Von Christian Günther

Der Zeigefinger schwebte über der Returntaste. Sollte er bestätigen? Sollte er nicht? Weniger als eine Minute blieb ihm für die Entscheidung. Der Betrag war eingetippt. Einzig der Druck auf die Taste trennte ihn vom Objekt der Begierde. Nur dieses Stück fehlte in seiner Sammlung. Er konnte die Lücke schließen. Die Lücke, die ihn schon so lange störte. Wobei diese Lücke nicht komplett gefüllt wurde.

Der Streit mit seiner Gattin. Was heute alles kosten würde. Zum Beispiel Nahrungsmittel. Für zwei Erwachsene und Kind war der zweistellige Bereich kaum mehr möglich beim Wocheneinkauf. Sie lebten sparsam, verzichteten auf so viele Dinge. Urlaub? Zuletzt vor der Pandemie. Bekleidung? Stets eine Abwägung nach Dringlichkeit. Die Zeitung war abbestellt, Nachrichten jedoch mindestens einmal täglich Pflicht. Sei es bei der ARD-Tagesschau oder bei ZDF-Heute.

Die Heizung kostete, das Benzin. Sie wohnten auf dem Land, das Auto hatte zwölf Jahre auf dem Buckel. Bisher zuverlässig. Würde das immer so bleiben? Sie waren darauf angewiesen. Bus? Nur jede Stunde, und das nur tagsüber. Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine: Nicht mehr die neuesten Dinge. Würden sie halten?

Für das eigene Heim zahlten sie ab, noch viele Jahre lang. Für ihr Schmuckstück, liebevoll gehegt und gepflegt, und mit Garten. Heimisch hatten sie es eingerichtet mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen. Mit Freundschaftsdiensten, man half einander. Da kam es nicht auf Euro oder Cent an. Gartenparty für Laminatlegen. Kinder, die im Garten tollten. Fleisch auf dem Grill, diverse Salate als Beilage zur Auswahl. Der Kartoffelsalat seiner Frau, immer noch der beste! Miteinander anstoßen auf die Freundschaft und die gegenseitige Hilfe.

Er hatte sein Hobby, so wie mutmaßlich nahezu jeder Mensch sein Hobby hatte. Ein Hobby kostete meist. Es wurde nicht immer alles besser: Er liebte gerade sie, die Serien aus den 80ern und 90ern. Zumindest die für ihn wichtigen. So standen sie in seinem Regal. Egal ob alle acht Magnum-Staffeln, alle sieben von MacGyver oder die zwei kompletten von Stingray. Oder die zwei von Ein Colt für alle Fälle, wovon leider nicht mehr Staffeln als Boxen erschienen waren. Ob es mit dem Tod des Synchronsprechers in Verbindung stand? Die Folgen wurden damals für die DVD-Veröffentlichung extra neu synchronisiert.

Deutschsprachige Produktionen wie Der Fahnder mit dem unvergessenen Klaus Wennemann, Auf Achse, Rivalen der Rennbahn und Abenteuer Airport mit dem Ex-Tatort-Kommissar Hansjörg Felmy. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt das Großstadtrevier, das sich bis heute im TV gehalten hatte und mit Harry immer noch die gleiche Zivilfahnderin bot. Matula bei Ein Fall für Zwei. Die fliegenden Ärzte aus Australien. Ja, er war stolz, nicht auf ein Genre festgezurrt zu sein.

Jahrelang war seine Sammlung gediehen. Sein Blick traf das Regal, in dem die Serienboxen penibel sortiert standen. Je nach Wichtigkeit hatte er neue oder gebrauchte DVD gekauft. So manchen Schnapper gemacht. Den Großteil vor seiner Ehe, danach eingeschränkter. Einen hatte er jedoch verpasst. Das Objekt seiner Begierde, das nun in einer Auktion angeboten wurde.

In Gedanken trat er an das Regal heran, so als stünde er direkt davor. Er musste die Hüllen und DVD anfassen. Aus dem Regal ziehen, in den Player einlegen. Streaming? Das war doch kein Erlebnis. Zumindest für ihn nicht. Nur in einem Falle konnte er es nicht tun. Da war sie, die bestehende Lücke, die er gerne füllen würde. Da griff er haptisch (noch?) ins Leere.

So wie im TV vieles von Quoten abhing, waren das bei DVD sicher die Verkäufe. Zu wenige Zuschauerinnen und Zuschauer? Ausstrahlung eingestellt! Zu wenige Käuferinnen und Käufer? Produktion eingestellt! Teils sogar vor der Veröffentlichung aller Staffeln. Wie bei seinem Objekt der Begierde. Gebrauchtes kostete plötzlich mehr als Neuware. Sehr viel mehr!

Er hatte 333,33€ eingegeben.

Seine Frau war mit dem Sohn unterwegs, er allein zuhaus. Würde sie ihm ansonsten über die Schulter sehen? Einwände geben? Würde sie ihn gar vom Stuhl zerren? Was man sich für 333,33€ sonst hätte kaufen können? Was für sie sinnvoller gewesen wäre?

Klaus Löwitsch als Peter Strohm, einer der Helden aus seiner Jugend. Der mit dem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, vereinzelt als deutscher James Bond betitelt. Teils exotische Schauplätze, schöne Frauen und tolle Actionszenen bietend.

Er besaß zwei Staffeln, die dritte fehlte, vier und fünf würden wohl nie veröffentlicht werden. Die Auktion zur dritten Staffel, das einzige Angebot, stand – die letzten Minuten sprunghaft gestiegen – bei 256,00€. Zustand gut. Leichte Kratzer auf den DVD, die Ecken der Hülle mit Stoßschäden. Funktionierte alles einwandfrei?

Würde sein 333,33€-Angebot überhaupt reichen? Der Finger berührte die Returntaste nun. Sollte er bestätigen? Sollte er nicht? Nur noch ein paar Sekunden bis zum Auktionsende. Er stand unter Strom, ihm wurde warm und sein Atem schneller – und er musste sie treffen, diese Entscheidung.

 

(Version 3)