handy ans Ladekabel an und legt es auf den Rand des Waschbeckens. Vorsichtig steigt sie in die Wanne und taucht ein in die behagliche Wärme des wohlriechenden Schaumbades. Feierabend, der Duft von Sandelholz. Was will ich mehr …?

„Sie hat versprochen, dass sie sich hier mit uns treffen würde. In der Regel ist sie sehr zuverlässig, ich würde gern noch etwas warten.“
„Kein Problem, ich habe Zeit.“ Der Journalist tritt ein paar Schritte zur Seite und steckt sich eine Zigarette an. „Wissen Sie schon, wo wir hingehen werden? Gibt es Stellen, an denen die Wahrscheinlichkeit, etwas zu finden, größer ist als an anderen Orten?“
„Ja. Hannah, die Kollegin, auf die wir jetzt warten, hat mich auf eine kleine Waldlichtung aufmerksam gemacht. Sie liegt direkt vor einer Höhle, in der schon uralte Gegenstände gefunden worden sein sollen. Mit Betonung auf sollen – das war vor meiner Zeit als ehrenamtlicher Schatzsucher.“ André schließt den Kofferraumdeckel und greift erneut zum Handy.
„Nichts. Hannah antwortet nicht. Seltsam, ich habe überhaupt keine Verbindung. Nun denn, ich möchte Sie nicht länger warten lassen, gehen wir.“

Die beiden Männer steigen den steilen Fußweg hinan, der dem Bachbett folgt. Der eine mit einer großen Umhängetasche und einem Metalldetektor ausgerüstet, der andere trägt einen Rucksack und eine schwere Kamera mit sich. Sorgenvoll, aber mit lockerem Schritt der eine, etwas schwerfälliger und schnaufend der andere, stapfen sie voran.
Nach einer halben Stunde bleibt André stehen. „Hören Sie das? Ein Buntspecht, ich habe ihn schon oft beobachtet, ein prächtiger …“ Das Handy in seiner Jackentasche unterbricht ihn jäh.
André wendet sich ab, während sein Begleiter zur nächsten Zigarette greift.
„Hallo Birgit. Was gibt’s? Nein, ich weiß nicht, was mit ihr los ist, sie hat mich heute früh versetzt … Ruf mich an, wenn du mehr weißt, okay?“
Der Schatzsucher schwenkt den Detektor und deutet auf das tiefe Bachbett. „Da müssen wir hinüber, Höhle und Lichtung befinden sich auf der anderen Seite. Passen Sie auf, es ist verdammt schliefrig und der Bach ist kalt.“ Sein Begleiter lächelt süffisant. Ich bin ja nicht doof, blöder Klugscheißer.
Die Überquerung des Baches stellt sich tatsächlich als schwierig heraus. Der Pressemann rutscht mehrmals aus und kann nur mit Glück verhindern, dass die Kamera mehr als ein paar Spritzer abbekommt.
„Mann, Sie haben nicht übertrieben. Ganz schön anstrengend, dieses Geklettere. Ich hoffe nur, dass es sich lohnt.“
André, der soeben den Rand der Böschung erklommen hat, schaut zurück.
„Noch ein paar Meter, dann haben Sie es geschafft.“

„Dort drüben, bei diesem gelb markierten Baum, beginnen wir mit der Suche. Machen Sie Ihre Aufnahmen, aber vergessen Sie nicht aufzupassen, wo Sie hintreten.“
Bedächtig beginnt der Hobbyforscher den piepsenden Metalldetektor über den laubbedeckten Waldboden zu schwenken. Nach einer Weile jault das Gerät plötzlich auf: Der erste Gegenstand ist geortet. André kniet nieder und wischt das Laub zur Seite. „Mal sehen, was uns hier erwartet.“ Er macht sich daran, mit einem kleinen Klappspaten ein quadratisches Stück Erde auszuheben. „Ich darf nicht tiefer als fünfzehn Zentimeter graben. Das ist eine klare Vorgabe des Kantonsarchäologen. Wenn Wertvolles zum Vorschein kommt, dann machen die Profis weiter.“
Der ehrenamtliche Schatzsucher langt hinter sich und holt einen länglichen schwarzen Stab aus der Tasche. „Mein Handheld-Metalldetektor. Mit ihm werde ich jetzt vorsichtig das freigelegte Erdreich untersuchen.“
Es dauert nicht lange, bis André den Kopf schüttelt. „Hab ich mir’s doch gedacht.“
Das erste Fundstück erweist sich als Niete, wie ein paar andere Dinge auch, die er später noch ans Tageslicht bringt.
Nach einer Dreiviertelstunde stellt er die Suche ein. Er lehnt den Detektor an einen Baum, faltet ein dickes Tuch auseinander und breitet die interessanten Objekte auf dem Boden aus. „Dieses hier ist ein Achsennagel, das sind zwei alte Münzen und das hier“, er strahlt, „könnte ein alter Kamm sein, dessen Herkunft noch bestimmt werden muss. Es ist nicht viel, aber immerhin.
Möchten Sie die Gegenstände noch knipsen? Dann tun Sie das, danach werden wir den Standort wechseln, aber vorher versuche ich nochmals Hannah anzurufen.“ Kaum gesagt, verwirft er die Hände: „Es ist aussichtslos, kein Empfang in diesem Loch. Unfassbar.“

