Von Uwe Lohse

Da musst du unbedingt mal dran teilnehmen, sagten sie. Meine sogenannten „Freunde“ die sich jahraus, jahrein unentwegt darüber Sorgen zu machen schienen, dass ich seit langer Zeit schon keine Frau mehr an meiner Seite hatte. 

Es ist nicht gut wenn der Mensch alleine ist, meinte Carsten, der schon im 16. Semester Theologie studierte und seine Langzeitfreundin Isabell pflichtete ihm bei. „Du musst dir halt Mühe geben“, sagte Isabell, „selbst unser Hausmeister hat vor kurzem eine Frau gefunden. Und der hat eine Glatze, einen dicken Bauch und ist nicht die hellste Kerze auf der Torte“.

„Na vielen Dank auch“, antwortete ich.

Woraufhin mich beide liebevoll anlächelten. Ironie war nicht deren Sache. So verging kaum eine Woche, in der ich nicht Opfer wurde eines neuen Einfalls von Isabell oder Carsten, hinsichtlich meines Weibermangels und wie man dieser Abhilfe schaffen könne.

Carsten meldete mich bei diversen Dating – Plattformen an und gab mir das lächerliche Pseudonym „Steppenwolf“. Er meinte wegen Hesse halt. Carsten war ein großer Hesse- Fan, ich nicht. Und so saß ich nicht selten in einem Restaurant und hörte einer fremden Frau dabei zu, wie sie über Hesse räsonierte und unentwegt davon sprach, wie sehr sie das Werk von Hesse berührte. Bis es mir reichte und ich erklärte, dass ich persönlich eher das Werk von Bukowski schätzte. Nachdem ich nach einer irritierten Rückfrage ihrerseits erklärte, dass ich tatsächlich den berüchtigten Charles und nicht etwa Wladimir meinte, rauschte sie nach weiteren unbehaglichen zwanzig Minuten ab. 

Carsten zeigte sich bekümmert, Isabell hingegen wiederholte ihre Aufforderung, ich sollte mir mehr Mühe geben. Die Jahre der Einsamkeit hätten mich kauzig gemacht, meinte sie und wuschelte mir über das Haar. 

Aber aufgeben wollten sie nicht. Es weckte wohl ihren sportlichen Ehrgeiz.

So kam Isabell vor ein paar Wochen wieder mit einer neuen Idee an, mit vor Aufregung glühenden Wangen. Sie erzählte mir von dem Dating – Konzept „Kuschelmuschel im Weinkeller“. In einem sogenannten Szene-Lokal würden sich Singles beiderlei Geschlechts zu einem Treffen in einem romantischen Weinkeller treffen, bei Kerzenschein und mit Minnegesang, Gauklern und Clowns als Begleitprogramm. 

Mir drehte es den Magen um bei dieser Schilderung. Ich sah mich in einem Kellerloch ohne Fenster sitzen, umgeben von gregorianischen Sängern und irren Clowns, mit einer Frau am Tisch, die auf so etwas stand.

Aber ich brachte es nicht über das Herz, Isabell und Carsten eine Absage zu erteilen. Sie hatten sich alle erdenkliche Mühe gegeben. Isabell musste dieses Event schon Wochen voraus buchen, wie sie mir erklärte, weil es so eine starke Nachfrage gäbe. Die Warteliste sei lang.

Also ich kann warten, hätte ich gerne gesagt, aber da hatte mir Isabell bereits die Karte für nächsten Freitag in die Hand gedrückt.

„Schenken wir dir“, hatte Carsten gesagt und mit den Augen gezwinkert, „siehe es als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk, du Miesepeter“.

„Dein Pseudonym haben wir übrigens geändert“, sagte Isabell, „du bist jetzt der Seewolf. Merk es Dir“.

Seewolf, überlegte ich mir, das war vollkommen lächerlich. Mir wurde ja schon schlecht, wenn ich nur kurz mit der Fähre von den Landungsbrücken nach Finkenwerder rüberfuhr. Gesagt hatte ich nichts, nachdem ich einen Blick auf die Karte geworfen hatte. Das Ding kostete 125 Euro. 

So ging ich am Freitagabend, geschniegelt und gestriegelt, aber gleichmütig schlecht gelaunt, ins Szenen – Viertel zur Szenen – Kneipe, um mich dort dem Szenenpublikum auszuliefern und zwei quälende Stunden verbringen zu müssen.

Als ich die Kellertreppe hinunterlief und die dicke Eichentür öffnete, da bewahrheiteten sich meine schlimmsten Befürchtungen. Es war als ob man in ein Weinfass hineinspazierte. Nur das in diesem Weinfass geschätzte zwanzig Leute herumsaßen, die mich von ihren Tischen aus jetzt alle anstarrten. Ich war wieder mal zu spät. 

