Von Christine Hettich
Ich liege tagsüber nicht gern im Bett herum, auch wenn ich es mir als frisch gebackener Rentner erlauben könnte. Im Bett sterben die meisten Leute, pflegte mein Großvater – Gott habe ihn selig – zu sagen. Mir ist nicht nach sterben. Nicht jetzt, nicht während dieser herrliche Geruch sich seinen Weg aus der Küche in mein Schlafzimmer bahnt und meine Nase kitzelt. Es ist der Duft von frisch aufgesetzten Kaffee.
Meine Conny macht den besten Kaffee der Welt, selbst gemahlen und von Hand aufgebrüht. Mehr als einmal wollte ich ihr eine Kaffeemaschine schenken, damit sie weniger Arbeit hat, dachte ich. Sie hat sich stets vehement dagegen gesträubt. „Kaffee kochen ist Gefühlssache“, meinte sie dazu.
So ist sie meine Conny. Sie macht alles nach Gefühl und es ist immer genau richtig. Was sie für mich aber so einzigartig macht, immer noch, auch nach so vielen Jahren Ehe, ist diese außerordentliche Liebe, die sie in alles, was sie tut, hineinsteckt. Zu Beginn unseres Zusammenlebens waren unsere finanziellen Mittel mehr als bescheiden. Es galt das Haus abzuzahlen und unsere zwei Kinder großzuziehen. Dennoch hat sie uns stets fürstlich bekocht. Sie hat ein Händchen dafür genau das richtige Kräuterchen zu finden, die passende Würze, das kleine bisschen Etwas, um aus fast Nichts ein köstliches Mahl hervorzuzaubern.
Manchmal glaube ich, dass sie dieses Talent in gleicher Weise bei mir angewandt hat, um auch aus mir das Beste herauszuholen. Anfangs fragte ich mich warum diese tolle Frau sich mit solch einem Niemanden wie mich befasst. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie mich davon überzeugen konnte, dass ich gar keine Rolle schauspielern muss, dass ich mein wahres Ich nicht zu verbergen brauche und sie nicht davonrennen würde, wenn sie wüsste, wie ich wirklich bin. Meine Angst vor Ablehnung, die mich seit meiner Kindheit gefangen hielt, löste sich allmählich auf. „Du bist ein wunderbarer Mensch, mein Schatz, du bist mein wunderbarer Mensch.“ Das hat sie so oft zu mir gesagt, bis ich es irgendwann ein bisschen glauben konnte. Von da an suchte ich nicht mehr nach etwas, das meine Existenz rechtfertigen könnte, ich erlaubte mir einfach zu leben, zu sein. Eines Tages bemerkte ich fast beiläufig, dass ich die Realität nicht mehr überwiegend aus sicherer Distanz beobachtete, sondern mitten drin lebte und das Beste daran: Mit Conny an meiner Seite fühlte sich das richtig gut an! Ich, der Verwundete, habe die ganz große Liebe gebraucht, um Unverwundbar zu werden.
Die Oktobersonne schaut vorsichtig in mein Zimmer herein. Ich liege immer noch im Bett. Ich muss wohl sehr müde gewesen sein, ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass mein Mittagsschlaf länger gedauert hat als ich es vorhatte. Dass ich dennoch nicht gleich aufstehe, hat nur damit zu tun, dass ich meine Vorfreude auf den ersten Schluck Kaffee noch ein bisschen länger auskosten möchte. Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Es sind zunehmend die kleinen Dinge des Lebens, die mich glücklich machen. Früher habe ich sie kaum wahrgenommen. Das gehört zu den Privilegien des Alters, sich mehr Zeit für die einfachen Sachen zu nehmen, immer öfters im Hier und Jetzt zu verweilen und sich an einer simplen Tasse Kaffee zu erfreuen.
Meine Glieder fühlen sich etwas starr an. Nun, die Leichtigkeit der Jugend ist dahin, denke ich während ich endlich aus den Federn krieche. Ich halte den Türgriff bereits in der Hand, als mir wieder einfällt, dass ich diesen Text noch aufstellen wollte. Das wird schnell erledigt sein, mein Stil ist knapp und direkt. Ich bin eben ein Ruhri.
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„Du hast lang geschlafen mein Schatz. Geht es Dir gut?“
Connys dunkle, warme Augen schauen mich leicht besorgt an. Ich blicke in ihr immer noch faltenloses, schönes Gesicht und lächle.
„Aber ja, ich war nur sehr müde. Jetzt freue ich mich auf einen leckeren Kaffee.“
„Was ist das?“ Conny deutet auf den Zettel in meiner Hand.
„Ach, die Anzeige. Hier, du brauchst dann nur noch das Datum reinzuschreiben.“
Ich strecke ihr das Blatt Papier hin, sie liest den Text und ein herzliches Lachen durchschüttelt sie.
„Der Text gefällt dir?“
„Nun, etwas unkonventionell finde ich ihn schon, aber ja, er gefällt mir. Passt zu dir, das ist deine Art und deswegen finde ich ihn genau richtig mein Schatz.“
„Du?“
„Ja?“
„Ich liebe dich.“
„Und ich liebe dich.“
Wir umarmen uns und ich wünsche mir, dass dieser Moment nie zu Ende geht. Die Zeit ist viel zu schnell vorbeigezogen, viel zu oft habe ich einfach vergessen, meine Frau anzuschauen. Nun will ich stehen bleiben, still halten, die Magie des Augenblicks genießen, ihn unsterblich machen.
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Drei Wochen später ist die Anzeige erschienen:
Feierabend. Ich mache mich jetzt vom Acker!
Richard Zimmer
15.08.1952 – 26.10.2018
Wer zur Trauerfeier kommen möchte, ist herzlich eingeladen. Sie wird am
31.10 um 15:00 Uhr in der Kapelle des Hauptfriedhofs in Freiburg stattfinden. Ich werde also dort sein. Bitte spendet nichts der Krebshilfe, sondern geht lieber schön essen, besucht ein Musical oder kauft Euch eine gute Flasche Wein. Bringt mir bitte auch keine Blumen mit, ich werde sie ja nicht gießen können.