von Marielies Saatkamp

 

Vor einigen Jahren hatte ich eine ganz spezielle Beschäftigung. Ich hatte mich auf die Suche nach dem westfälischen Spökenkieker begeben. Die Spökenkiekerei oder das „zweite Gesicht“ war in Westfalen noch bis in die sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bekannt. Wo war nun also der westfälische Spökenkieker geblieben? Der mit den „hellen Augen“, wie ihn Annette von Droste-Hülshoff nennt, und den unheimlichen Vorahnungen? Vor allem Tod und Unglück sahen die Spökenkieker voraus und waren damit bei ihren Zeitgenossen nicht eben wohl gelitten.

Im modernen Münsterland wollte sich nun aber niemand so recht „outen“. Meine Suche nach Spökenkiekern blieb weitgehend erfolglos. Was aber reichlich erzählt wurde, waren die zahlreichen Kontakte zu den „lieben Verstorbenen“, Ahnungen, Träume, das Gefühl, da ist jemand noch nicht richtig weg. In einem Fall hielt sich die Verstorbene besonders hartnäckig im Hier und Jetzt auf – und warf sogar mit Gegenständen.

*

„Meine Geschichte müssen Sie hören. Meine Mutter war Spökenkiekerin. Sie wusste immer alles im Voraus. Kommen Sie doch mal vorbei.“

So saß ich denn in dieser Wohnung. Kaffee und Plätzchen standen auf dem Tisch, und ich hörte mir die Geschichte von „Mutter“ an. „Immer wusste sie alles im Voraus! Sie hat uns gewarnt, geht heute nicht raus, fahrt heute nicht Auto…. Mutter hatte immer recht. Wir haben also auf ihre Warnungen gehört.“

Als Mutter schließlich ihr Spökenkieker-Dasein ausgehaucht hatte, fasste die Tochter einen Plan: Mutters Wohnung ist größer und liegt günstiger. Ich ziehe um!

Eine Frau, ein Wort. Die Tochter richtete sich in der Wohnung der Mutter häuslich ein. Aber es gab da ein Problem. Mutter war nicht wirklich ausgezogen. Mutter „spukte“, und zwar besonders wenn Besuch kam. „Dann bewirft se die Leute mit diesen Stofftieren hier. Und die, die sie zu Lebzeiten nicht leiden konnte, bewirft se mit den Kakteen vonner Fensterbank. Ich sage noch, Mutter, geh raus! Die Leute wollen jetzt nicht, dass du wieder spukst!“

Mutter war nun ein Poltergeist. Ihre unheimlichen Aktivitäten versuchte die Tochter ein bisschen zu beschränken. „Wollen Sie mal ein Bild von meiner Mutter sehen? Da inne Wandnische, da hängt se. Ich hatt‘ se erst überm Sofa, dann isse immer so geschwungen, wenn se uns was sagen wollte. Nun habe ich sie in die Nische gehängt! Nun kann se nicht mehr schwingen, nun fällt se von der Wand.“

Das war nun also mein erster Poltergeist! Ich war gespannt, was mir wohl noch alles zugetragen würde.

Ein paar Wochen später saß ich gemütlich mit einer Freundin beim Glase Wein. Es war ein dunkler, regnerischer Abend, eine Zeit für Geschichten. „Willst du mal meine neuste Geschichte hören“, fragte ich sie. „Ah ja, lass hören!“ – Und ich fing an. ……. Und mir wurde unbehaglich. Eine Hand schien mich im Nacken zu packen. Mein Gott, jetzt fange ich an zu spinnen! Habe Angst vor meinen eigenen Geschichten!

„Hör auf!“, rief meine Freundin. „Merkst du das denn nicht? Die Alte ist hier!“ „Äh, hast du auch den Eindruck?“ „Noch ein Wort von der Alten, und die manifestiert sich in meiner Wohnung. Ich will die hier nicht haben. Lass uns sofort von was anderem reden!“

Da saßen wir nun und hatten beide das Gefühl, nicht allein im Raum zu sein. Die gute Laune war vergangen, wir unterhielten uns im Flüsterton.  „Äh, was machen wir den morgen mal Schönes?“ Wenn das Wetter gut ist… hm, ja. Wollen wir mal ein Räucherstäbchen anmachen?“ „Meinst du, damit können wir die Alte vertreiben?“

Also liefen wir Räucherstäbchen schwenkend durch die Wohnung. Die unangenehme Atmosphäre schien sich zu verflüchtigen, vielleicht halfen die schweren fernöstlichen Gerüche ja auch gegen Geister.

Doch „die Geister, die ich rief“ wurde ich buchstäblich „nicht so schnell wieder los“. Als ich am nächsten Tag nach Hause fuhr, reiste „etwas“ mit. Was war das eigentlich für ein Scheiß-Gefühl? Was passierte hier?

Die Antwort fand ich in esoterischen Texten. „Mutter“ wurde in dieser Welt nicht richtig verabschiedet. Also suchte sie Kontakt, damit das nachgeholt werden konnte. Eigentlich logisch. Was tun wir auf Beerdigungen? Singen, beten, etwas Nettes über den/die Verstorbene sagen. Wir verhüllen Spiegel, öffnen Fenster, stellen Blumen auf. Mit massivem Spuk, so hieß es, mache jemand darauf aufmerksam, dass er/sie diese Sphäre nicht verlassen könne. In solchen Situationen seien Gebete hilfreich.

So bat ich denn um himmlisches Geleit für eine offenbar verzweifelte Seele – bis diese sich dankbar in eine andere Dimension verabschiedete. Damit verschwand das komische Gefühl, dieses Gefühl, nirgends mehr allein zu sein.

Da ich keine Lust hatte, so etwas zu wiederholen, habe ich mir eine andere Freizeitbeschäftigung gesucht. Offenbar sollte man nicht ganz unvorbereitet den Kontakt zur „anderen Seite“ suchen. Sport, Gartenarbeit, Stricken, was auch immer, es gibt ja nette Hobbys.

Einige Jahre später, geerdet im Hier und Jetzt, habe ich aus meinen Geistern eine Stadtführung gemacht. „Mutter“ belästige ich nicht, wenn ich von ihr erzähle. Sie ist jetzt längt weg.

 

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