Von Anne Zeisig

„In der Anzeige stand, er sei pflegeleicht und unkompliziert. Wie meinst du das? Ich darf dich doch Duzen?“

 

Marlies nickt, trinkt einen Schluck Kaffee und schaut aus dem Fenster in den kleinen Garten. Der Novembernebel verschluckt den kleinen Teich, den ihr Mann vor Jahren angelegt hat. Mit einem kleinen Steg, wo er Stunden auf der Liege verbrachte und im Internet recherchierte, was man am Haus und im Garten renovieren, verschönern könne.

Das war sein Leben!

Nur ungern begleitete er sie auf seltene Urlaube in den Süden, überdachte stattdessen die Terrasse und versah sie mit einem Heizstrahler.

 

„Er isst alles. Er trinkt alles“, antwortet sie geistesabwesend, „und er verträgt auch alles.Wenn Bier im Haus ist, okay, wenn nicht, ist es ihm auch einerlei.“

 

Ihr Gegenüber trinkt den heißen Kaffee in einem Rutsch hinunter: „Hört sich gut an.“

Marlies’ Blick wandert an der Frau herab, die hier sitzt, weil sie die einzige war, die sich auf ihr Inserat gemeldet hatte.

 

„Du bist im Gegensatz zu mir schlank. Das könnte ihm wirklich gefallen, ihm ein Lächeln entlocken.“

 

„Er lächelt sonst nie?“

 

„Nein.“ Marlies rührt sinnlos in ihrer Kaffeetasse herum. „Vielleicht zieht er seine Mundwinkel hoch, wenn er sich am Frühstückstisch hinter der Zeitung verschanzt.“ Sie zuckt mit den Schultern und setzt sich gerade hin, um diese einzige Anwärterin nicht zu vergraulen, sich nicht vollends klein zu machen. Ihn nicht allzu schlecht dastehen zu lassen.

„Er war immer ein guter Handwerker. Das hat uns auch viel Geld und Ärger erspart.“ Sie rafft sich auf. Atmet hörbar ein und aus. „Glaube nicht, dass das alles einfach für mich ist.“

 

„Willst du nichts von mir wissen?“, fragt die Frau, welche Marlies so um die Sechzig schätzt.

Ihr Alter. Das passt.

 

„Erzähle einfach.“

 

„Also. Ich bin einfach gestrickt. Ich fahre Taxi. Und das nur noch ungern. Keine Kinder. Bin Vollkommen ‘familienfrei’.“

Sie holt tief, sehr tief Luft: „Gefühlsduselei mag ich nicht. Musste ja immer mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, wenn ein Fuß sich nicht gerade auf dem Gaspedal befand.“

Sie kichert.

 

Marlies klatscht in die Hände. „Siehst du! Dann habt ihr bereits eine Gemeinsamkeit! Gefühle sind ihm fremd.“

 

„Mag er Fleisch?“

 

Marlies schlägt sich auf die Schenkel und nickt eifrig.

„Er mag das, was du ihm auf den Teller tust. Gemüse, Obst, egal, aber immer zwischen zwölf und dreizehn Uhr, das ist wichtig.“

 

„Heißt das, dass er das isst, was ich will?“

 

„Genau! Er äußert keine eigenen Wünsche! Er war und ist einfach wunschlos.“

Das Wort ‘glücklich’ verschluckt sie, dennoch, ja, er war und ist glücklich mit seinem Leben.

Marlies drapiert ihren Ausschnitt.

„Es ist ihm auch egal, was du trägst, oder welche Frisur du hast. Du kannst morgens im Schlabberlook am Frühstückstisch sitzen, es stört ihn nicht. Hauptsache, der Kaffee ist heiß, den du ihm einschenkst.“

 

„Also kann ich deine Anzeige wirklich wortwörtlich nehmen? Er ist echt unkompliziert! Ich muss mich nicht verbiegen oder so?“

 

Marlies nickt.

 

Die Frau räuspert sich kurz. „Aber warum willst du so einen wunderbaren  Mann an die Frau  bringen? Ungewöhnlich ist diese Anzeige ja durchaus, wenn eine Ehefrau eine Nachfolgerin für ihren Ehemann sucht.“

 

„Das ist mir klar. Aber er selbst würde sich niemals aufraffen, mich zu verlassen, geschweige denn, sich eine neue Frau zu suchen.“

 

„Du könntest ihn doch einfach verlassen und die Scheidung einreichen.“

 

„Nach über vierzig Ehejahren? Nein. Das will ich ihm nicht antun. Außerdem benötigt er ja keine ‘richtige’ Frau, aber dennoch sollte sie mehr sein als eine Haushälterin. Ich will ihn gut versorgt wissen. In seinem Leben soll es keinen negativen Bruch geben. Das hat er nicht verdient.“

