Von Ingo Althöfer

Guten Tag! Sie sind hier bei Hartmann, dem einzigen deutschen Rauhaardackel mit eigenem Blog. Heute geht es um die Liebhaberei von Herrchen.

 

Wieder ist ein Paket aus der Bucht für ihn gekommen, und der Duft ist enorm. Herrchen nimmt ihn zwar selbst nicht wahr. Aber am Wedeln meines Schwanzes ahnt er, was in der Schachtel ist. Einmal lief ihm deshalb sogar etwas Sabber aus dem Mund. Er legt das Paket auf den Küchentisch, schneidet das Klebeband vorsichtig durch, faltet den Karton auf und nimmt ein Exemplar heraus: Eine 38er Tabiris mit 9,5 Prozent und herbem Leder-Schweiß-Aroma. Selig lächelt er mich an, lässt das Exemplar von einer Hand in die andere gleiten, betrachtet es aus allen Winkeln, klopft vorsichtig mit den 9,5 auf die Anrichte.

 

Da dreht sich ein Schlüssel in der Haustür: Renate! (Frauchen mag ich sie nicht nennen, dafür ist sie zu streng.) Wie immer will Herrchen das Paket verschwinden lassen, aber dieses eine Mal ist er zu langsam. Renate braucht einen Moment der Orientierung. Mit aufgerissenen Augen glotzt sie ihren Gatten an und fragt dann ungläubig: „Hast Du etwa Schuhe für mich gekauft?“

 

Herrchen sammelt sich und beginnt stotternd: „Nei-nein. Ich sammle Skisprung-Schanzen. Beziehungsweise, weil die echten so groß sind, Modelle von Skisprung-Schanzen. Schau mal, Spatzl, die hier ist von Ortmann. Siehst Du die kühne Linienführung und den schlanken Schanzentisch? Fast so elegant wie die Olympia-Anlage von Cortina d’Ampezzo.“ Etwas scheu hält er den High Heel gegen das Licht.  

 

Ich habe mich inzwischen ins Körbchen verkrochen, weil ich Renates Ausbrüche kenne.

 

„Willst Du mich für blöd verkaufen?“, kreischt sie. „Das ist ein stinknormaler Damenschuh. Und gebraucht ist er auch. Welcher Nachbarin hast Du den abgeschwatzt?“ „Äh, gar keiner. Der ist von Ebay – für 1 Euro aus der Versteigerung und knapp 5 Euro Versandkosten. Echt günstig.“ Renate verdreht die Augen: „Ich glaube, es hackt. Mein Mann kauft gebrauchte High Heels bei Ebay und versucht mir einzureden, es seien Modelle von Skisprung-Schanzen. Ich fasse es nicht.“

 

Herrchen wagt einen Einwurf: „Aber schön sind sie. Schau nur den eleganten Absatz und das tolle Sohlenmuster, und die Farbgebung im Oberleder. Echtes Leder, Spatzl!“ „Nenn mich nicht Spatzl! Und sag bloß, dass Hartmann eingeweiht ist?“ 

 

Ich halte die Augen geschlossen und tu, als ob ich schlafe. 

 

Herrchen sieht eine Chance, sich herauszuwinden: „Hartmann ist ja eigentlich der Hauptgrund für den Kauf. Du weißt, wie gerne er auf manchen Deiner Schuhe herumkaut. Da habe ich probehalber mal ein Paar High Heels ersteigert. Und Hartmann ist durchaus immer sehr zufrieden, wenn neue gebrauchte Heels kommen.“ „’Durchaus immer‘ … Willst Du sagen, dass Du mehrere Paare in der Bucht ersteigert hast?!“ Herrchen nickt treu. Renate: „Ich fasse es nicht. Mein Mann, der High-Heels-Fetischist.“

 

Herrchen wagt einen Einwurf: „Skisprung-Schanzen-Fetischist, bitte.“ „Ich fasse es nicht. Wie viel Paare hast Du schon erworben?“ Herrchen murmelt. Renate: „Sprich lauter, ich verstehe Dich nicht.“ Herrchen: „Ich weiß es nicht genau.“ So lässt Renate ihn die Kollektion der Schanzen im Wohnzimmer aufbauen. Ein bisschen ist sie schon beeindruckt. Es sind wunderschöne Paare dabei. 

 

Herrchen spürt Oberwasser: „Ich habe ihnen Namen gegeben, nach den schönsten Schanzen der Welt. Hier zum Beispiel ‚die Schattenbergs‘, oder hier die ‚Heini-Klopfer-Heels‘, und hier die ‚Queens of Innsbruck‘.“ Und Renate plötzlich: „Und hier, die könnte man nach der chinesischen Olympia-Schanze benennen.“ Sie hält inne, wird nach einem Moment wieder sachlich. Die Zählung endet bei 43. 

 

Das Verhör geht weiter. Renate: „Sind das alle?“  Schweigen. Renate lauter: „SIND DAS ALLE DEINE SCHANZEN?“ Herrchen: „Fast.“ Sie: „Wie, fast?“ „Die, die nicht so schön waren, haben Hartmann und ich im Gartenteich versenkt.“ „Ja, klar. Jetzt ist Hartmann plötzlich der Hauptverantwortliche.“ „Ist übrigens ein toller Anblick, wenn die Schuhe – mit etwas Blei beschwert – langsam versinken“, versucht er, vorsichtig abzulenken. „Fast wie die Titanic. Hartmann sitzt dann jedes Mal ganz sentimental am Ufer und jault in den Himmel.“

 

„Du und Dein Hartmann!“ „Er ist nicht mein Hartmann – er ist unser Hartmann!“ Renate: „Na ja, immerhin ist er nicht ganz dumm. Harti spürt genau, wenn ich unter Strom stehe und stellt sich dann schlafend – so wie jetzt zum Beispiel.“ Es entsteht ein Moment des Schweigens, bis Renate den Faden wieder aufnimmt: „Wie viele Heels sind im Gartenteich?“ „Äh, wir führen kein Buch. Sie liegen jedenfalls alle tief. Erkennen kann man sie nur bei Windstille, wenn man ganz genau ins Wasser schaut und weiß, dass da Schuhe sind.“

 

Renate ist komplett bedient: „Na toll! Hoffentlich haben die Nachbarn nichts von Deinem Heels-Versenken mitbekommen.“ Herrchen: „Wohl nur der Schröder von schräg gegenüber. Der bewundert mich.“

 

Liebe Freunde des Rauhaar-Blogs. Schauen Sie auch nächsten Monat rein: „Puppen im Teich …“

 

Version 2, 5049 Zeichen