So betrat ich den Kellerraum, sah mich trotzig um, während hinter mir die Eichentür zuschlug.

In diesem Augenblick ging das Licht aus.

Es war stockdunkel. Und wenn ich sage stockdunkel, dann meine ich das wirklich so. Als ob die Eichentüre der Deckel für einen Sarg sei.

Sagte ich stockdunkel? Ich korrigiere mich, ich meinte rabenschwarz.

Ich bilde mir nun nicht ein, dass aufgrund meiner Person die Lichter im Raum ausgingen. So hässlich bin ich auch wieder nicht. Vielleicht war die Elektrizität hier unten sehr fragil, überlegte ich und die Erschütterung mit der dicken Eichentür hat ihr schließlich den Rest gegeben. 

Ich stand unschlüssig in der Dunkelheit herum. Da schalten mir plötzlich ein paar weibliche Stimmen entgegen. 

„Bist du der Haifisch“, fragte eine.

„Bist du Sterntaler“, fragte eine andere.

„Oder bist du der Zauberlehrling“. 

Ich weiß nicht was mich geritten hatte, darauf zu antworten „Nein, nichts von alledem. Ich bin nur ein Handwerker, der sich hierher verirrt hatte, weil er in Ruhe ein Bier trinken wollte“.

Ein Handwerker, kam es plötzlich aus allen Ecken, wie ein Aufschrei kollektiver Erleichterung.

Jemand fasste mich sanft an der Schulter.

„Könnten wir uns mal draußen unterhalten“, fragte jemand. Ich folgte der Aufforderung nur zu gerne. Es stellte sich heraus, dass dieser jemand der Organisator der Veranstaltung war. Er bat mich flehentlich darum, ob ich nach der Elektrik schauen könne. Sonst sei alles verloren, sagte er und sah mich traurig an.

Als er mich zum Sicherungskasten führte, da kratzte ich mich am Kopf und versuchte Zeit zu gewinnen.

„Tja“, sagte ich, „das sieht gar nicht gut aus“.

Ich spürte direkt, wie bei dem Typen neben mir das Herz in tausend Stücke sprang.

„Aber ich werde versuchen was ich tun kann“, fuhr ich fort, „gehen Sie am besten rein und beruhigen Sie die Gemüter“. 

Er folgte dieser Aufforderung mit hängenden Schultern. 

In Wirklichkeit war daran gar nichts kompliziert, es war halt nur eine Sicherung herausgesprungen. Als ich diese nun wieder hochschob, da hörte ich von drinnen ein dankbares „AHHHH“. Wie durch eine Zauberhand waren die Lichter wieder angegangen. 

Ich wartete noch kurz und ging dann rein, wo ich mit begeisterten Applaus empfangen wurde. Der Veranstalter bedankte sich immer wieder bei mir, machte Verbeugungen und ließ mir ein frisch gezapftes Bier bringen. 

„In fünfzehn Minuten fangen wir an“, rief er dem Publikum zu, „das hängen wir alles dran, meine Damen und Herren. Der Handwerker hat uns gerettet“. 

Während ich mein Bier genoss, kamen viele der Leute freudestrahlend auf mich zu und gaben mir eine Visitenkarte. Sie meinten ich solle mich so schnell wie möglich bei ihnen melden, da sie selbst das eine oder andere Problem hätten. Ich versprach zu tun, was ich tun konnte, trank mein Bier aus und verabschiedete mich mit einem Lächeln von den Singles. Die lächelten dankbar zurück. Es war ein wirklich schöner Abend.

Ich fuhr noch ein wenig durch die Gegend mit der S- Bahn, damit ich nicht zu früh zu meinen WG- Bewohnern Isabell und Carsten kam. Unterwegs warf ich die Visitenkarten mit den männlichen Namen weg und behielt die mit den Frauen. Ich würde in den nächsten Wochen jede Menge Verabredungen haben. Sogar bei denen zuhause.

In der WG- Küche erwarteten mich Isabell und Carsten bereits ungeduldig.

Ich erzählte ihnen, dass es ein wirklich wundervoller Abend gewesen sei. Von dem Malheur mit der Elektrik erzählte ich nichts.

Triumphierend warf ich den Stapel mit den Visitenkarten auf den Tisch. Die alle wollten sich in den nächsten Wochen mit mir noch einmal treffen, erklärte ich dem staunenden Pärchen.

Ungläubig nahm Isabell die Visitenkarten in die Hand und sah sie durch, während ich mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank nahm.

„Wie hast du das bloß geschafft“, fragte Isabell.

„Nun“, sagte ich und trank ein Schluck aus der Bierflasche, „ich habe mir halt alle Mühe gegeben“.