„Wir müssen diesen Abhang umgehen, der Boden ist nass und viel zu rutschig, folgen Sie mir.“ André geht ein paar hundert Meter voran, bis er, auf einem Weg angekommen, unvermittelt stehen bleibt und zur Wasserflasche greift. „Was ich noch sagen wollte und Sie können das ruhig schreiben, die Bevölkerung soll das wissen: Die Tätigkeit, der ich hier nachgehe, geschieht mit offizieller Genehmigung, ja sogar im Auftrag des Kantons. Das gezielte Suchen und Graben nach Altertümern ist für Laien gesetzeswidrig. Trotzdem gibt es diese illegalen Schatzsucher zuhauf. Sie sind gut vernetzt und machen über ausgefeilte Methoden ihre Fundorte ausfindig. Dass sie mit den tiefen Löchern, die sie schaufeln, wertvolle Fundstücke zerstören können, kümmert sie wenig. In den Augen unserer staatlichen Archäologen sind diese Stümper eine bare Katastrophe.“
Der Journalist grinst. „Das ist gut, das wird unserer Leserschaft gefallen. Es wäre schon ein bisschen bieder, ihr Metier, wenn es nicht hin und wieder zu Knatsch zwischen den verschiedenen Interessengruppen …“ Mitten im Satz bleibt er brüsk stehen und späht angestrengt ins Dickicht. „Halt, warten Sie. Sehen Sie das dort, diese Blachen im Unterholz? Das sind keine gefällten Bäume, das sieht viel mehr nach einem versteckten Lager von Gegenständen aus.“
Die Männer schlagen sich ins Holz und nähern sich neugierig dem mit dunklen Tüchern getarnten Haufen. Was sie entdecken, macht sie sprachlos …
„Wir müssen unsere Entdeckung der Polizei melden und jetzt nicht wie weg von hier. Ich möchte mit diesen Typen keine Bekanntschaft machen.“
„Ich komme gleich.“ Mit überraschender Beweglichkeit tänzelt der Pressemann um den Fundort, reißt die Planen weg und fotografiert die freigelegten Diebesgüter. „Wie geil ist das denn. Diese Story kann ich mir nicht entgehen lassen, das werden Sie verstehen. Sehen Sie das? Werkzeugkisten, ganze Kupferdrahtrollen und hier“, die Stimme des Mannes überschlägt sich, „zwei neuwertige E-Bikes. –– Was meinen Sie, woher die Kerle stammen? Vermute mal, dass es …“
„Keine Vorverurteilungen. Bitte. Machen Sie ihre Aufnahmen, den Rest können wir getrost der Polizei überlassen. Beeilen Sie sich, ich würde jetzt wirklich gern den Rückweg antreten.“ André schickt sich an, den unsicheren Ort zu verlassen. Genau das ist es, was ich an euch Pressefuzzis so schätze: Sensationsmache bis zum Gehtnichtmehr …

Nach dem dritten Klingeln an Hannahs Wohnungstür öffnet sich die Tür gegenüber. Warmer Essensgeruch strömt in den Hausflur.
„Zu wem wollen Sie? Wer sind Sie?“
André wendet sich der älteren Dame zu. „Zu wem wohl, wenn ich hier klingle. Sie sollten mich kennen, wir sind uns auch schon im Treppenhaus begegnet.“
„Hannah ist nicht da.“
André wechselt die Tonart. „Ich habe schon den ganzen Tag versucht, sie zu erreichen. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?“
„Warum wollen Sie das wissen?“
„Ich bin ein persönlicher Freund. Und mache mir ernsthafte Sorgen um Sie, wenn Sie also …“
„Sie sei heute früh auf der Treppe gestürzt, sagte mir Frau Dummermuth. Vermutlich ein Beckenbruch. Jedenfalls stand bereits um halb acht die Ambulanz vor dem Haus. Mehr weiß ich nicht. Tut mir leid.“

„Du bist es, Hannah. Gott sei Dank. – Du bist im Krankenhaus? Was ist denn passiert?“

André nimmt die Pfanne vom Herd, greift nach dem Cuba Libre und schlurft mit dem Handy am Ohr ins Wohnzimmer.

 

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