Von Miklos Muhi

Als Raimund den Posten des Chefkochs räumen musste, war Oskar traurig. Er  ließ seine Gewissensbisse in noch mehr Arbeit ertrinken. Mindestens einmal in der Woche blieb er im Hotel nach der Spätschicht und arbeitete für die Frühschicht vor.

 

In den elektronischen Aufzeichnungen stand, wie immer, dass Oskar am Anfang seiner Schicht zur Arbeit kam und am Ende nach Hause ging. Sein tatsächliches Arbeitspensum hätte jede Arbeitsschutzbehörde der Welt in Straflaune versetzt, deshalb wurden nur die frisierten Daten erfasst.

 

*

 

»Wir ziehen es übermorgen in aller Frühe durch. Punkt 2:15 gehen wir hinein und wir sind spätestens bei 3:15 raus«, sagte der Chef. Alle Anwesenden nickten. »Wenn jemand Fragen haben sollte, will ich sie auf der Stelle hören.«

»Ich hätte so etwas wie eine Frage«, sagte der Schweißer.

»Schieß los!«

»Wir müssen sicher sein, dass niemand uns überrascht. Die Gerätschaften, die ich da brauchen werde, passen nicht in meiner Westentasche. Schnelles Weglaufen ist nicht, zumindest nicht für mich.«

»Oleg schuldete mir einen Gefallen und hat sich im Computernetzwerk des Hotels umgesehen. Die Spätschicht der Putzkolonne geht am 2:00 nach Hause und die Frühschicht kommt erst um 3:30. Bis dahin sind alle Pfeffersäcke von der Konferenz zurück, zumindest war es bisher so. Alle Safes sind vermietet.«, sagte der Chef. »Noch irgendwelche Fragen oder Wünsche?«

 

Alle schwiegen. Der Chef erklärte daraufhin die Sitzung für beendet und alle gingen mit Vorfreude an der großen Beute, die zu erwarten war, nach Hause.

 

*

 

Keiner fragte Oskar, was er noch im Hotel zu suchen hatte. Wahrscheinlich wusste niemand, dass er da war. Er nahm sich die Toiletten im Erdgeschoss vor. Das war die Aufgabe der Frühschicht. Oskar dachte daran, dass sie sich bestimmt freuen werden, und machte sich, zusammen mit Bob, seinem gelben Schwamm, an die Arbeit. Besonderes stolz war er darauf, dass, seit der Sache mit der Hochzeit, nur er allein mit gelben Schwämmen arbeiten dürfte. In der Küche benutzte man heute grüne.

 

*

 

Kurz nach zwei Uhr morgens rollten drei dunkle Lieferwagen mit ausgeschalteten Scheinwerfern der Straße entlang. Zwei fuhren Richtung Hotel, einer kam beim Trafohaus an der Ecke zum Stehen. Vermummte Männer sprangen heraus und brachen die Tür auf. Zuerst tauschten sie das Telemetrie-Modul aus. Das neu eingesetzte Modul sendete immer wieder »alles ist gut« an die Elektrizitätswerke. Dann bauten sie die Sicherungen aus. In der ganzen Straße wurde es dunkel. Sie verschlossen das Trafohaus wieder und fuhren weg.

 

*

 

Im Hotel verhinderte jetzt nur das Licht der batteriebetriebenen Notbeleuchtung, dass man sich das Genick brach oder gegen die Wand lief.

 

Oskar blickte kurz auf und setzte die Arbeit fort. Er war noch nicht fertig und die Notbeleuchtung lieferte genug Licht.

 

Bei der Rezeption herrschte Ratlosigkeit.

»Sepp, ruf die Elektrizitätswerke an«, sagte der dienstälteste der beiden Herren und begann mit einer Taschenlampe die Schubladen zu durchsuchen. »Ich starte den Generator im Keller, sobald ich den verdammten Schlüssel finde. Benutze dein Handy. Die Telefonzentrale ist wahrscheinlich ausgefallen.«

»Wird gemacht«, sagte der andere und holte sein Mobiltelefon aus der Tasche. Verwundert gaffte er einige Sekunden lang auf den Bildschirm. »Ich habe kein Netz.«

 

Bewaffnete Männer mit Skimasken stürmten hinein.

»Hände hoch! Wenn ihr tut, was ich sage, muss niemand sterben!« Die Lautstärke entsprach einer normalen Unterhaltung.

»Was sollen wir denn tun?«

»Legt euch hinter dem Tresen auf dem Bauch«, antwortete der Chef und setzte das Handystörgerät auf einen Tisch im Foyer ab. Die Hotelangestellten gehorchten. Der Chef hockte sich neben ihnen auf dem Boden.

 

Der Schweißer betrat das Hotel. Hinter ihm kamen weitere Männer, die schweren Taschen schleppten und Schubkarren schoben. Sie gingen direkt zur Tür neben der Rezeption und brachen sie auf. Dahinter lag der Raum mit den Safes.

 

*

 

Oskar war fertig. Er entschied sich, zur Rezeption zu gehen und zu fragen, ob alles in Ordnung war.

