Von Jochen Ruscheweyh

„Es war ein sehr schöner Abend, aber wir können uns nicht wiedersehen.“

Christian griff nach ihrer Hand. „Aber warum denn nicht, Stella? Hab ich irgendetwas falsch gemacht?“

Sie schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster. Draußen schlängelte sich der Nach-Feierabendverkehr die Hohe Straße entlang. Christian konnte erkennen, wie sich das Licht der Kerze in einer Träne brach, bevor diese langsam Stellas Wange hinabkullerte.

„Möchten die Herrschaften noch eine Cappuccino oder Dessert?“

„Jetzt nicht, danke!“, hob Christian die Hand, woraufhin der Kellner zu einer angedeuteten Verbeugung ansetzte, ehe er sich wieder in den Thekenbereich zurückzog.

„Bin ich nicht dein Typ?“, flüsterte Christian.

„Oh doch, das bist du“, hauchte Stella.

„Aber“, Christian bemerkte, dass er eine Spur zu laut angesetzt hatte und blickte sich um. Als er aber sah, dass niemand von ihnen Notiz nahm, sprach er in gedämpfterem Ton weiter: „Aber irgendetwas muss dich doch bewogen haben, dich auf mein Inserat zu melden.“

„Ich wollte glücklich werden“, erklärte Stella leise.

„Dann gib uns doch eine Chance!“

„Ich bringe Unglück.“

 

„Ich hab noch nie viel von Aberglauben gehalten, Stella.“ Christian wiederholte ihren Namen Stella, während er sie zum Sofa bugsierte.

„Du wirst mich hassen“, wandte sie ein, während sie sich die Bluse von ihm aufknöpfen ließ.

 

 

Spät in der Nacht erwachte Christian. Der Platz neben ihm im Bett fühlte sich noch warm an. Er fand Stella in seinem Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzend vor. Hektische Aufnahmen und bewegte Textunterschriften auf N24 flackerten über den Schirm.

„Wie lange sitzt du hier schon?“

„Lange genug“, lächelte sie ihn an, „vielleicht wird doch noch alles gut.“ Christian starrte auf die verstörenden Bilder aus dem Nahen Osten, während Stella sein T-Shirt hochschob und seinen Bauchnabel küsste.

 

Stella schreckte hoch, als Christian sie mit frischem Kaffee, kontinentalem Frühstück und frischgepresstem Orangensaft weckte. Ohne sich für Hörnchen oder Marmelade zu interessieren, griff sie nach der Tageszeitung, blätterte sie hektisch durch und ließ sich dann mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurück in die Kissen fallen.

„Man könnte ja glatt denken, du würdest gesucht“, stichelte Christian und ließ seine Hände unter der Decke über ihre Flanken wandern. „Ja, von dir“, gab Stella zurück und dirigierte Christians Fingerspitzen an die Stelle, wo sie berührt werden wollte.

 

„Ich wünsche mir, dass das hier klappt, also das mit uns beiden“, sagte Christian mit geschlossenen Augen, während er sein Haar einshampoonierte, „also, auch außerhalb des Betts.“ Unhörbar für Stella, die sich bereits abgetrocknet hatte und im Wohnzimmer anzog.

 

 

In den nächsten Tagen zeigte sich, dass Stella genau dem Suchprofil entsprach, das Christian in seinem Inserat verschriftlicht hatte. Sie war witzig, klug, eine ebenbürtige Herausforderin beim Schwimmen, Joggen und Badminton. Stella liebte die italienische Küche und verstand es, traditionelle Gerichte von der Lombardei bis Kalabrien auf Sternekoch-Niveau in seiner Küche zu zaubern.

