Von Daniela Seitz

Es ist spät am Abend. Bereits dunkel. Und ich stehe im Büro eines Sportstudios. Jens ist der Eigentümer und hat mich herbestellt. Er ist der Ex meiner Freundin Nadja. Außerdem ist er das Alibi meines Ehemannes Max, der nun nackt mit dem Rücken zu mir vor einem Sofa in Bewegung ist. Das Licht der Bürolampe tut in den Augen weh, unterstreicht auf skurrile  Art und Weise den Betrug, enthüllt ein Geheimnis und taucht meine Ehe in eine trügerische Wahrheit, für die ich meinen Sohn bei Opa und Oma gelassen habe.

„Max, was tust du …“

Meine Stimme ist kaum zu hören. Geht in den Lustschreien der Frau unter, die gerade über ein Sofa gebeugt beweist, dass Frauen untereinander nicht solidarisch sein können, wenn es um Sex geht. Der Song „Joline“ von Dolly Parten schießt mir durch den Kopf. Meine Beine zittern und versagen mir fast den Dienst. Plötzlich wird mir übel. Ich stütze mich an der Wand ab.

„Ist das nicht offensichtlich? Er hört dich nicht. Warte…“, sagt Jens.

Worauf soll ich warten? Auf das „Versteckte Kamera Team“, das die Szene als bösen Streich banalisiert und einen Witz daraus macht? Darauf, dass ein Erwachen mich von dem bösen Alptraum befreit, den ich gerade erlebe? Auf eine Heldentat seitens Jens, der die Maid mit der bitteren Wahrheit konfrontiert hat, anstatt sie davor zu beschützen? Das Bild meines nackten Mannes hat sich in mir eingebrannt, wie ein heißes Eisen in die Haut eines Tieres. Ich bin gebrandmarkt.

Das Licht geht aus und löst große Verwirrung bei dem nackten Paar aus. Mir verschafft die Dunkelheit Erleichterung, sie umarmt mich, beschützt mich, gibt mir Halt und doch suche ich vergebens nach Erlösung. Meine Finger bohren sich in die Wand. Der Brechreiz ist nun fast übermächtig. Halte durch!

„Zieht euch sofort wieder an!“

Meine Stimme ist fest, eiskalt, fordernd. Sie durchschneidet den Schutz der Dunkelheit. Überrascht mich selbst. Kleidungsstücke werden gesucht, Zehen und Schienbeine stoßen unsanft gegen Möbelstücke, Stimmen geben dem Schmerz Ausdruck, Schuld wabert mit einem Ausrufezeichen durch den Raum und zwingt mich in die Rolle des Racheengels. Doch ich rühre mich nicht.

Das Klatschen einer harten und schallenden Ohrfeige sowie der Protest von Max, der diese offensichtlich einstecken musste, bringen wieder Leben in mich. Ich war das nicht, auch wenn Max mich verdächtigt. Ich hätte es sein sollen. Offensichtlich beschützt die Dunkelheit nicht nur mich.

Ich suche und finde den Lichtschalter. Als das Licht wieder angeht, stehen alle weit auseinander. Die Übelkeit meldet sich wieder und es ist schlussendlich auch egal, wer die verdiente Ohrfeige erteilt hat. Ich muss hier raus. Wortlos gehe ich zu Jens und ohrfeige ihn. Seinen Protest ignoriere ich. Er ist definitiv nicht der Held in dieser Geschichte.

„Max, du schläfst heute Nacht nicht daheim! Und wage es nicht bei ihr zu übernachten!“, werfe ich ihn für diesen Verrat aus dem Haus.

Ich drehe mich zu ihr, der Frau, deren roten Haare sie in diesem Moment wie die böse Hexe aus einem Märchen aussehen lassen. Max kann warten und dabei schmoren, aber ihr kann ich wohl nur jetzt den Marsch blasen. Die Strafe für sie kommt aus meinen innersten Tiefen, sammelt sich zu einer ekligen undefinierbaren Masse und war einer von vielen Gründen, warum ich hier raus wollte. Ich übergebe mich auf ihre Kleidung. Ekel und Fassungslosigkeit blitzen aus ihren Augen.

`Das hat sie verdient!`, denke ich und verlasse ohne ein Wort die Situation.

 

****

Ich skype mit Nadja, die wegen ihres Modelberufes mittlerweile in New York lebt und nur per Videochat Zeit für mich hat. Ich schildere ihr den Betrug und das Für und Wider das in mir tobt. Sie fängt mich auf und versucht mich mit lustigen Grimassen abzulenken. Doch ihre Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt. Also versucht sie es anders.

„Ich habe Max rausgeworfen. Vorerst wohnt er in einem Hotel“, sage ich.

„Nun Elvira, du bist finanziell von Max abhängig. Unterhalt ist eine Sache. Aber für die Höhe deiner Rente wäre es besser, so lange wie möglich mit ihm verheiratet zu bleiben. Weißt du noch, Anne konnte eine Scheidung drei Jahre lang verhindern, indem sie der Scheidung einfach nicht zustimmte. Das hat sie wegen der Rentenpunkte gemacht.“

„Ich bin nicht Anne und wer gibt mir diese drei Jahre dann wieder, in denen ich an diesen Betrüger gebunden bin?“, ereifere ich mich.

„Eigentlich bist du noch weitere 16 bis 17 Jahre an ihn gebunden, durch deinen Sohn und sein Recht seinen Vater zu sehen“, sinniert Nadja.

„Toll, bau mich so richtig auf! Mach das Licht genauso aus, wie Jens es getan hat. Um mich herum ist ja noch nicht genug Dunkelheit!“, schreie ich.

