Von Martina Zimmermann

Maria spürt die Sonne auf ihrer Haut. Gerade jetzt, hier in dem kleinen Wäldchen am Bach, fühlt sie sich wohl und lächelt verträumt ins Wasser. Sie schließt ganz bewusst ihre Augen für eine Moment und zählt bis dreißig, um dann ihre Augen zu öffnen. Dieses Bild, welches sie jetzt gerade vor sich sieht, das ist das Bild des Tages. Sie speichert es ab, in ihrem Inneren, um die Glücksmomente, praktisch mit einem Bild, in sich zu behalten. Sie hatte geübt. Es war nicht einfach gewesen, doch mit der Zeit, beherrschte sie es. Nicht nur abzuspeichern, sondern auch abzurufen. Genau dann, wenn sie es brauchte. Wenn der Tag nicht voller Sonne war und das Grau des Alltags auf sie herab prasselte.  Wenn die Traurigkeit versuchte sie einzunehmen, um sie herunter zu ziehen, dann atmete sie bewusst durch, schloss ihre Augen und rief sich das Foto, welches sie für die letzte Situation in der sie glücklich war, wieder in Erinnerung. 

Sie sah diese Stelle ganz genau vor sich. Im selben Augenblick spürte sie dieses Glück. Es gelang ihr, sich auf der Stelle dorthin zu träumen und ihr Körper reagierte. Sie fühlte eine Leichtigkeit, ein Lächeln umspielte ihre Lippen und gedanklich war sie genau dort. An jenem kleinen Bach. Sie hörte das Plätschern des Wassers und spürte die Sonne, die ihre Haut gewärmt hatte.

 „Maria, träumst du schon wieder vor dich hin?“, fragte ihre Mutter. Maria erschrak, schlagartig befand sie sich wieder in der Realität. Die Pflege ihrer Mutter überforderte sie so manches Mal. Es war nicht einfach, doch für Maria war klar, es muss so sein. „Du brauchst ein Hobby“, sagte Elke eines Tages zu ihr.  „Du musst dich ablenken, vielleicht Sport, oder Musik?“, mutmaßte sie.   „Kein Mensch kann das auf die Dauer aushalten. Du brauchst einen Ausgleich.“ Maria hatte Elke aufmerksam zugehört und sofort kreisten ihre Gedanken. „Was könnte ich denn tun?“, fragte sie und sah Elke dabei ratlos an. „Was würde dir denn Spaß machen?“, fragte Elke. „Überlege in Ruhe und dann meldest du dich irgendwo an.“ Maria nickte, und als sie abends in ihrem Bett lag, überlegte sie und spielte in Gedanken alle in Fragen kommenden Hobbys durch.  „Sport, aber welchen? Eigentlich mag ich keinen Sport. Ich hasse es zu schwitzen. Kunst? Malen kann ich auch so und … Ach ich weiß es nicht. Irgendwie scheint es nichts für mich zu geben.” 

In dieser Nacht schlief sie schlecht. Sie träumte wirres Zeug, sah sich in einer Turnhalle, schwitzend und unglücklich, umgeben von Frauen, die sportlich und in der neusten Sportkleidung, lächelnd um sie herum tanzten. 

