Von Christiane Labusga
„Siehst du, die Landefläche ist frei – Zeitabgleich : 3 Tage, 10 Stunden, 23 Minuten, 28 Sekunden. Mehr Präzision braucht es wirklich nicht.“
„Ja, habt ihr auch die räumliche Differenz korrekt berechnet? Also wirklich, mit Krümmung und allem? Immerhin reden wir hier über mehr als 100.000 km pro Stunde, gebeugt und abgelenkt durch andere Festkörper?“
„Ja. Alles im Griff. Hast du jetzt Muffensausen? Dann fragen wir einen anderen. Für den Computer ist es nicht schwer, die Koordinaten anzupassen. Es geht doch nur um 3einhalb Tage rückwärts.“
„Nein, nein, ich habe gesagt, ich mach es – und ich mach es. Sozusagen: Beam me up, Scotty!“
Ein Kribbeln läuft durch seinen Körper, er und seine Kollegen und die Kolleginnen natürlich auch, nennen es spaßeshalber „Verpixelung“, um nicht einfach schlicht und korrekt von Auflösung zureden. Denn keiner weiß, ob es wieder eine „Entpixelung“ geben wird, eine Wieder-Zusammensetzung.
Nur drei Tage. Zurück in der Zeit, und er wusste es seit Monaten – wenn er seinem vergangenen Selbst begegnet, werden beide, so die Prozedur, aneinander vorbeisehen und ihrer Wege gehen. Seit Wochen liegt ein Ausweis für ihn bereit, der ihm eine andere Identität geben wird, ein Heim und luxuriöse Versorgung bis an sein Lebensende. Einzige Bedingung: Sich in seiner eigenen Parallelwelt bedeckt zu halten. Bis die Kollegen ihn „re-aktivieren“ um seine Reise in die Zeit zurück der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.
Die Berechnungen waren weitgehend korrekt.Tatsächlich landet er über 5 Zentimeter über der geplanten Wiese, wie vorgesehen, nur leider am Rand, wo es noch hochstehende Gräser gibt, die nun, nach der „Entpixelung“, sich mit seinen Füßen verbinden. Er stürzt die 5 Zentimeter ab, die verletzen Füße geben nach, so dass er über sie stürzt und im Gras landet.
Nackt (wie vorgesehen) und mit schmerzenden Füßen (nicht vorgesehen), versucht er sich an das Protokoll zu erinnern:
Prio 1: Kleidung aus dem angelegten Versteck holen
Prio 2: Ausweise und Bankinformationen etc. aus dem anderen Versteck holen.
Prio 3: Bei sich selbst am Abend vorbeischauen, um durch das Erscheinen den Erfolg der Mission zu bestätigen.
Als er über Prio 3 nachdenkt, wird ihm klar, dass die Mission gescheitert ist. Aus irgendeinem Grund hat er es nicht geschafft, denn sonst hätte er doch vor dem Start der Mission schon wissen müssen, dass sie erfolgreich sein würde. Denn er hätte sich ja bereits drei Tage vorher getroffen.
Er greift sich an den Kopf:
„Nein, nein, nein, oberste Priorität ist doch, NIE! NIE! NIE! Über die Unplausibilität von Zeitreisen nachzudenken!“
Immerhin ist er hier. Und er lebt, wenn auch mit Gras in den Füßen. Und die Füße sind schließlich noch benutzbar, wenn auch etwas (oder etwas mehr) schmerzhaft. Er kann sich also auf den Weg machen, nach Hause – um sich selbst zu treffen, drei Tage jünger.
Auf dem Weg nach Hause grübelt er nach: Wenn er irgendwann stirbt, weiß dann der andere, dass er nur noch drei Tage übrig hat? Oder, wenn, hm, geht das: Der andere zuerst stirbt? Was heißt der andere, er selbst doch, nur eben drei Tage jünger, wenn der, der Zufall will es, einen Unfall hat, und er, also er selbst, noch lebt? Kann er dann weiter leben? Oder vergeht er dann – irgendwie?
Angekommen in seiner Straße, angekommen an seinem Haus, ist dort ein Nebel- nein, kein Nebel, was er sieht, ist eine Verpixelung: Da ist ein Haus, und da ist kein Haus. Auch das Nachbarhaus, das er jetzt anvisiert, wo sein bester Freund lebt, ist verpixelt. Er versteht plötzlich:
Der Zugang zu seiner Vergangenheit ist ihm verwehrt. Ein Macht, größer als er selbst, größer selbst als sein Konzern, verhindert, dass er eine Spur in die Zukunft legen kann: Die Macht der Logik. Er schaut in seine Unterlagen: sein Ausweis ist so verdreckt, dass er ihn nicht lesen kann, und die Bankinformationen sind verpixelt, für ihn nutzlos. Immerhin bleibt ihm sein Leben.
Vier Tage später wird auch diese Mission in der Zentrale als gescheitert eingestuft.
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