Von Siegfried Reitzig

 

„Ist das Radio original?“ Ich saß zum ersten Mal in Michaels Auto und wollte dem Mercedes Anerkennung zollen.
Meine Vorstellung von einem Oldtimer erfüllte dieses Auto zwar nicht, dazu war es noch nicht alt genug. Aber Michael liebte seinen Daimler und die Ausstattung hatte auf jeden Fall einiges zu bieten, da waren die Ledersitze und das gediegene Lenkrad, die gemeinsam mit den edlen Bedienelementen der Armaturen einen gewissen Hauch von Luxus und Eleganz versprühten, ohne protzig zu wirken.
Michael war erfreut über mein Interesse und bejahte die Frage begeistert mit „Becker Grand Prix BE2237 RDS Original CD – das findest du nicht in jedem Modell der E-Klasse, aber bei meinem E350 CDI Avantgarde natürlich schon.“

Mein Freund hatte mich zu unserer monatlichen Skatrunde zu sich nach Haus abgeholt und wir warteten nun noch auf Christian, den dritten Mann.
Weil noch etwas Zeit bis zum verabredeten Spielbeginn zu überbrücken war, schlug Michael vor, mir bei einer Flasche Bier ein Fotoalbum zu zeigen und ich stimmte zu, zwar ein wenig verwundert, aber in der Erwartung auf mehr oder weniger langweilige Urlaubsfotos.
Mit der Bemerkung, dass ich ja offensichtlich an Autos interessiert sei, schlug mein Freund den gepolsterten Ledereinband auf und präsentierte die erste Seite.
Die Bilder, die ich dann zu sehen bekam, waren allerdings ziemlich speziell, es handelte sich um ein Album mit Luxusautos der verschiedensten Marken und auf jedem der Fotos war auch Michael zu finden. Entweder saß er am Steuer, lehnte lässig an der geöffneten Autotür oder befand sich – stets in Begleitung einer schönen Frau – in Fahrzeugnähe.

Mein Zutrauen zu Michaels finanziellen Möglichkeiten ließ die Anschaffung eines Lamborghini oder eines Rolls Royce genauso wenig zu, wie den Kauf des silberfarbenen Bugatti, auch wenn er einen sicher gut bezahlten Posten in der IT-Branche bekleidete. Also fragte ich ihn nach dem Zustandekommen dieser Bilder und ob denn etwa Photoshop im Spiel gewesen sei.
Die Entrüstung folgte prompt, er sei alle diese Autos selber gefahren, habe sie aber selbstverständlich nicht kaufen können.

„Weißt du“, seine Stimme wurde ganz verträumt, „ich liebe dieses Gefühl, das solche Edelkarossen beim Fahren erzeugen! Ich bin dann stark, sicher und fliege fast über die Straßen. Es ist schon eine Art von Sucht und ich brauche immer neue, schönere und schnellere Modelle!“
„Aber wie konntest du…?“
Michael hatte die Frage erwartet und fiel mir ins Wort.
„Es ist ganz einfach – also meistens jedenfalls. Ich ziehe mich so schick und edel wie möglich an und fahre mit meinem 350-er im Autohaus meiner Begierde oder auch bei einem Privatanbieter vor und gebe sehr glaubwürdig mein Kaufinteresse an so einem Luxusschlitten zu erkennen. Wenn ich dann zur Sicherheit meinen Perso hinterlege, kommt noch mein Doktortitel ins Spiel und tut das Seine zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses. Ein halber Tag Probefahrt ist meistens drin und selbstverständlich vereinbare ich, das Fahrzeug vollgetankt zurückzugeben. Unterwegs werden dann diese Fotos gemacht und ich bin mittlerweile schon bei Seite 31 in meinem Erinnerungsalbum angelangt.“ – Michael lächelte zufrieden.
„Es ist so eine Art Hobby, verstehst du?“

In diesem Moment klingelte es an der Tür und unser dritter Mann zum Skat erschien mit dem obligatorischen 6er Pack Bier in der Hand. Michael klappte das Fotoalbum zu und schob es zurück ins Regal.
Wir begannen unser Kartenspiel und meine Frage an Michael blieb für dieses Mal ungefragt.
Woher nur hatte mein Freund alle die schönen Begleiterinnen auf seinen Erinnerungsbildern?
Die Frau auf den ersten Fotos kannte ich gut. Eva war Michaels langjährige Freundin, sie lebten zusammen und es wurde auch schon über eine Heirat gesprochen.
Aber die anderen Frauen hatte ich noch nie zuvor gesehen – musste ich mir Sorgen machen?

Ein paar Stunden später hatte der alte Skatfuchs Christian uns wie meistens um ein paar Euro erleichtert und sich zufrieden auf seinen Heimweg begeben.

Ich konnte nun nicht anders, ich musste einfach fragen:
„Was sagt eigentlich Eva dazu, dass du auf deinen Autotouren mit immer neuen Begleiterinnen unterwegs bist? Ist sie denn gar nicht eifersüchtig?
Wie hast du überhaupt diese Frauen gefunden?“

Michael blieb ganz gelassen:
„Och“, war seine Antwort, „Eva findet das in Ordnung. Die ersten Probefahrten haben wir ja noch zusammen gemacht, aber dann hatte sie keine Lust mehr und die Fotografiererei ging ihr auch ein bisschen auf die Nerven. Sie hatte außerdem Skrupel, weil die Kaufabsicht nur vorgetäuscht war und so haben wir eine andere Lösung gefunden.“

„Wie hast du denn das nun wieder gemacht“, ich wollte es genau wissen, “die Frauen waren doch alle sehr attraktiv und bestimmt nicht zufällig mit dir unterwegs!“

„Genau“, klärte mein Freund mich auf, „ich habe die Damen einfach engagiert. Ich inseriere, dass weibliche Modells für ästhetische Werbeaufnahmen gesucht werden und das klappt meistens gut.“

Nun wurde Michaels Stimme wieder verträumt:
„Tolle Autos und schicke Frauen gehören für mich einfach zusammen – ich liebe dieses Fotoalbum!“

 

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