Anne Zeisig

Gustl schlurfte in ihren Filzenen in den Schlafraum und stellte ihr Wasserglas mit der Arznei für den Morgen auf dem Nachttisch bereit.
Die feinen Strähnen, welche ihr schütteres dunkles Haar durchzogen, glänzten im Schein der Nachttischlampe silbern.
Schwerfällig sank sie ins Bett. Ihre Gelenke ächtzten wie das Dachgebälk dieses alten Hauses.

Sepp legte sein Buch zur Seite: „Es ist freilich anstrengend für die Augen, bei Kunstlicht zu lesen.“

Seine Frau nickte und stellte den Wecker auf Sieben: „Früher als Maderl, da hab ich in meiner Kammer alleweil beim flackernden Kerzenlich viele Bücher verschlungen“, antwortete sie und klopfte ihr Kissen zurecht. „Dann lass halt das Lesen sein, wenns dir nicht guttut.“

„Aber ich muss mich doch ablenken“, jaulte er brüchig und zeigte auf die Wand am Kopfende des Bettes, hinter der sich das Schlafzimmer der jungen Nachbarn befand.

Sie drehte sich zur Seite und lächelte.

„Du brauchst ja alleweil auch nur dein Hörgerät aus den Ohren nehmen und schon hast du Stille um dich herum“, zeterte er weiterhin.

Sie wandte sich ihrem Mann zu, wendete ihren Kopf nach rechts und links: „Schau! Noch hab ich den Verstärker drin, sonst könnte ich dein Jammern nicht hören!“

Er schob seine Unterlippe hervor wie ein trotziges Kind. Es war ihm, als drücke eine Faust sehr fest auf sein Brustbein.

„Lass doch den jungen Leut ihr Vergnügen in derer Sturm- und Drangzeit!“

„Als wir nach dem Krieg mit vielen Personen in einer Wohnung zusammenrücken mussten, da haben wir uns beherrscht.“ Er machte eine kleine Pause und zog sich die Steppdecke bis unters faltige Kinn: „Wir wussten, was Benehmen und Anstand bedeutet.“

„Ist mir oft genug schwergefallen“, antwortete Gustl mit klarer Stimme. „Jung und voller Liebe wie ich war.“

„Das hast mir nie gesagt, Frau.“ Er suchte nach ihrer Hand, aber die hatte Gustl unter den Daunen versteckt.

„Hab Vieles nicht ausgesprochen, Sepp.“ Sie blickte zu ihm, wie er fahl und grau neben ihr lag und schwer atmete. Gustl löschte das Nachtlicht. „Musst öfter dein Asthmaspray inhalieren.“

Er winkte ab.
Seine Bronchien rasselten und pfiffen eine seltsame Melodie in das dunkle Zimmer hinein.
Sepps Matratze quietschte, bis er endlich seine Schlafposition gefunden hatte.
„Und ich hab gemeint, dass du dir nie was aus den ehelichen Pflichten gemacht hast.“ Seine Stimme zitterte. „Warst stets so passiv.“ Er verschluckte sich kurz. „Habn nie drüber geredet.“

„Ach Sepp! Wir mussten unser Leben im und nach dem Krieg bewältigen, die Arbeit ging vor“, meinte seine Frau leise und dachte: ‘Meine Erziehung seinerzeit’.
Jedoch bahnte sich aus ihrer Kehle plötzlich ein befreiendes Glucksen.
„Ich beneide die jungen Leut, ich genieße ihr lustvolles Stöhnen“, sagte sie flüsternd, eher hauchend zu sich selbst; und berührte unter der Decke sanft kreisend ihren weichen schlaffen Busen.

„Aber Gustl“, röchelte er heiser, „nun nimm dein Hörgerät raus. Kommst womöglich auf falsche Gedanken.“

Sie kicherte in die schützende Schwärze hinein, fingerte nach seiner Hand und legte sie sanft auf ihren Busen. „Sepp, ich lieb dich. Warst mir stets ein guter treuer Ehemann.“

Sein Atem streifte stoßweise ihren Hals wie warme Windböen im Frühjahr.
“Wie jung dein Lachen ist, Gustl.“

Nebenan kehrte Ruhe ein.

Sie spürte, wie seine Hand erschlaffte.

anne z. ENDVERSION