Von Ursula Riedinger

Die letzte Kerze flackerte nur noch schwach. Sie warf unheimliche Schatten in die Nischen des Gewölbes, mal fiel der Schein auf das Christusbild in der Apsis der kleinen Kapelle und sein mild blickendes Gesicht wurde beleuchtet, mal erhellte das kleine Licht die russgeschwärzten Wände des engen Raumes. Als das Licht ausging, hob ich das Gesicht von meinen Armen, eine Stellung, in der ich lange versunken gewesen war, um zu beten. Ich blieb in der Dunkelheit sitzen und hing meinen Gedanken nach. Jetzt würden sie bald hier sein, um mich zu holen. Es war bloss eine Frage der Zeit, bis sie den Eingang zu unserem interirdischen Gebetsraum finden würden. Wir waren verraten worden. Gerne hätte ich gewusst von wem, aber eigentlich spielte es jetzt auch keine Rolle mehr. Ich überlegte, wie sie mich zu Tode bringen würden. Es gab hier auf der Insel keine Arena, um mich Löwen vorzuwerfen, Geschichten, die wir aus dem fernen Rom gehört hatten. Andere Todesarten gingen mir durch den Kopf. Aber wenn ich an eine Kreuzigung dachte, schauderte es mich gehörig. So mutig, um wie Christus zu sterben war ich nicht. Dann doch lieber rasch getötet werden, durch einen Löwen oder durchs Schwert. Ich wusste, wenn es überstanden war, würde ich zu Füssen von Christus sitzen, das stellte ich mir zumindest vor. Unser Glaube konnte durch meinen Tod nicht erschüttert werden. Jemand aus unserer kleinen Gemeinschaft, die hauptsächlich aus Frauen bestand, würde meine Rolle übernehmen, vielleicht Flavia oder Marta. Sie würden mich betrauern, aber das Leben ging weiter und das ewige Leben erwartete uns früher oder später. Wir waren durch Waffen nicht zu besiegen.

Der Tag draussen graute wohl schon, auch wenn ich es hier unten nicht merkte. Dann hörte ich sie. Sechs junge bewaffnete Soldaten drangen zur Kapelle vor. Als sie mich, eine Frau, alleine vorfanden, schienen sie überrascht. Was hatten sie erwartet? Eine Gruppe bewaffneter Christen?

Der Anführer fasste mich am Arm meines weissen Gewandes und sagte ruhig:

„Komm mit, Christin.“

Ich folgte ihnen nach draussen, wo ein blassrosa Schein den Himmel erhellte. Die Luft war angenehm kühl und roch frisch nach Frühsommer. Das war also mein letzter Gang. Hierher würde ich nie mehr zurückkehren.

Der Soldat hielt mich sanft am Ärmel fest. Er spürte sicher, dass ich nicht weglaufen würde.

In der Nähe erklang der Ruf eines Täubchens.

„Wieso bist du nicht weggegangen, Christin? Du wusstest doch, das wir dich finden würden.“

„Du hast sicher vernommen, dass wir keine Angst haben vor der weltlichen Macht. Was zählt ist der Glaube. Wie heisst du überhaupt, Soldat?“

„Maurus, und du, Christin?“

„Ich heisse Luzia. Ich werde für Christus zu sterben, wenn ihr das so bestimmt, und bin bereit dazu. Aber wir sind viele, ihr könnt uns nicht besiegen.“

„Ich weiss, aber es ist gefährlich, sich zu bekennen. Und du bist noch so jung.“

Dann ganz leise: „Meine Schwester ist auch Christin.“

Da hörte ich nochmals der Ruf des Täubchens. Es war immer noch in der Nähe.

Wir schwiegen, während wir uns der Stadt näherten. Die andern Soldaten gingen vor und hinter uns. Maurus schien trotz seiner Jugend eine höhere Position innezuhaben.

Dann rief nochmals das Täubchen, sandte seinen seinen klagenden Ruf in den anbrechenden Tag hinaus.

Maurus hob den Kopf. Er hatte es also auch gehört.

„Was ist das? Ein Zeichen?“

„Es ist wohl der heilige Geist.“ Ich wusste, das war anmassend, aber für mich war der Gedanke ein kleiner Trost.

Maurus schaute mich überrascht an.

„Gibt es ihn wirklich?“

„Natürlich gibt es ihn.“

„Übrigens, Luzia, sei auf der Hut vor einigen Männern, gute Christen allesamt. Es könnte sein, dass nicht alle eine weibliche Diakonin gutheissen. Der euch verraten hat, war ein solcher Mann.“

Als wir die Stadtmauern erreichten war es richtig hell geworden. Maurus schickte die Soldaten los, um den Befehlshaber zu holen, dem sie mich übergeben sollten. Maurus würde mich bewachen. Sobald sie weg waren, liess er mich los.

„Lauf los, Luzia, beeil dich, unten am Hafen wartet ein kleines Boot auf dich.“

Verblüfft schaute ich ihn an.

„Passiert dir nichts, wenn du mich frei lässt?“

Ich werde erzählen, du hättest gekämpft wie eine Löwin, und gegen den heiligen Geist, der dich umgeben hat, war ich machtlos. Dann lächelte er.

„Danke, Bruder.“

Ich rannte davon und erreichte, gedeckt von Olivenbäumen, den kleinen natürlichen Hafen zwischen den Felsen. Das Meer lag ruhig und türkisblau vor mir und glitzerte im Morgenlicht.

„Steig ein, Schwester, rasch, wir müssen uns beeilen.“

Als das Boot mit meinen unbekannten Rettern  losruderte, ging die Sonne über dem Meer auf.

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