Helga Rougui

Es dreht sich hier nicht um die ewige Großstadtfrage im Club zur Samstagnacht: – Soll ich den vögeln? Oder doch lieber den mit Bart?

Nein, dieser Text ist den Vögeln gewidmet, den Spatzen, Meisen, Amseln, Pfaffen, Finken, den Milanen, Turmfalken und Gabelweihen.

 

Ich lebe seit kurzem auf dem Lande, und vom Küchenfenster aus sehe ich in der Ferne den Wald.

Ich schaue auf Nachbars Wiese, wo sich eine altmodische Wäschestange befindet – kennen diese Menschen hier keine Trockner? –  an der einige Meisenringe baumeln, die sich den ganzen Tag regen Zuspruchs erfreuen.

 

Ich frühstücke Brot mit Leberwurst, die Vögel frühstücken Fett mit Körnern.

Gar nicht mal so verschieden.

Ich frühstücke Eier, die Vögel – nicht.

Hm.

 

Ich war immer gut zu Vögeln: Chicken Wings, Pollo al Ajillo, Coq au Vin, Farmhouse Chicken, Canard à l’Orange, Poulet Rôti, Thanksgiving-Turkey, Caille sur Canapé können sich über mangelnde Zuwendung meinerseits nicht beklagen.

 

Amselpasteten und Krähensuppe habe ich ehrfürchtig ausgelassen.

 

Ob ich, wenn sie noch auf dem Speisezettel zu finden wären, eine Fettammer essen würde?

Meine kleine gelbseidene Comtesse hat sie ihrerzeit gekostet – jedenfalls als sie noch einen Kopf hatte, der nicht immer davonrollte. (La Grande Révolution hat auch so manche kulinarische Tradition gebrochen.)

Von der Leimroute gepflückt und in einen dunklen Kasten geworfen, gehen für den Ortolan die Lichter aus, manchmal wird er geblendet, so daß er nimmer weiß – ist es Tag, ist es Nacht.

Er tastet in der Dunkelheit, findet Körnerbrei, beginnt panisch zu fressen, zu fressen, zu fressen, er wird fett und fetter und nach drei Wochen ist er adipös und wird – kurz in heißem Fett gebraten – mit allen Knochen im ganzen – doch ohne den Magen – verspeist.

Die Comtesse meint, solch Singvogelspeise sei deliziös, auch wenn die Geräusche beim Kauen nicht adliger Etikette entsprächen; so verstecke man sich üblicherweise unter einer Serviette, um sich und der Kreatur eine letzte Intimität zu gönnen.

 

– Ich habe Hunger, meint sie nun und wirbelt – ihr gelbes Reifröckchen schwingend, auf seidenen Schühchen trippelnd, ihren Kopf elegant auf dem Zeigefinger balancierend – über das Parkett.

– Was gibt es zum Souper? Ortolane?

 

Ich muß sie enttäuschen und biete ihr gebackene Sardinen an, die sie mit den Händen greift und mit Kopf und Schwanz hinunterschlingt.

 

Manchmal denke ich, der Mensch ist eine Fettammer.

Oder eine Sardine, wem das lieber ist.

 

Der einzige Unterschied ist, daß er, wenn die Stunde gekommen ist, in kleinen Häppchen und nicht im ganzen verspeist wird.