 

„Ein Zeitungsinserat, auf gedrucktem Papier?“ Christians Teamkollege Ralf schüttelte den Kopf. „Das wär mir zu oldschool. Ich mach mittlerweile alles digital. Ich schieb meine ganzen Daten in die Cloud, nur meinen Schwanz, den schieb noch schön analog in Claudia.“

Die beiden Männer lachten über Ralfs Scherz, während dieser der Praktikantin am Ende des Großraumbüros zuwinkte. „Naja, meistens jedenfalls.“

 

Am Abend erschien Stella nicht zum Essen bei seinem Lieblingsitaliener. Auch ging sie nicht an ihr Handy, als Christian sie anrief. Eine halbe Stunde später machte er sich auf den Weg zu ihrer kleinen Dachgeschosswohnung im Kreuzviertel.

Erst nach dem dritten Mal Schellen ging der Türöffner.

 

Die Wohnung befand sich in einem furchtbaren Zustand. Kleidungsstücke lagen auf dem Boden, ihr Bett war abgezogen und Zeitschriften stapelten sich in mehreren Packen auf dem Couchtisch. Stella selbst, deren Haare wirr zu allen Seiten abstanden, war damit beschäftigt, den Inhalt eines Koffers so zu komprimieren, dass er schließbar wurde.

„Es tut mir leid, ich muss gehen, es hat wieder angefangen“, sagte sie fahrig vor sich hin.

Christian packte und schüttelte sie. „Aber was denn, zum Teufel, und wo willst du hin?“

„Nach Palermo, der heiligen Rosalia die Fußspitzen küssen und beten, dass es aufhört!“, schrie Stella.

„Was zur Hölle?“

Statt einer Antwort zog sie ihn zum eingeschalteten Fernseher in ihrer Wohnküche und zeigte mit dem Finger auf ein kleines Fenster des N24-Menüs.

„Ein Meteoriteneinschlag mit drei Toten irgendwo in Afrika?“

„Aber verstehst du denn nicht? Es ist wegen uns. Es ist jedenfalls dasselbe, wenn ich mit jemandem schlafe, sterben Menschen. Das hat mir eine alte Nonna vorausgesagt.“

Christian tat ihre Befürchtung mit einer Handbewegung ab. „Das ist doch Unfug.“

„Nein, Christian“ – sie stampfte mit dem Fuß auf wie eine Dreizehnjährige. „Das sind Fakten. Die letzten Meteoriteneinschläge in Afrika hat es gegeben, als ich in meiner vorigen Beziehung gewesen bin.“

Er wischte sich mit der Hand über den Mund. „Ich will jetzt nicht zynisch klingen, aber jeden Tag sterben Menschen in Afrika. Also, selbst wenn es etwas mit unserer Beziehung zu tun hätte, die paar fallen doch nicht ins Gewicht.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Christian!“

„Dann haben wir also unseren ersten Streit. Na prima“, gab er zurück.

 

 

„Harter Tobak!“ Ralf pfiff durch die Zähne. „Hattet ihr danach Versöhnungssex?“

„Schon …, aber trotzdem.“

„Dann ist doch alles geritzt. Die meisten Weiber sind latent psycho oder werden es irgendwann. Da machste nichts. Ich würde fünfzig Euro für Brot für die Welt spenden und ihr die Quittung unter die Nase halten. Das wär aber dann auch das höchste der Gefühle.“ Er machte einen abrupten Ausfallschritt, so dass die den Flur entlangkommende Praktikantin geradewegs in ihn hineinlief. „Upps, Samantha, du hast du mir aber einen ordentlichen Tittenstüber verpasst!“, erklärte Ralf und deutete mit dem Finger auf ihre durch eine Stola kaschierte Oberweite, woraufhin Samanthas Gesichtsfarbe zu einem tiefen Rot wechselte.

 

 

„Ich hatte schon Sorge, dass du vielleicht doch nicht mehr da bist. Jetzt nochmal richtig: Es tut mir leid“, sagte Christian und überreichte Stella einen Strauß rote Rosen, in dem eine Klappkarte in Herzform und der Scheckbeleg für Brot für die Welt steckten.

