von Clara Sinn                                                                                                 

Ich lege den Kopf in die Aussparung, genau genommen ist die Aussparung für den Hals. Ich senke also den Kopf hinunter, platziere meine kurze wertvolle Säule, auf der mein Haupt ruht, in diese ziemlich eng angepasste Rundung in der Form eines vollkommenen Halbkreises, dann saust es auch schon auf mich herab. Es ist ein Strahl viel zu kühlen Wassers, „… ach, entschuldige, hab’s wieder vergessen …“.

Streit ist ihr Hobby. Streit anzufangen und Streit zu beenden. Was die Beteiligten selbst von allein nicht schaffen. Einen lodernden Zwist beizulegen, einen unterdrückten Konflikt aufleben zu lassen. Ich sehe es ein. Mal heilt es, eine Wunde nur ruhn und zuwachsen zu lassen, mal besser, eine aufzureißen. Weil etwa ein Tupfer drin vergessen wurde. Da hilft keine Heilsalbe von außen.

Aber muss ich immer alles so brühwarm erfahren? Ich will eigentlich nur, dass sie mir den Kopf zurechtfrisiert, die Stoppeln im Nacken gründlich ausrasiert und mich wieder hergestellt hübsch aus ihrem Salon entlässt. Stattdessen bin ich gezwungen, Anteil zu bekommen an ihren verzwickten Fällen.

Diesmal ist es der verbittert alt gewordene Vater. Der seinen einzigen Sohn „doch liebt, auch wenn der nichts von ihm wissen will“. Nur deshalb habe er es ja auch „genau so eingetragen: Villier & Sohn“. Was dieser seinem Alten übel genommen hätte. Gleich von  Anfang an. Die Tochter bei dem Betrieb übrigens außen vor. Ebenfalls von Anfang an.

„Eine Künstlerin“, lässt meine Frisörmeisterin wissen und mimt dabei mit ausladenden Armen die mitgemeinten Anführungszeichen, wozu sie als Bekräftigung zweimal mit der Schere in die Luft schnippt.

Ich werde mit endlosen Anekdoten zum „überwältigend“ großen Firmenerfolg ermüdet über Korruptionsmanöver aller Arten betreffend Kunden, Lieferanten, städtische Ämter und „natürlich“ die einschlägig bekannten Player der Mobilfunkbranche.

Zwischen Entschlummern und Ingrimm beiße ich mir derart in die innere Wange, dass mir ein satter salzig-warmer Schwall unstillbar heftig in die Mundhöhle quillt. Ich fühle das Bedürfnis, etwas zu trinken und greife zum Wasserglas vor mir auf der Ablage, allein da schwimmt dies Büschel Minihärchen drin.

Ich starre auf das spannende Schauspiel in Zeitlupe, versuche zu ergründen, ob es gehen könnte, an der einen Seite vorsichtig zu nippen. Die winzigen Keratinschwimmer indes driften auseinander und vereiteln meine Pläne, aber sie treiben in einer solchen Seelenruhe dem Glasrand zu, dass ich, versöhnt, wieder zuzuhören vermag.

Der Sohn wollte sich nicht derart benachteiligen lassen. Dass er arbeiten müsse, während seine Schwester „einfach so“ ganz fürstlich dahinlebe vom Geld des Vaters. Mit Kind und Liebhaber und allem. Und nur ihrem Klecksen fröne.

Könne man „aaauuch“ verstehen.

Einer, nicht unberechtigt, der Lieblingssätze meiner Meisterin, die meisten ihrer Geschichten kennen tatsächlich ziemlich gleichwertige Verlierer.

Andererseits poste die Tochter „richtig, richtig“ gute Aufnahmen und Bodypainting sei ja gar nicht so einfach, aber diese leuchtenden Farben, Orange und …

ich habe an diesem Morgen noch nicht alles mitgemacht, was ich mir antun lassen muss, wenn es um meinen Kopf geht …

ganz tolle, ganz dicke, ganz breiig angerührte blaue Farbe …

eins steht noch aus …

das ganze Haar damit eingeschmiert, von den Augenbrauen an über die Stirn hinweg und dann an der einen Seite …

der Überwurf aufs Allergröbste weggerissen, wie immer nur übelst runtergezerrt und

die Frisur

bombastisch.

 

 

V1/3468Z