Von Sabine Esser

Olaf genoss, wie immer nach dem Einkauf auf dem Markt,  im „Da Mario“ seinen Cappuccino, als ihn eine ältere Dame ansprach: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

 

Bevor er noch „Nein“ sagen konnte, saß sie schon. Bestellte sich einen Pikkolo und begann zu erzählen. Dass sie Witwe und ihr wirklich Alles zu viel sei. Ohne Hilfe könne sie den Garten, das Haus und den Weg an der Straße nicht in Schuss halten. Olaf nickte von Zeit zu Zeit und überlegte, wie er der Redeflut entrinnen könnte, ohne unhöflich zu sein. Dann schaltete er vollends ab und wurde erst wieder aufmerksam, als die Dame ihn antippte und fragte: „Sind zehn Euro die Stunde nicht genug? Schwarz natürlich. Sie täten mir wirklich einen großen Gefallen.“

 

Da er offensichtlich nichts verstanden hatte, erklärte sie ihm erneut, was sie plante. Er sei doch vermutlich arbeitslos, denn sonst könne er nicht am Montagvormittag auf dem Markt einkaufen. Außerdem mache er einen kräftigen und vertrauenswürdigen Eindruck. „Und so ein bisschen Geld nebenbei? Ist das nichts für Sie?“

„Darüber lässt sich vielleicht reden“, stimmte er wenig begeistert zu. „Aber das Jobcenter darf nichts davon mitbekommen, immerhin beziehe ich HARTZ IV. Außerdem machen Sie sich strafbar, das wissen Sie hoffentlich.“

Die alte Dame grinste und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: „Die Behörden sind doch mit dem ganzen Flüchtlingswirrwarr total überfordert. Wie sollen die denn Wind davon kriegen? Ich habe wirklich keine Lust, mich mit dem scheußlichen Bürokratiekram auseinanderzusetzen. Um Finanzen und Steuern hat sich immer mein lieber Herbert, Gott hab‘ ihn selig, gekümmert. Ich müsste also noch jemanden schwarz bezahlen, damit das korrekt erledigt wird. Außerdem: Für so wenig Arbeit so viel Aufwand? Nein, ich finde, das ist eine gute Lösung so. Win-win, wie es heute heißt.“

 

Olaf schob die Unterlippe vor und nickte. Das letzte Argument hatte ihn überzeugt. Formularkram überließ er seit jeher Petra, die kannte sich damit besser aus.

„Wenn Sie mögen, zahle ich in kleinen Scheinen, dann merkt Ihre Frau nicht, wenn sie zehn oder zwanzig oder mehr Euro im Portemonnaie hat. Und, wenn ich das richtig sehe, machen Sie die Einkäufe, das können Sie also selber steuern.“

Jetzt fand Olaf die Pikkolodame richtig sympathisch. So ein ausgekochtes Luder!

Sie klickte mit ihrem Glas an seine Tasse: „Übrigens, ich heiße Leni. Es handelt sich schließlich um einen Freundschaftsdienst, falls doch jemand fragen sollte.“

 

Regenrinnenreinigen war nun wirklich nicht sein Ding, aber es brachte gutes Geld. Bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse lernte er Lenis Nachbarin kennen, die dringend jemanden suchte, der regelmäßig den Rasen mäht. Sie hätte wegen ihrer künstlichen Hüfte Angst, auf den Rasentrecker zu steigen und womöglich umzukippen. Und ob er bitte, vielleicht, aber nur, wenn es ihm nicht zu viel sei, ihr etwas Brennholz für den Kamin machen könne. Auch sie stieß mit ihm an: „Für alle Fälle, bitte nennen Sie mich doch Gretl.“

 

Danach kam eine Freundin mit einer verstopften Spüle. Und die kannte wieder eine, die noch eine kannte. Gardinenabnehmen und –aufhängen, Fensterputzen, Glühbirnen austauschen. So viele hilfebedürftige Frauen in einer so kleinen Stadt hätte Olaf nie für möglich gehalten. Neben Haus- und Gartenarbeiten waren regelmäßige Vorratseinkäufe nötig. Wie sollten die alten Damen, die sich nicht mehr trauten, selbst zu chauffieren, sonst zum Supermarkt weit außerhalb fahren, weil immer mehr Geschäfte in der Innenstadt aufgegeben hatten? Selbstverständlich erledigte er auch das.

 

Und wie sollten seine Schützlinge zum Schadstoffmobil gelangen, wenn sie doch kaum die fünf Kilo Kartoffeln in den Einkaufswagen hieven konnten? Olaf installierte in seinem Keller Sammelboxen für Elektro- und Sondermüll, die er monatlich entsorgte. Einzelfahrten wären zu teuer. Für „da muss gründlich aufgeräumt werden“ wurde er auch zuständig. Alles andere schafften seine Damen selbst, in kleinen Mengen eben.

 

Die Arztbesuche inklusive unendlicher Wartezeiten konnte er zeitlich gerade noch organisieren. Auf die wollte er partout nicht verzichten, denn er mochte seine Kundinnen und sie ihn. Er war wichtig für sie. Für manche wie ein Sohn.

 

Dann aber überfluteten ihn nicht nur alleinerziehende Mütter. Sein Kumpel Willi war einverstanden, auszuhelfen. Allerdings nur für’s Handwerkliche. Die knapp 900 Euro Rente seien zwar extrem mickrig, aber Kleinkinder? Nicht mit ihm!

„Warum fragst du nicht Hanni? Die musste ihr Büdchen zumachen und kann gut mit Winzlingen.“

Auch für die viele Putzarbeit fanden sich helfende Hände.

Nach und nach entstand ein Netzwerk aus Hilfesuchenden und Helfenden, sogar Freundschaften. Auch die Gattinnen der Ortsgrößen aus Finanz und Politik nahmen teil. Legalität war nicht zu befürchten. Win-win eben.

 

Leni füllt die Gläser mit dem unvermeidlichen Sekt und überreicht Petra ein sorgfältig in Geschenkpapier gehülltes, kleines Päckchen. Ihre Augen glitzern vor Vergnügen.

„Einjähriges Jubiläum! Stößchen auf dein Inserat!“

„Du hast doch nicht?“

„Aber ja! Ich hab‘ es ausgedruckt und rahmen lassen“, kichert sie. „Versteck‘ es gut. Wäre absolut kontraproduktiv, wenn er es fände.“

Beide lehnen sich zufrieden in die weichgepolsterten „Deckchairs“ auf Lenis Terrasse.

„Die hat dein Olaf übrigens eigenhändig mit grüner Seife gewaschen und mit Teaköl eingerieben. So gut hat das nicht mal mein Herbert, Gott hab‘ ihn selig, gemacht. Stößchen. War wirklich eine gute Idee von dir.“

„Ach, weißt du, ich wollte doch nur, dass er aus dem Quark kommt. Die Arbeitslosigkeit hat ihn irgendwie gelähmt.“

„Na ja, aber den eigenen Ehemann bei EBAY-Kleinanzeigen auf Stundenbasis zu vermieten … Das hätte auch nach hinten losgehen können!“

„Ist es aber nicht. Weil du da warst.“

„Genau. Die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Angebot und Nachfrage regeln den Markt …“

„sagte Herbert, Gott hab‘ ihn selig.“

„Exakt. Stößchen.“

Version 2