Stella seufzte und drückte die florale Entschuldigung an ihre Brust. Als ihr Blick auf den Beleg fiel, jubelte sie: „Es ist so schön zu sehen, dass du mich nicht für verrückt hältst.“ Dann wurde ihr Blick wieder ernst. „Aber wie gehen wir jetzt damit um, mit unserem Wissen? Ich meine, ich weiß es ja schon länger, weißt du, wie ich meine?“

Christian legte beide Hände an ihre Wangen. „Wir könnten es einfach ignorieren. Und das wäre noch nicht mal eine bequeme Lösung, da wir es ja nicht verdrängen, weil wir uns der Problematik ja bewusst sind.“

„Wie meinst du das konkret?“, sagte Stella, entzog sich seiner Berührung, ergriff stattdessen seine Hände und küsste deren Rücken.

„Wir erlegen uns selbst ein Medienverbot auf. Es wird ohnehin so viel Unsinn verbreitet.“

„Das wäre eine Möglichkeit“, erwiderte Stella, und schob die Träger ihres Kleides von ihren Schultern.

 

Als er Stellas ruhigen Atem neben sich hörte, stand er auf, holte den Arbeits-Laptop aus seinem Koffer, schaltete ihn ein und surfte auf einigen geologischen und astronomischen Webseiten, dann durch unterschiedliche News-Portale. Es bestand kein Zweifel, die Frequenz der Meteoritenaktivität auf dem afrikanischen Kontinent hatte nicht nur zugenommen, auch waren die Einschläge verheerender. Zudem schienen sie zu wandern, hatten mal die Küste erreicht, tauchten dann wieder zentral im Kontinent-Inneren auf. Christian klappte den Laptop zu und schrieb einen Zettel für Stella: Sorry, bin nach Hause gefahren, muss noch eine Präsentation vorbereiten. Wollte dich nicht wecken, eine Million Küsse, C.!

 

Nachdem er erst in den frühen Morgenstunden Ruhe gefunden hatte, verschlief Christian prompt. In der Firma angekommen, verspürte er den dringenden Wunsch, sich etwas Wasser auf die Wangen zu klatschen. Vor der Toilette traf er auf Ralf. Statt einer Begrüßung packte ihn sein Kollege am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. „Claudia will eine Afrika-Rundreise machen! Hat schon Flugtickets organisiert. Wie soll ich jetzt aus der Nummer rauskommen? Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber hör endlich auf, deine kleine Psycho-Nutte zu bumsen, ja?“

Aus dem Damen-WC drang ein Wimmern, dann wütendes Geschrei und das Geräusch splitternden Glases.

„Sam, Baby!“ – Ralf ließ von Christian ab und klopfte sanft gegen die WC-Tür – „Komm schon, vielleicht war der Test einfach nur verschmutzt und sonst, naja, es gibt doch Möglichkeiten …“

 

Einen Moment später öffnete sich die Tür. Ralf trat mehrere Schritte zurück und platzierte sich schutzsuchend hinter Christian, als Samantha mit einer Spiegelscherbe in der Hand losstürmte. Christians Gedanken überschlugen sich. Es wäre so einfach, wenn er bliebe, wo er wäre. Wenn Samanthas Rache ihn träfe, wäre das vielleicht ein Ausgleich für das Leiden, das er in seiner Selbstsüchtigkeit über einen fremden Kontinent gebracht hatte. Dann dachte er an Stella. Arme, liebe, süße, sexy, wilde Stella. Und duckte sich. Eine rote Fontäne schoss aus der Stelle, wo Samantha Ralfs Halsschlagader traf und zeichnete bizarre Gemälde an die weißen Wände des WC-Vorraums.

Wenn die Polizei dagewesen war und jemand hier saubergemacht hatte, würde er zweimal Palermo buchen. Es wurde ohnehin Zeit, dass er mal hier rauskam.