Schweißgebadet wachte sie auf.  „Was für ein Horror. Das kommt auf keinen Fall für mich in Frage. Ich bin anders als alle anderen und ich brauche etwas, was sonst keiner macht“, dachte sie. „Aber was?“ Am nächsten Tag versorgte sie ihre Mutter wie immer. Ihre Arbeit hatte sie aufgeben müssen. Früher hatte sie in einer Näherei gearbeitet. Handwerklich war sie begabt und das kam ihr auch im Haushalt und bei der Pflege der Mutter zugute. Sie war alleine mit ihr. Ihr Vater verstarb schon vor langer Zeit. Mutter hatte sie sehr bescheiden erzogen. Luxus war ein Wort, das sie nur aus der Zeitung kannte. Eher armselig, demütig und unspektakulär würde man ihr bisheriges Leben beschreiben. Manchmal träumt sie von einem Partner, den sie an ihrer Seite hätte. Der sie versteht und mit dem sie sich austauschen könnte. Ein Mann, der sie liebt und ihr Zuneigung schenkt, mit dem sie noch etwas erleben könnte. Bislang hatte sie nichts Großartiges erlebt. Nicht, dass sie sich beschweren würde, aber in ihr schlummerte diese Sehnsucht nach etwas Neuem. Bei der Vorstellung lächelte sie und ihr Gesicht erhellte sich. Maria war eine schöne Frau, doch es fiel erst auf den zweiten Blick auf. Sie war zu bescheiden und sie hatte auch nicht die Kleidung um sich zurecht zu machen. „Wer würde denn auf mich aufmerksam werden?“, fragte sie sich. Dann wurde sie wieder traurig. „Keine vierzig Jahre alt und noch nichts erlebt. Das muss sich ändern.”    Maria fand zunächst keinen Weg aus ihrer Situation, allerdings liebte sie es, sobald es ihre Zeit zuließ und sie ihre Mutter kurz alleine lassen konnte, spazieren zu gehen.

Sie hatte verzweifelt nach einem Hobby gesucht und als sie so da saß, begriff sie, genau das war ihr Hobby. Sie liebte es für sich alleine die schönen Dinge der Natur zu bewundern und bewusst abzuspeichern um es dann, wenn sie   traurig war, es wieder abrufen konnte. „Wer hat schon so ein Hobby“, dachte sie und bei dem Gedanken musste sie lächeln und sie fühlte sich glücklich. Genau jetzt, wo sie an der Wiese steht, die Kühe bewundert, wie sie das frische Gras fressen. In diesem Moment, wo sie die Natur riechen kann. Das Gras, den Wind auf der Haut und eine Spur Freiheit in ihr aufkommt. Bewusst schließt sie ihre Augen, sie zählt bis dreißig und als sie ihre Augen öffnet, schaut sie in zwei Augen. Verwundert, starr, und verwirrt, wusste sie gerade nicht, ob sie dieses Bild abspeichern sollte. Denn statt der fressenden Kuh, stand ein junger Mann vor ihr. Er hatte blondes Haar, das strubbelig zu allen Seiten stand. Er lächelte und die kleinen Sommersprossen auf seiner Nase, verliehen ihm etwas Spitzbübisches. Mit offenem Mund und erstauntem Gesicht war sie gerade so überrumpelt, dass sie kein Wort heraus brachte.

 „Hallo, genießen sie den Tag und bewundern meine Kühe?“, fragte der Mann. Er lächelte immer noch, und bei genauer Betrachtung, fiel ihr auf, dass er in Arbeitskleidung vor ihr stand. Sie stand dort wie angewurzelt als der Mann sich vorstellte. „Ich bin Jan, Jan Albermann. Mir gehört der Hof, dort hinten. Der Zaun hier vorne ist nicht mehr in Ordnung, ich wollte ihn gerade reparieren“, erklärte er während er sie voller Bewunderung anschaut.  „Hallo, ich heiße Maria. Ab und zu gehe ich hier spazieren. Ich mag die Natur und die Tiere“, erzählt sie und wundert sich selber, wie ungezwungen sie jetzt gerade war. Eigentlich war sie nie so locker, aber dieser Mann wirkte offen, freundlich und sympathisch. 

An diesem Nachmittag speicherte Maria zum ersten Mal ein anderes Bild in ihrem Inneren ab. Es war kein Fluss, keine Wiese oder Kuh. Diese Fotos haben sie immer glücklich gemacht, aber heute speichert sie das Foto von Jan ab. Sie lächelte vor sich hin, wenn sie es abruft und Jan vor ihren Augen erscheint. 

 „Manchmal ist es gut, ein Hobby zu haben.”