„Entschuldige. Weißt du, ich habe, als ich mich von Jens getrennt habe, einen Grundsatz für mich entdeckt: Ich bin meine eigene Sonne“, sagt sie.

„Was soll das heißen?“ frage ich verwirrt.

„Na ja, im Planetensystem ist die Sonne doch der Mittelpunkt. Alle Planeten kreisen um die Sonne herum. Bisher war Max deine Sonne, der Lichtstrahl unter vielen Männern, die dich betrogen haben. Mit seinen Schutz, seinem Geld, seiner Treue hat er dich genährt und wachsen lassen und du bist um ihn herum gekreist.“

„In dieser Metapher wäre ich dann wohl die Erde und mein Sohn ein Lebewesen, das ich nur mithilfe der Sonne hervorbringen konnte?“, frage ich interessiert.

„Tja, soweit hatte ich jetzt nicht gedacht, aber ja. So kannst du das sehen. Der springende Punkt ist aber, dass du jemand anderen als dich selbst zum Mittelpunkt deines Lebens machst. Sei deine eigene Sonne, sei dein eigener Mittelpunkt. Kreise nicht um andere. Bleib bei dir. Dann bringt es dich auch nicht so aus der Fassung, wenn jemand wie Jens einfach den Lichtschalter betätigt und eine Sonne wie Max plötzlich erkaltet“, erklärt sie.

 „Mmm… ich denke ich will mich trotzdem scheiden lassen!“, sage ich.

„Was immer du brauchst, um selbst zur Sonne zu werden. Hast du denn schon mit einem Anwalt gesprochen?“

„Nein, es ist ja mal gerade zwei Wochen her, die ich mit heulen verbracht habe“

„Ich sag`s ja nur ungern, aber das sieht man. Mädel du siehst echt scheiße aus. Und zugenommen hast du auch. Du solltest mehr Sport machen und weniger Frustessen betreiben“

Ich schaue an mir herunter. T-shirt und Jogginghose. Das Oberteil verdreckt, weil mein Sohn dort sein Mittagessen hinterlassen hat. Merkwürdig, das Shirt dürfte eigentlich nicht so spannen.

„Hab du erst mal ein Kind. Dann will ich sehen, wieviel Sport du noch machst“, wehre ich mich und strecke ihr die Zunge raus.

„Ja ja, ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät zum Casting. Bussi Elvira“, beendet Nadja lachend den Chat.

„Bussi“, sage ich zum schwarzen Monitor.

 

Ich gehe ins Bad und schaue in den Spiegel. Ich habe kein Frustessen betrieben. Eigentlich habe ich bei der ganzen Heulerei überhaupt nichts runterbekommen. Und so dick sehe ich gar nicht aus. Als ich mein Spiegelbild genauer untersuchen will, klingelt mein Handy. Es ist Max. Ich gehe ran.

„Elvira, es tut mir leid“, beginnt er.

„Was genau tut dir leid? Bist du etwa versehentlich in der…“, beginne ich eine Tirade, die er unterbricht.

„Ich will die Scheidung!“, sagt er.

Hatte ich geglaubt, es sei schon dunkel? War ich wirklich der Meinung, die erkaltete Sonne sei das schlimmste was mir passieren konnte? Mit diesen Worten ist nicht einmal mehr eine vereiste Sonne zu sehen. Die Sonne ist einfach weg. Verschwunden! Das Licht ist endgültig aus. Wegen Max.

Wie kann er es wagen vor mir den Lichtschalter zu betätigen. Das war meine Entscheidung! Nun ist es seine, weil er schneller als ich das Licht unserer Beziehung ganz ausgemacht hat. Ausmachen will. Erst betrogen werden und dann auch noch keine eigene Entscheidung treffen dürfen? So nicht!

„Ich nicht!“ antworte ich und lege auf.

„Raaaabäääh“, meldet sich mein Sohn über das Babyphone aus dem Mittagsschlaf zurück.

Viel zu früh. Irgendwie scheint sein Schlafryhtmus unter der Situation zu leiden, denn in den zwei Wochen habe nicht nur ich über die Maßen geweint.

„Mami kommt ja gleich“, rufe ich, während mein Blick im Spiegel auf meine Brüste fällt.

Hektisch renne ich aus dem Bad und suche in meinem Kalender. Finde es aber nicht. Unbewusst erfühlen meine Hände eine Druckempfindlichkeit. Nein, Nein, Nein! Mein Puls beschleunigt sich. Und das „Wäääähhäää“ meines Sohnes kündigt einen lang andauernde Schreitirade an. Eins nach dem anderen. Ich wetzte die Treppen zu ihm hinauf.

`Als ob das kein Sport wäre`, denke ich.

„Mama ist doch da, mein Schatz“, sagte ich und schaffe es, trotz zittriger Stimme, die Tirade zu verhindern, indem ich ihn in meinem Arm sanft wiege.

Um mich zu vergewissern, nehme ich ihn mit ins Badezimmer und setzte ihn dort ab. Ich muss den Verdacht entkräften und den Test machen. Während ich auf das Ergebnis warte, ist mein Sohn schon längst aus dem Bad gekrabbelt und sorgt mit Gehversuchen für Ablenkung.

Als ich die Zeit und den Mut finde, mich dem Ergebnis zu stellen, verhöhnt mich ein zweiter rosa Streifen, gesellt sich jubilierend zu dem ersten, verwandelt das Timing in eine mich verspottende, vor Zuckerwatte triefende, Peitsche und verschmilzt zu zwei Ausrufezeichen. Die Abbildung auf dem Test ist deutlich. Ein Streifen: nicht schwanger, zwei Streifen: schwanger!

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