Von Franck Sezelli
Was war das? Ich höre jemanden atmen. Ganz deutlich! Und heftig. Ganz konzentriert lauschend halte ich meinen Atem an.
Stille! Absolute Stille …
Nur da hinten ein leises Geräusch, wie ein Picken oder sachtes Klopfen. Mit großen Abständen.
Mein Herz klopft schneller, es dröhnt in meinen Ohren. Aber da ist es wieder, das heftige Atmen, wie ein unterdrücktes Ausatmen. Jetzt merke ich es: Wenn ich die Luft anhalte, höre ich es nicht mehr. Der Andere hält die Luft auch an. Und er atmet leise weiter, wenn ich es tue. Seltsam! Was har er vor?
Da hinten, dieses gleichmäßig sich wiederholende Geräusch: Es könnten Wassertropfen sein. Die Decke ist vielleicht undicht oder ein Wasserrohr. Und wenn es kein Wasser ist? Gift?
Mir bricht der Schweiß aus, auf der Stirn ganz kalter Schweiß, meine Handflächen sind auch ganz nass. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich halte das nicht aus!
Warum sind sie nur so böse zu mir? In meinem Nacken spüre ich noch den festen Griff, der mich in der Gewalt hatte und hier hineinstieß. Wie lange ist das her? Eine Stunde oder zwei? Was passiert hier mit mir?
Ich kann gar nichts sehen, es ist völlig dunkel. Nicht einmal meine Hände kann ich sehen. Die Stufe, auf die ich mich noch schnell setzen konnte, bevor die Tür zugeschlagen wurde und das Licht ausging, ist kalt.
Mir ist kalt. Meine Zähne klappern.
Da! In der Ecke, da schaut mich einer an. Mit feurigen Augen und strubbligen langen Haaren. Ein Monster? Hat das einen Bart? Nein! Dort sind spitze Zähne in einem aufgerissenen Maul … Es kommt näher. Ich bekomme eine Gänsehaut und mich fröstelt noch mehr. Furchtbar!
Ich halte mir die Augen zu. Obwohl ich ja eigentlich nichts sehe. Aber dieses Monster? Vorsichtig nehme ich die Hände wieder weg. Nichts mehr da.
Nur dieses Atmen des Anderen. Oder? Ich glaube, das bin ich selbst. Ich höre meinen Atem. Kann das sein?
Da, ein Rascheln! Schleicht sich jemand an? Wie kann ich mich wehren? Vorsichtig taste ich um mich herum, da ist nichts weiter als die kalten Treppenstufen. Als es noch hell war, habe ich auf der Treppe auch nichts gesehen. Unten, ganz unten, da steht eine Werkbank mit Werkzeugen: Hammer, Schraubenzieher, Zangen. Die könnten mir vielleicht helfen. Aber ich kann doch nicht hinuntergehen, dem Bösen entgegen?
Wie lange ist es her, seit das Licht ausging? Bestimmt einen ganzen Tag. Ob ich verhungere und verdurste? Ob sie das wollen, dass ich sterbe? Oder werden sie es bereuen, wenn ich tot bin? Dann haben sie selber Schuld!
In der Familie meines Vaters gab es mal jemanden, ich glaube, es war der Bruder seines Großvaters, der hat in einer Nacht graue Haare bekommen, weil er etwas Schreckliches erlebt hat. Ob ich auch graue Haare bekomme? Der Bruder dieses Großvaters, von dem mein Vater erzählt hat, ist ja dann eigentlich mein Urgroßvater, also der Bruder von dem. Der war damals noch jung und hat eine ganze Nacht auf einem Baum zugebracht und unten heulte ein Rudel Wölfe. Damals gab es noch Wölfe, es war auch nicht hier bei uns, sondern im Gebirge, im Wald, wo die damals gewohnt haben.
Da sind sie jedenfalls auch schuld, wenn ich graue Haare bekomme.
Ein kalter Hauch, ein Luftzug – oder ist das der Atem dieses Monsters direkt vor mir? Ich kann es wieder erkennen, viel näher als vorhin. Aber schreien werde ich nicht! Vielleicht hat es mich noch gar nicht gesehen. Lieber verhalte ich mich still. Wenn ich den Atem anhalte, hört mich auch niemand. Mir wird aber ganz schwindlig im Kopf, ich muss wohl doch atmen, aber ganz leise …
Laute Schritte nähern sich. Mein Körper erstarrt vor Schreck. Das Geräusch der Schritte dröhnt in meinem Kopf. Was wollen sie von mir? Soll ich mich verstecken? Aber wo?
Da wird es hell – meine Augen sind geblendet. Die Tür wird aufgerissen, dort steht eine dunkle große Gestalt.
»Komm, Thomas!«
Ich trotte hinter der Stimme her. Wie lange war ich im Keller, acht Stunden oder einen ganzen Tag und eine Nacht?
Auf dem Tisch im Wohnzimmer dampft noch mein Teller Suppe, wie ich ihn verlassen musste. Steffi blickt mich ein bisschen triumphierend und ein bisschen traurig an.
»Wirst du deiner Schwester noch einmal von Monstern mit langen Haaren und spitzen Zähnen erzählen, die unter ihrem Bett und in ihrem Schrank wohnen?«, fragt mich streng mein Vater.
»Nein! Es war doch nur Spaß …«
»Du hast deiner kleinen Schwester aber Angst gemacht!«
Hilflos blicke ich zu meiner Mutter, die mich in die Arme nimmt und über meine Haare streicht. »Es ist wieder gut, Tomi. Papa musste das aber tun, damit du mal fühlst, wie es Steffi geht, wenn du ihr immer Angst machst.«
Zu Steffi gewandt, sagt mein Vater: »Du brauchst keine Angst zu haben. Es gibt überhaupt keine Monster! «
Ich höre das und weiß, es stimmt. Aber sicher bin ich mir nicht mehr.
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