 

Der Flur glühte in einem gespenstischen Grün. Er schaute sich interessiert die Notleuchten an. In vollkommener Dunkelheit hatte er sie noch nie gesehen. Bei einem der Leuchten blieb er stehen und bewunderte die knallige Farbe.

»Schön …«, murmelte Oskar und ging weiter.

 

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Der Schweißer verteilte die Arbeit. Zwei bekamen je einen Winkelschleifer, einer einen Hammer und einen Meißel. Einer bediente den leisen aber starken Generator, der mit Wasserstoff lief, einer deaktivierte die Sensoren der Feuermelder im Saferaum, einer half ihm mit den kompakten Acetylen- und Sauerstoffflaschen. Ein Mann stand mit einem Feuerlöscher bereit, für den Fall, dass die herumfliegende Funken etwas anzündeten.

 

Alle elektrischen Geräte wurden so eingestellt, dass sie sehr leise liefen.

 

*

 

Oskars schritte waren auf dem dicken Teppich nicht zu hören. Er sah am Ende des Flures die Rezeption von der Seite. Keiner war da. Oskar vermutete, dass die zwei gerade reparierten, was auch immer kaputt war.

 

Als er umkehren wollte, sah er die Funken, die hinter einer halb geöffneten Tür neben der Rezeption herumflogen. Er zuckte die Achseln und machte sich auf den Weg zur Umkleide für das Personal.

 

Nach einigen Schritten blieb er stehen. An der Wand bemerkte er einen kleinen Kasten, der jetzt, im grünen Licht der Notbeleuchtung, schwarz wirkte. Der war eigentlich rot und hatte etwas damit zu tun, was er gerade gesehen hatte, mit Funken … nein mit etwas anderes … mit Feuer.

 

Er dachte an die roten Autos mit komisch gekleideten Menschen darin, die alles mit Wasser begossen und Äxte dabei hatten. Man musste sie rufen, wenn es irgendwo brannte. Er trat zum Kasten und drückte mit seinem kräftigen Daumen die dünne Sicherheitsglasscheibe ein.

 

Dann ging er weiter. Der ganze Lärm kümmerte ihn nicht.

 

*

 

Die besonders leisen Geräte waren nützlich, wenn man von weiten das Einsatzhorn der Polizei hören musste. Als jedoch der laute Feueralarm ertönte, schraken alle auf.

»Was zum Teufel ist das denn?«, fragte der Schweißer. Er steckte seinen Kopf durch die Tür. Der Chef, der auf die zwei Angestellten aufpasste, war schon auf den Beinen und schaute verwirrt herum. »Chef, was ist los?«

»Ich habe keine Ahnung, Mann. Wir müssen sofort weg. Lass deine Sachen packen und verschwinden wir!«, rief der Chef.

»Aber …«

»Halt die Klappe und tue, was ich sage!«

 

*

 

Der Einsatzleiter der Feuerwehr staunte, als er in die Straße zum Hotel einbog. Alles war dunkel. Das Blaulicht und die Scheinwerfer der Einsatzfahrzeuge verliehen den mit Schnee bedeckten Bäume ein gespenstisches Glimmen. Die kleinen Eiskristalle in der Luft pulsierten im Rhythmus der Lichter.

 

Die zwei Lieferwagen, geparkt auf der Feuerwehrzufahrt des Hotels, machten ihn wütend. Er sah auch die Gestalten, die aus dem Gebäude liefen. Als er die Sturmgewehre auf den Rücken der Männer ausmachen konnte, verschwand seine Wut und machte Platz für eine kalte Berechnung. Er nahm das Funkgerät und gab seine Befehle den zwei anderen Einsatzfahrzeugen. Eins kam ihm vom anderen Ende der Straße entgegen, eins fuhr hinter ihm.

 

Er gab Gas und krachte in den näheren Lieferwagen. Hinter ihm hörte er das Quietschen der Bremsen und dass die Männer aus dem Feuerwehrauto sprangen. Das Einsatzfahrzeug, das ihm entgegenkam, krachte in den anderen Lieferwagen und klemmte ihn, zusammen mit dem ersten, ein.

 

Als das Krachen verbogenen Blechs verklang, ertönte das »Wasser Marsch!«-Kommando und die Passagiere der Lieferwagen wurden in der bitterkalten Nacht durchnässt.

 

Der Einsatzleiter schaute zufrieden zu, wie einige ihre Waffen hervorholen und schießen wollten. Ihre Gelenke wurden im nassen Frost jedoch zu steif, um feine Bewegungen auszuführen. Das Weglaufen funktionierte mit steifen Knien auch nicht besonderes gut.

 

*

 

In der Ferne hörte er das laute Tatü-Tata der Polizei. Der Fahrer des dritten Einsatzwagens hatte sie per Funk benachrichtigt, noch bevor er ausstieg, um den Gaunern eine Dusche zu verpassen.

 

Die Handschellen klickten ohne Widerstand. Einen Brandherd fand man nicht, nur den eingedrückten Alarmknopf. Niemand war im Erdgeschoss anwesend.

 

*

 

Oskar verließ das Hotel durch den Personaleingang, kurz nachdem die Feuerwehr in die Straße des Hotels angekommen war, und freute sich schon darauf, nach einigen Stunden schlaf, wieder für saubere Toiletten sorgen zu können.

 

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