Von Florian Ehrhardt

„Ey Paule,“ ruft Kevin über das Lagerfeuer hinweg, „warum verweigerst du nochmal?“

Plötzlich fühlt sich die laue Sommernacht mit meinen besten Freunden fremd an.

Ich zucke mit den Schultern. „Kein Bock auf den Scheiß“, murmele ich und frage mich zum x-ten Mal in diesem Sommer, warum das zweite Bier nicht das letzte sein konnte.

„Machste dann wenigstens Zivi?“, hakt Jules nach.

„Glaub nicht“, sage ich noch leiser. Versuche zu vergessen, wie es in mir kocht.

„Warum?“ fragt Matze, während die Musikbox plötzlich Onkelz statt Ikkimel spielt.

„Kein Bock, Michael, Marianne, Günther und Konsorten den Dreck aus der Spalte zu wischen!“, bricht es aus mir heraus. Keine Ahnung, ob ich das auch ohne den Alk von einer Runde Flunkyball intus gesagt hätte. „Werden eh noch lange genug mit dem Müll zu tun haben, den die uns hinterlassen haben.“

Bei Jules ist das Bier mittlerweile im Kopf angekommen: „Hab ma büschn Respekt!“

„Respekt?“, schnaube ich, „Respekt vor der Generation, die uns während zwei Jahren Pandemie eingesperrt hat, während sie in ihren Skiresorts, Kirchenchören und Großraumbüros Superspreader-Event gespielt haben und sich hinterher nicht mal impfen lassen wollten?

„Sind ja nich‘ alle so…“, meint Matze. „Und außerdem hat sich das Einsperren bei dir ziemlich gelohnt, ohne Homeschooling hätte dein Dad niemals gemerkt, wie weit du hinten dran bist! Dann wärst du nach der siebten Klasse abgegangen!“

„Ich putz denen trotzdem nicht für 579,60 € im Monat den Arsch ab.“

„Beim Bund kriegste mindestens n Taui mehr raus“, merkt Kevin an.

„Und ‘n Bein weniger. Ihr habt doch gesehen, wie der Thommy zurückgekommen ist!“, entgegne ich.

„Der Thommy war schon immer n Spacko!“, lallt Jules, „normal wär der einfach mal vonne Rolltreppe eingesaugt worden, aber Granatsplitter hört sich sogar bei den Weibern besser an! Haste mal gesehen, was der jetzt für ‘ne geile Püppi abgekriegt hat?“

„Betrunkene sagen immer die Wahrheit!“, feixt Matze und nimmt einen großen Schluck von seinem Jacky-Cola, um mich dann nachdenklich anzuschauen: „Was machst du stattdessen eigentlich?“

„Hauptsache nicht erschießen oder vollscheißen lassen. Außerdem wollten Sophie und ich noch ein bisschen reisen gehen…ihr wisst doch, dass mein Bruder damals nach’m Abi einfach sechs Monate in Australien rumgepimmelt hat, oder? Das hat damals keinen so richtig gestört.“

„Andere Zeiten…“, erwidert Kevin.

„Außerdem…“, rülpst Jules, „bei Sophie biste eh knietief in der Friendzone, warum verschwendest ‘n deine Zeit mit der? Mach doch lieber was mit deinen Jungs! Büschn mit dem G36 durch die Heide rammeln, vielleicht paar Russen abknallen…das doch viel geiler als irgendein Drecksstudium!“

Kevin und Matze nicken zustimmend, sogar ein Holzscheit knackt Applaus.

„Habt ihr gehört, dass Yannis‘ Vater wohl einfach die Ablöse gezahlt hat und der Knecht jetzt nich—“

„So viele Kröten hat deine Family nicht übrig, oder?“, fällt mir Kevin ins Wort.

Jules, dessen Mutter seit ein paar Wochen mal wieder arbeitslos ist, lacht am lautesten.

„Zwingen können die mich eh nicht!“

„Pff, dann nehm ‘ma dich einfach mit!“, schlägt Jules vor.

„Noch regieren die Faschos nur in zwei Bundesländern mit, so einfach geht das nicht!“

„Und wenn doch?“, fragt Matze gefährlich leise.

„Das wird mir hier alles zu blöd“, flüstere ich und kicke frustriert eine Bierflasche in Richtung Feuer.

„Kannsch dich ja verpissen, wenn’s dir nich‘ passt“, erwidert Jules.

Ich suche den Freund, von dem ich jahrelang die Englischhausaufgaben abschreiben durfte, in seinem ungewohnt kalten Blick. Erfolglos. Ich klatsche mit den Händen auf den Oberschenkel und sage: „So…ich pack’s jetzt dann!“

Keiner lacht über unsere Boomer-Verabschiedungsformel. Stattdessen funkeln drei Augenpaare wütend in meine Richtung.

Ich stehe auf und packe die Hände wieder in die Hosentaschen. „Tschau. Viel Spaß beim…auch egal.“

 

Ein Jahr später.

Die alte Feuerstelle sieht noch genau aus wie damals. Früher waren wir oft hier. Früher ist so ein komisches Wort, was ist schon ein Jahr? Ich beantworte mir die Frage selbst, indem ich einen Blick auf Sophies Hand, die in meiner liegt, werfe. Hätte mir ruhig früher jemand sagen können, dass der Zivildienst ‘ne bessere Datingplattform als Tinder und Hinge zusammen ist. Vielleicht hätte ich mich dann nicht so gesträubt.

Sophie reißt mich aus meinen Gedanken: „Hey, Erde an Paul?! Warum hast du mich denn jetzt unbedingt hierher entführen müssen?“

Ich atme tief durch. „Sophie, ich muss dir was sagen.“

Vielleicht ist es nur der fahle Mondschein, aber sie wirkt blasser als sonst. „Paul, nein.“ Ihre Stimme zittert. „Ich weiß, du liebst mich und ich dich ja auch, aber findest du nicht, dass es nach sieben Monaten dafür ein bisschen…also…zu früh—”

Ich halte ihr die E-Mail wortlos hin.

„Einberufung am 31. Juli 2027? Aber Paul, das ist doch in drei Tagen?“

Ich schweige.

„Das können die nicht machen!“ Sophie stampft auf den Boden. „Müssen die dich nicht erst mustern oder so?“

„Andere Zeiten“, murmele ich, um nicht erklären zu müssen, dass ich ihr den Termin verheimlicht habe.

„Andere Zeiten am Arsch!“

„Du weißt doch, dass Tartu alles verändert hat! Wir werden angegriffen!“

Wir?“ Sie zieht eine Augenbraue hoch. „Hast du mir nicht erzählt, wie stolz du heimlich warst, als deine komischen Saufkumpels angefangen haben, dich Pazifisten-Paule zu nennen?“

„Der Zivildienst wird angerechnet. Ich muss nur 18 Monate“, beschwichtige ich halbherzig.

„Du warst schon immer ein beschissener Lügner!“

Stimmt. Kevins Kiste kam schon nach 77 Tagen zurück. Matze wird immer noch vermisst. „Sophie…“, versuche ich, ohne überhaupt zu wissen, was da noch Tröstendes kommen könnte.

Sie dreht sich weg, um mir ihre Tränen nicht zeigen zu müssen.

Vielleicht findet mich Jules ja sogar wieder cool, wenn wir uns im Schützengraben zuprosten.

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