Von Miklos Muhi

 

Als ich im zehnten Stock aus dem Aufzug steige, muss ich um prall gefüllte Müllsäcke zur Wohnungstür manövrieren. In den Säcken ist Bauschutt, der bald abtransportiert werden soll. In der Wohnung Nummer drei läuft grade eine umfangreiche Renovierung.

Die aus Nummer eins lassen sich hier nur sehr selten blicken. Die Dame aus Nummer vier ist vor einem Jahr unerwartet verstorben. Ihre Angehörigen haben die Wohnung geräumt. Seitdem steht sie leer.

So bin ich die einzige Partei im zehnten und letzten Stockwerk des Hauses und heute habe ich etwas Besonderes vor.

In der Küche öffne ich den Kühlschrank. Im Butterfach steht eine kleine, runde Blechdose. Ich nehme sie heraus. Es raschelt.

Mit der Dose in der Hand betrete ich den Balkon. In den vorbereiteten Töpfen auf dem Fenstersims hat sich schon das eine oder andere Unkraut breitgemacht. Die habe ich wohl zusammen mit der Erde eingeschleppt. Diesen unsäglichen Zustand beende ich sofort. Wachsen soll nur das, was ich will. Ich werde keinen Tropfen Wasser auf nutzloses Grünzeug vergeuden.

Ich mache die Dose auf. Die vier kleinen Samen sind in einem guten Zustand. Alle werden verpflanzt und mit abgestandenem Leitungswasser gegossen.

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In einer Woche sind sie gekeimt. Die Sämlinge strecken sich der warmen Frühlingssonne entgegen.

Das Unkraut zollt meinen Plänen keinerlei Respekt. Das beruht auf Gegenseitigkeit.

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Sie wachsen kräftig. Es gibt genug Licht für alle. Die Töpfe müssen auf ein Regal tiefer gelegt werden, sonst würde das Grünzeug das Balkonfenster verdecken, von etwaigen anderen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Mangelerscheinungen machen ihre Aufwartung. Ein kurzer Blick auf die Zusammensetzung des Leitungswassers auf der Webseite des Wasserwerkes verrät einiges. Manche Mineralien kommen in der Tabelle gar nicht vor.

Nachdem ich alles notiert habe, fahre ich zu einem großen Baumarkt mit einer Gartenabteilung, soweit das Auge reicht.

Die Welt der Dünger erweist sich als riesig und ziemlich wirr. Leider kennen sich die Verkäufer nicht besser aus als ich, so muss ich mit einem Vergrößerungsglas Etiketten lesen. Das Wesentliche ist immer im Kleingedruckten versteckt. Werbeslogans und sinnlose Kunstwörter, die groß genug gedruckt werden, sagen mir nichts.

Bald finde ich, was ich brauche.

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Die Töpfe stehen jetzt auf dem Boden. Die Pflanzen sind groß genug, um auch so genug Licht abzubekommen. Die Mangelerscheinungen sind verschwunden. Das Überdüngen, eine Folge meines Übereifers, meinen grünen Freunden helfen zu wollen, habe ich schnell in den Griff bekommen.

Man sieht schon die ersten Knospen. Bald werden sie blühen.

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Der Tag der Ernte ist da. Das Ergebnis der tagtäglichen Arbeit der letzten Monate füllt zwei Plastikschüsseln.

Ich koste. Selbst Angebautes schmeckt doch am Besten, so gut Gekauftes auch sein mag (meistens ist es aber nicht so gut). So entscheide ich mich, im nächsten Jahr mit der Balkongärtnerei weiterzumachen.

Es ist wesentlich mehr geworden, als ich erwartet habe. So viel kann ich allein sicherlich nicht aufbrauchen, so muss ich mir etwas zur Konservierung einfallen lassen.

Trocknen zu lassen läge zwar auf der Hand, aber das will ich nicht. Was in drei Tagen nicht weg ist, wird eingekocht. Mir schmecken getrocknete Tomaten einfach nicht.

 

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