Von Clara Sinn

„… fallen 3 Schneeflocken, liegt der ganze Bahnverkehr lahm“, gab er seine pure Verachtung unumwunden preis. Ihre beiden Praktikantinnen aus Russland und der Ukraine schilderten übereinstimmend, wie Lowtech auf Schienen schwersten eisigen Schneestürmen die Stirn bieten konnte ohne das geringste Problem.

Am Vortag war sie zusammen mit ihrem Chef auf ganzer Linie Beute des neuen ICEs geworden. Nicht einmal die Türen gingen mehr auf. Und man konnte fürwahr froh sein, dass nicht „das ganze Modul“ ausgefallen war. Es immerhin noch Licht gegeben hatte.

Auch ein solcher Bahnkiller-Winter, erinnerte sie sich. Hatte den Zug noch erwischt, war aber mit selbigem dann doch gestrandet. Für fünfeinhalb Stunden. Auf freier Strecke. Als freie Frau.

Sie hatte diesem seltsam urplötzlichen Gefühl nachgegeben, unverhofft raufzufahren. Zu ihm. Aus ihrer Provinzunistadt in die mondäne Metropole. Leider blöd. Er in flagranti mit dieser Kuh.

Hatte nur wenige Sachen in ihre Sporttasche gepackt und war wieder losgefahren.

Ohne Mann, ohne Bindung, ohne Hoffnung. In ihren bronzefarbenen Stilettostiefeln. Und Ledermini. Dafür aber mit dickem Strickschal. Um die Korklocken. Und das Hälschen.

… süßer Fratz“, prostete der Dicke mit dem Freibier in der Hand seinem Kumpel zu. Wie Männer in den 90ern so waren. Noch nicht vorverurteilt. Ob ihres Sprachgebrauchs.

Ihr konnte nichts passieren. Sie hatte schon alles. Verloren. Ließ sich ein. Auf Derbes.

Es stellte sich heraus, dass er Luxemburger war. Mit Steueroptimierung befasst. Auf Dienstreise. Nach Heidelberg. Hatte sie direkt mit einquartiert. In sein Doppelzimmer.

Sein Freund und Geschäftskollege, ein Kanzleiinhaber, war von ganz anderem Schlag. Leise, verhalten. Unaufdringlich. Hatte sein Angebot gleich mit einem Ring versehen.

Alles keine neun Monate her. Bis Ende des Jahres würde sie noch in ihrem Job bleiben, dann stand der Umzug an. Nach Esch an der Alzette. Und ein Leben ohne jede Mühe.

„Bei uns in der Familie haben die Frauen noch nie gearbeitet“, hatte er das Thema elegant abgeräumt. Was ihr sehr entgegen kam. Wozu war man denn eine Frau?

Erst sehr viel später klarte ihr, wie sehr sie sich verbogen hatte. Für ihren Ex. Ausbeuter. Seelisch, emotional, finanziell. Wie abhängig sie gewesen war! 

Vom Traum, mit einem echten Künstler zusammen zu sein. Musisch talentierte Kinder zu haben. Dabei hatte er eine Beziehung noch nie ernst gemeint. Wie sie’s noch erfuhr.

Er hatte nie zugestimmt zusammenzuziehen. Immer neue Vorwände erfunden. Dabei ihr Geld aber die ganze Zeit gerne genommen. Wie stockblind sie alles mitgemacht hatte!

Sie hatte sich selbst.
Kleinhalten lassen. 

Wohlan!

Neues Spiel
hieß neues Glück.

Zufallsglück. Dass sie diese beiden Freunde im gestrandeten Zug getroffen hatte. Und selbstgeschmiedetes Glück. Auf den stilleren der beiden umzusteigen.

Nein, es gab auf Erden keine Garantien. Für irgendetwas. Geschweige denn Glück. Dass es von Dauer blieb. Nur weil es tatsächlich Einzug gehalten hatte.

Zuletzt war sie dann doch versöhnt. Hatte sich ihren Ex ganz verzeihen können. Jetzt, da sie etwas Ganzheit schnupperte in ihrem Leben.

Und während ihr Chef noch wild auf die Bahn und den entgangenen Auftrag fluchte, ließ sie weiter dieses Video vor ihrem inneren Auge ablaufen, 

dass sie als Arbeitsbiene diesen so leichtfüßigen Gegenpart regelrecht gebraucht hatte, wie sie sich nun von einem der strukturiertesten Typen auf dem Planeten hatte einfangen 

lassen.

Der sich wiederum angesprochen fühlte von ihrem so lockeren Auftreten. In diesem 


Schicksalszug …


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