 

Die Frau schüttelt ihre blonde Löwenmähne zustimmend: „Und, äh, im Bett? Okay, ich bin über sechzig, aber, nun, ähem, so manchmal.“ Sie zupft ungelenk an ihren Locken. „Muss aber nicht sein.“ Sie stottert. „Oo-der ni-chit sofort. Sorry.“

 

Marlies zuckt mit den Schultern. „Da bin ich überfragt. Dafür habe ich  längst einen Geliebten, aber du kannst ja versuchen, ihn aus der Passivität zu locken. Bist schlank. Das hat er an mir stets vermisst.“ 

 

„Aha. Und sein Einkommen? Ich will ja nicht mehr ‘auf dem Kutschbock’ sitzen.“

 

„Ihr werdet über die Runden kommen. Er ist bescheiden. Ihm reicht es, auf dem Sofa zu sitzen, RTL im TV zu gucken und wenn du aus der Küche rufst ‘Essen ist fertig’, kommt er brav und isst mit dir gemeinsam. Aber pünktlich um achtzehn Uhr!“

 

„Ist er ein geduldiger Zuhörer?“

 

„Er macht eher Gebrauch von deinen Ohren, weil er sich gerne über seine handwerklichen Talente austauscht. Gerne lange Monologe, Vorträge darüber hält.“

 

„Aber davon habe ich nicht die geringste Ahnung!“

 

„Macht nichts. Er erklärt es dir auch fünfmal, selbst wenn du alles verstanden hast.“

 

Marlies überlegt. Zwar drängt die Zeit, aber dennoch will sie ehrlich sein.

„Lob darfst du für deine Kochkünste nicht erwarten! Auch nicht für ein sauberes Bad und atemfrische Wäsche, oder für einen unkrautfreien Garten! Er wird dir nicht im Haushalt helfen, aber das verstopfte Klo bekommt er zum Beispiel Ruck-Zuck wieder frei.“

 

„Alles gut! Ich habe verstanden! Bin froh, wenn ich nicht mehr Taxi fahren muss. Es gibt Fahrgäste!“, sie rollt ihre Augen umher, „die sind derart unangenehm mit ihren lüsternen Blicken.“

 

„Mit lüsternen Blicken wird er dich nicht belästigen! Da kann ich dich wirklich beruhigen.“

 

Marlies holt ein Foto aus ihrer Tasche: „Das ist Kurt.“

 

„Hm. Ganz passabel.“ Sie dreht das Foto mehrmals hin und her. Legt es dann schnell auf den Tisch. „Den nehme ich! Was soll ich noch lange überlegen! Weiß er denn, dass ich komme und warum ich hier bin?“

 

„Zwar habe ich ihm das erzählt, aber ich bezweifle, dass Kurt mir zugehört hat. Schön, dass du eine Frau des schnellen Entschlusses bist, das macht dich symphatisch.“

Marlies geht in den Garten und holt ihren Mann hinein: „Sag schön ‘Guten Tag’, das ist die, äh, die, die.“

 

„Ich bin die Gerrit!“

 

“Bei Gerrit wird es dir gut gehen! Sie kann kochen, putzen, waschen und was sonst noch so notwendig ist im Haushalt. Du wirst überhaupt nicht bemerken, dass ich nicht mehr hier bin!“

 

„Und wo bist du?“

 

„Ich fliege doch mit Phillippe, unserem Nachbarn, dem Koch, nach Sizilien! Er hat sein Haus verkauft, um dort ein Restaurant zu eröffnen!“

 

„Phillippe? Nie von dem gehört. Kochen kannst du doch auch hier.“

 

Marlies hält kurz den Atem an und sagt gepresst: „Habe dir erzählt, dass er mir Komplimente macht, mich sexuell befriedigt, er ein zärtlicher, einfühlsamer Mann ist. Und der wöchentliche Blumenstrauß von ihm ist.“

 

„Blumen wachsen auch in unserem Garten. Nie von diesem Phillipus gehört.“

 

Sie steht auf, bückt sich, nimmt ihren Koffer und hält ihrem Mann die Hand zum Abschied entgegen: „Tschüss.“

 

„Wie lange bleibst du weg?“ Er ignoriert die hingehaltene Hand.

 

„Für immer!“

 

Kurt zieht, wie es seine Art ist, die buschigen Augenbrauen über seiner Nasenwurzel zusammen, blickt zuerst ernst auf seine Armbanduhr und dann auf Gerrit: „Um achtzehn Uhr Abendessen. Und danach erkläre ich dir, wie man einen Schlagbohrhammer benutzt.“

 

 

anne zeisig, Version ZWEI